Meinung

Schon wieder Schlussstrich?

Klaus von Dohnanyi und Giovanni di Lorenzo zu Gast bei »Markus Lanz« Foto: dpa

Klaus von Dohnanyi und Giovanni di Lorenzo – der langjährige Hamburger Bürgermeister (SPD) und der »Zeit«-Chef, es gab schon unattraktivere Gästekombinationen in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz. Fast 80 Minuten hatten die beiden Zeit, miteinander und mit dem Moderator zu diskutieren.

Was vielversprechend klang, war, Hand aufs Herz, eine mittlere Katastrophe. Es war vor allem Klaus von Dohnanyi, der – obwohl aus einer Familie von Widerstandskämpfern stammend – mit seinen Aussagen zum Thema Judenhass und NS-Zeit irritierte.

Dohnanyi beklagt, dass Politik und Medien zu oft an die Nazizeit erinnern würden.

WIDERSTAND Dohnanyi beklagte sich, dass Politik und Medien zu oft an die Nazizeit erinnern würden: »Immer wieder über die Vernichtung der Juden, immer wieder über den deutschen Widerstand. Es fehlt völlig ein Blick auf die wirklichen Probleme unserer Zeit ...«

Außergewöhnlich auch seine These, der Ausstieg der SPD aus der Reichsregierung 1930 hätte den Erfolg der NSDAP 1933 erst ermöglicht: »Hätten wir in der Regierung durchgehalten, hätte es die Nazis nie gegeben.« Schon bevor die SPD austrat, war die Regierung nicht mehr stabil, die sie tragenden Parteien standen oft nicht mehr hinter ihr.

Nicht an der SPD, am Mangel an Demokraten ging die Weimarer Republik zugrunde. »Der Antisemitismus«, wusste von Dohnanyi zu berichten, »hat die Nazis nicht nach oben gebracht.« Und überhaupt hätte kaum jemand etwas vom Holocaust gewusst, und auch der Widerstand gegen die Nazis sei unterschätzt worden. Viele Menschen hätten verfolgten Juden geholfen.

Die Beschäftigung mit dem Antisemitismus gleiche einem Fetisch, der sich an der Vergangenheit orientiere.

ZAHLEN Dohnanyi irrt, wenn er, ein kluger und gebildeter Mann, sagt: Von über 3000 Menschen, die Juden in der Nazizeit halfen, kenne man die Namen. Selbst wenn man ihre Zahl verdoppelt, bleibt sie angesichts einer Bevölkerung von damals 78 Millionen verschwindend gering. Sie riskierten ihr Leben und mussten jederzeit damit rechnen, verraten zu werden. Der Holocaust war Konsens in Deutschland, und nicht die Bereitschaft, Juden zu helfen.

Die Zahl derer, die sich aktiv an den Morden beteiligten, lag um ein Vielfaches höher. Was auch von Dohnanyis Behauptung widerlegt, kaum jemand in der Bevölkerung habe von den Verbrechen gewusst: Mit Beginn des Polenfeldzuges 1939 begann das systematische Morden, und große Teile der Wehrmacht haben das nicht nur mitbekommen, sondern sich zum Teil aus Spaß daran beteiligt.

Vollkommen irrt von Dohnanyi auch, wenn er die Beschäftigung mit dem Antisemitismus wie einen Fetisch beschreibt, der sich an der Vergangenheit orientiert. Er irrt, weil die Zahlen der antisemitischen Straftaten signifikant steigen, weil der Antisemitismus in allen Teilen der Bevölkerung verankert ist und vor allem bei viele Rechten, Linken und Islamisten zunehmend offen gezeigt wird.

Antisemitismus ist nicht Teil der Vergangenheit, er ist Teil der Gegenwart und ist, wie der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn in seinem Buch Globaler Antisemitismus gezeigt hat, das wichtigste Bindeglied aller Ideologien, die sich die Zerstörung von Freiheit, Demokratie und Aufklärung zum Ziel gesetzt haben. Bei der Beschäftigung mit Antisemitismus geht es nicht um einen Blick zurück, sondern um die Zukunft.

Initiative

Knesset stimmt über Gesetz zu Todesstrafe ab

Wer in Israel tötet, um dem Staat und »der Wiedergeburt des jüdischen Volkes« zu schaden, soll künftig die Todesstrafe erhalten können. Das sieht zumindest ein umstrittener Gesetzentwurf vor

 11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025

Terror

Netanjahu: Israels Kampf gegen Feinde noch nicht vorbei

Laut Ministerpräsident Netanjahu beabsichtigen die Hamas und die Hisbollah weiterhin, Israel zu vernichten. Die Waffenruhe-Abkommen mit beiden will Israel demnach durchsetzen - solange diese gelten

 11.11.2025

Diplomatie

Al-Schaara schließt normale Beziehungen zu Israel aus

Der syrische Staatschef wurde von US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus empfangen. Bei dem historischen Treffen ging es auch um die Abraham-Abkommen

 11.11.2025

Meinung

Wahlen in Ostdeutschland: Es gibt keine Zeit zu verlieren

In Mecklenburg-Vorpommer und Sachsen-Anhalt wird im September gewählt. Es steht viel auf dem Spiel: Eine AfD-Regierung könnte großen Schaden anrichten. Leidtragende wären nicht zuletzt die jüdischen Gemeinden

von Joshua Schultheis  10.11.2025

Medien

So erzeugt man einen gefährlichen Spin

Wie das Medienunternehmen »Correctiv« den Versuch unternimmt, die Arbeit des israelischen Psychologen Ahmad Mansour fragwürdig erscheinen zu lassen

von Susanne Schröter  10.11.2025 Aktualisiert

Würzburg

Zentralrat der Juden fordert mehr Zivilcourage gegen Hass

Beim Gedenken an die Novemberpogrome in Würzburg hat Juden Schuster die grassierende Gleichgültigkeit gegen Judenhass kritisiert

 10.11.2025

Gedenken

Bundespräsident Steinmeier fordert Widerstand gegen Rechtsextreme

Die Demokratie sieht der Bundespräsident so bedroht wie nie seit der Wiedervereinigung. Das Staatsoberhaupt erklärt, was nun aus seiner Sicht passieren muss

von Martina Herzog  10.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025