Antisemitismus

»Sie meinen auch die Juden«

Doron Kiesel Foto: Gregor Zielke

Herr Kiesel, ist der Rechtspopulismus eine reale Bedrohung für Juden?
Er ist es insofern, als rechtspopulistische Bewegungen und eine nationalistische Politik in der Regel eine Gefahr für Juden darstellen können. Aber speziell mit Blick auf Deutschland kann man nicht sagen, dass deren Einfluss besonders groß ist.

Und wenn Sie nach Frankreich schauen?

Die Situation in Frankreich ist mit der in Deutschland nicht vergleichbar. Der Antisemitismus und der Antizionismus, wie er sich etwa in den islamischen Communitys der Pariser Vorstädte zeigt, und die jüngsten Anschläge haben zur Folge gehabt, dass französische Juden nach Israel ausgewandert sind.

Nun gibt sich der Rechtspopulismus gerne israelsolidarisch oder philosemitisch.
Mit dieser Haltung versucht er, sich als wählbar für die jüdische Bevölkerung und als Teil des bürgerlichen Lagers darzustellen. Zugleich sind diese Parteien fremdenfeindlich und schüren Hass auf Lebens- und Glaubensformen, die außerhalb ihrer Vorstellungen angesiedelt sind. Sie treten für die Ausgrenzung ethnisch-religiöser Minderheiten ein. Da sich zurzeit ihr Fokus auf die Ablehnung des Islam richtet, hoffen sie auf Unterstützung verunsicherter jüdischer Wähler und wollen so auch ihre gesellschaftliche Anerkennung verbessern. Die »alte Schule« der bekennenden Antisemiten ist weitgehend diskreditiert. Dass dies nicht nur in Deutschland so ist, sehen Sie an Marine Le Pen. Sie hat ihren Vater, den Parteigründer, wegen seines offenen Antisemitismus aus der Partei ausgeschlossen. Damit will sie den FN salonfähiger machen. Dies hat sich teilweise ausgezahlt: Zuletzt haben mehr Juden als früher den FN gewählt.

Besteht die Gefahr, dass auch die AfD für Juden attraktiv wird?

Diese Gefahr sehe ich als nicht gegeben an. Der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, hat aber zu Recht mehrfach darauf hingewiesen, dass die AfD versucht, Juden zu instrumentalisieren, und die Gemeinden aufgefordert, sehr achtsam zu sein und sich vor deren »Angeboten« zu hüten. Wenn die AfD heute gegen Muslime hetzt, so kann davon ausgegangen werden, dass morgen die Juden Ziel ihrer Ausgrenzungspolitik sein werden.

Die AfD wird das bestreiten.
Schauen Sie sich doch an, wie die AfD über Beschneidung redet: Die Debatte wird ausschließlich gegen Muslime geführt. Dass dies eine zentrale religiöse Praxis des Judentums ist, findet bisher keine Erwähnung. Aber wir Juden sind natürlich in diesem Rundumschlag auch gemeint. So ist es auch beim Schächten. Noch halten sie sich zurück, eine Kampagne gegen das Schächten und die jüdischen Speisegesetze zu führen. Doch deren Parteiprogramm und die Debatten auf den Parteitagen verraten uns, wohin der Weg weist. Spätestens jetzt sollte Mitgliedern jüdischer Gemeinden, die Sympathien für diese Partei haben, klar werden, wofür die AfD und deren Ideologie stehen.

Mit dem Wissenschaftlichen Direktor der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden sprach Martin Krauß.

Arlington (Virginia)

USA genehmigen Milliardenauftrag: Neue F-15-Kampfjets für Israel

Der Vertrag umfasst die Entwicklung, Integration, Erprobung, Produktion und Lieferung von zunächst 25 neuen Maschinen

 30.12.2025

Terror

Warum?

Die nichtjüdische Deutsche Carolin Bohl wurde am 7. Oktober 2023 von der Hamas brutal ermordet. Hier nimmt ihre Mutter Abschied von der geliebten Tochter

von Sonja Bohl-Dencker  30.12.2025

Einspruch

Solidarität mit Somaliland

Sabine Brandes findet Israels Anerkennung der Demokratie am Horn von Afrika nicht nur verblüffend, sondern erfrischend

von Sabine Brandes  30.12.2025

Meinung

Für mich ist es Nowy God – und warum ich ihn feiere

Das Neujahrsfest hat mit dem Judentum eigentlich nichts zu tun. Trotzdem habe ich warme Erinnerungen an diesen säkularen Feiertag

von Jan Feldmann  30.12.2025

London

Vorwurf gegen Facebook: Beiträge feiern Mord an Juden und bleiben online

»Die Beiträge, die den Anschlag von Bondi feiern, sind schlicht widerwärtig«, sagt Dave Rich von der jüdischen Organisation CST in England

 30.12.2025

Berlin

Tagung »Digitale Horizonte«: Wie sich Erinnerungskultur im digitalen Zeitalter wandelt

Wie verändert die Digitalisierung das kollektive Erinnern? Welche Chancen eröffnen neue Technologien – und wo liegen ihre Grenzen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Konferenz

 30.12.2025

Deutschland

Shahak Shapira »superverbittert« über Antisemitismus

Shahak Shapira spricht offen über seinen Frust angesichts von Antisemitismus in Deutschland – und wie er mit politischer Comedy darauf reagiert

 29.12.2025

Analyse

Warum die Anerkennung Somalilands so viel Aufsehen erregt

Das kleine Land am Horn von Afrika hat plötzlich eine große geopolitische Bedeutung. Dafür gibt es gute Gründe

von Ralf Balke  29.12.2025

Kommentar

Wer Glaubenssymbole angreift, will Gläubige angreifen

Egal ob abgerissene Mesusot, beschmierte Moscheen oder verwüstete Kirchen: Politik und Religion werden zurzeit wieder zu einem hochexplosiven Gemisch. Dabei sollte man beides streng trennen

 29.12.2025