Ukraine-Wahl

Selenskyj reklamiert absolute Mehrheit

Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj (M.) am Sonntag nach der Wahl Foto: imago

Die Partei des prowestlichen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat bei der Wahl des neuen Parlaments in Kiew nach eigenen Angaben die absolute Mehrheit der Sitze errungen. Möglich werde dies durch die Vielzahl gewonnener Direktmandate, teilte die Partei am Montag mit. Selenskyj kann demnach mit mehr als 240 der 424 Abgeordneten ohne Koalitionspartner regieren. Es ist das erste Mal seit der Unabhängigkeit der Ex-Sowjetrepublik, dass eine Partei eine absolute Mehrheit inne hat.

Nach Auswertung von rund 50 Prozent der Stimmzettel lag die Partei Selenskyjs mit dem Namen Diener des Volkes (Sluha Narodu) am Montagmorgen bei knapp 42,45 Prozent. Damit blieb die Partei zwei Punkte unter den am Sonntagabend prognostizierten 44 Prozent der Stimmen. Noch nie war eine Partei in der Ex-Sowjetrepublik so erfolgreich bei einer Wahl. Beobachtern zufolge wurde damit auch eine ganze Abgeordnetengeneration abgewählt, die in den vergangenen 20 Jahren das politische Geschehen mitbestimmte.

Selenskyj kündigt an, einen »Wirtschafts-Guru« mit politisch reiner Weste zum Regierungschef zu machen.

MACHT Selenskyj erreichte mit der vorgezogenen Parlamentswahl sein Ziel, sich mit seiner neuen Partei eine eigene Machtbasis zu schaffen. Bislang war Diener des Volkes nicht in der Obersten Rada vertreten, was eine Umsetzung der geplanten Reformen Selenskyjs behinderte. Er erzielte seinen Erfolg allerdings bei der niedrigsten Wahlbeteiligung in der jüngeren Geschichte der Ukraine.

Der 41-Jährige kündigte an, einen »Wirtschafts-Guru« mit politisch reiner Weste zum Regierungschef zu machen. Einen Namen nannte er zunächst aber nicht.

Selenskyj bekräftigte bereits am Wahlabend sein Ziel, den Krieg im Osten des Landes zu beenden. Vorrangige Aufgaben seien zudem, die ukrainischen Gefangenen aus Russland zurückzuholen sowie der Sieg über die Korruption, sagte der Staatschef.

RUSSLAND Zweitstärkste Kraft wurde die prorussische Oppositionsplattform mit knapp 13 Prozent der Stimmen. Parteichef Juri Boiko sagte, dass die Abstimmung die krisengeschüttelte Ukraine wieder auf einen friedlichen und normalen Weg zurückbringe. An dritter Stelle landete die Partei Europäische Solidarität von Ex-Präsident Petro Poroschenko mit rund acht Prozent.

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer sieht in der Abstimmung in der Ukraine »ein Beispiel der Demokratie und Freiheit für die gesamte Region«. Selenskyj verfüge nun über ein starkes Mandat für seine ambitionierte Reformagenda, sagte sie in Berlin. »Wir erwarten, dass er diese Reformen jetzt entschlossen angeht, um die in ihn gesetzten Hoffnungen der Ukrainer zu erfüllen.«

Zweitstärkste Kraft wurde die prorussische Oppositionsplattform mit knapp 13 Prozent der Stimmen.

»Das Wahlergebnis in der Ukraine ist nichts anderes als eine kleine Revolution«, meinte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin in Kiew. »Die Menschen strafen das bisherige als korrupt und unglaubwürdig angesehene politische Personal ab und geben dem neu gewählten Präsidenten Selenskyj ein starkes Mandat im Parlament.« So scheiterte etwa die Partei des Regierungschefs Wladimir Groisman samt vier Ministern an der Fünf-Prozent-Hürde. Nur fünf von 22 Parteien nahmen die Hürde.

REAKTIONEN Erste Reaktionen aus dem Nachbarland Russland waren zunächst verhalten. Selenskyj müsse noch politische Reife zeigen, schrieb der Außenpolitiker Konstantin Kossatschow auf Facebook. »

Die politische Kindheit und Jugend ist für Präsident Selenskyj somit beendet. Jetzt kommt die Zeit der echten Verantwortung«, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im russischen Oberhaus.

Der Außenpolitiker Leonid Kalaschnikow wertete den Erfolg der prorussischen Oppositionsplattform als positives Zeichen, dass sie sich für eine Verbesserung der Beziehungen zu Moskau einsetzen werde. »Sie ist jetzt eine echte politische Kraft, mit der man heute rechnen muss.«

Für die geplanten Reformen des Staatschefs scheint es nun keine Hürden mehr im Parlament zu geben.

SEHNSUCHT Den Erfolg der Selenskyj-Partei erklären sich viele Wähler und Beobachter mit der Sehnsucht nach neuen Gesichtern und einem Neustart in dem Krisenland. Die Partei hatte demonstrativ auf aktive und ehemalige Politiker verzichtet. Teils verdanken der Präsident und seine Bewegung ihren Zuspruch auch der populären Fernsehserie Sluha Narodu – zu Deutsch: »Diener des Volkes«. Dort hatte Selenskyj als Komiker viele Jahre einen forschen Präsidenten gespielt, der mit der von einflussreichen Oligarchen gesteuerten Machtelite aufräumt.

Selenskyj war im Mai dieses Jahres in Kiew in das Amt des Präsidenten eingeführt worden. Über Selenskyjs Herkunft ist nicht viel bekannt, außer dass sein Vater ein bekannter Technikprofessor ist und deshalb viel unterwegs war. So lebte der junge Selenskyj unter anderem vier Jahre in der Mongolei.

Den Erfolg Selenskyjs erklären sich viele Wähler und Beobachter mit der Sehnsucht nach neuen Gesichtern und einem Neustart in dem Krisenland.

»Ich bin Ukrainer mit jüdischen Wurzeln«, sagt der Politiker über sich. Er bekennt sich offen zu seinem Judentum, wenn er danach gefragt wird, und gehört zu den bekanntesten Juden in seinem Land. Gern trat er in der Vergangenheit auch in Israel auf.

In einem Interview sagte Selenskyj einmal: »Ich freue mich immer, nach Israel zu kommen. Natürlich ist die Ukraine mein Zuhause – Israel aber irgendwie auch.«

Sicherheit

»Keine jüdische Veranstaltung soll je abgesagt werden müssen«

Nach dem Massaker von Sydney wendet sich Zentralratspräsident Josef Schuster in einer persönlichen Botschaft an alle Juden in Deutschland: Lasst euch die Freude an Chanukka nicht nehmen!

von Josef Schuster  17.12.2025

Faktencheck

Berichte über israelischen Pass Selenskyjs sind Fälschung

Ukrainische Behörden ermitteln wegen hochrangiger Korruption. Doch unter diesen Fakten mischen sich Fälschungen: So ist erfunden, dass bei einer Razzia ein israelischer Pass Selenskyjs gefunden wurde

 17.12.2025

Berlin

Klöckner zu Attentat: »Sydney hätte auch in Deutschland liegen können«

Bei einem antisemitischen Anschlag in Australien starben 15 Menschen. Die Bundestagspräsidentin warnt, dass sich Judenhass auch in Deutschland immer weiter ausbreite

 17.12.2025

Faktencheck

Bei den Sydney-Attentätern führt die Spur zum IS

Nach dem Blutbad am Bondi Beach werden auch Verschwörungsmythen verbreitet. Dass der jüngere Attentäter ein israelischer Soldat sei, der im Gazastreifen eingesetzt wurde, entspricht nicht der Wahrheit

 17.12.2025

Analyse

Rückkehr des Dschihadismus?

Wer steckt hinter den Anschlägen von Sydney – und was bedeuten sie für Deutschland und Europa? Terrorexperten warnen

von Michael Thaidigsman  17.12.2025

Bulletin

Terrorangriff in Sydney: 20 Verletzte weiter im Krankenhaus

Fünf Patienten befinden sich nach Angaben der Gesundheitsbehörden in kritischem Zustand

 17.12.2025

Bondi Beach

Sydney-Attentäter wegen 15-fachen Mordes angeklagt

15-facher Mord, Terrorismus, Sprengstoffeinsatz - dem überlebenden Sydney-Attentäter werden 59 Tatbestände zur Last gelegt

 17.12.2025

Meinung

Die Empörung über Antisemitismus muss lauter werden

Der Anschlag von Sydney war in einem weltweiten Klima des Juden- und Israelhasses erwartbar. Nun ist es an der Zeit, endlich Haltung zu zeigen

von Claire Schaub-Moore  17.12.2025

Washington D.C.

Trump ruft zu Vorgehen gegen islamistischen Terror auf

Bei einer Chanukka-Feier im Weißen Haus spricht der Präsident den Hinterbliebenen der Opfer vom Anschlag in Sydney sei Beileid aus

 17.12.2025