Warschau

»Schon mein Großvater hat hier gebetet«

Es ist rund 80 Jahre her, als in der Warschauer Nozyk-Synagoge ein ganz besonderer Gottesdienst stattfand. Im Jahr 1946, keine zwölf Monate nach den Gräueln der Schoa, leitete Rabbiner Isaak HaLevy Herzog dort einen Schabbatgottesdienst, an dem auch einige der wenigen polnischen Juden teilnahmen, die den Holocaust überlebt hatten. Ebenjener Isaak HaLevy Herzog war zu der Zeit Oberrabbiner von Irland.

Heute, am 80. Jahrestag des Warschauer Ghetto-Aufstandes, betrat Herzogs Enkel Isaac, Präsident des Staates Israel, die Synagoge, um an den Mut und an das Schicksal der jüdischen Aufständischen zu erinnern. In seiner Rede im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Zentralratspräsident Josef Schuster, WJC-Präsident Ronald S. Lauder und Polens Oberrabbiner Michael Schudrich erinnerte Herzog daran, dass vor der Schoa Polen ein Zentrum des jüdischen Lebens in Europa war.

gedenken »In Warschau gab es eine der größten jüdischen Gemeinschaften Europas. Es gab Dutzende jüdische Zeitungen, Dutzende Synagoge, Schulen, Kindergärten und andere jüdische Einrichtungen«, betonte Herzog. Doch all das wurde von einem Tag auf den anderen von den deutschen Nationalsozialisten ausgerottet. »Ihrer gedenken wir heute in dieser Synagoge, in der schon mein Großvater gebetet hat«, sagte Herzog sichtlich bewegt.

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In Warschau gibt es zurzeit fünf aktive Synagogen, aber nur die Nozyk-Synagoge stammt noch aus der Zeit vor dem Holocaust. Zwar hatten mehrere Warschauer Synagogen und kleinere Bethäuser die Zerstörungswut der deutschen Besatzer 1943 und 1944 überstanden, doch die meisten wurden vom polnisch-kommunistischen Staat nach 1945 entweder abgerissen oder zu Fabriklagern und Wohnungen umfunktioniert.

Einzig die 1902 im Neorenaissance-Stil erbaute Nozyk-Synagoge konnte kurz nach dem Krieg wieder von Betern genutzt werden. Heute weiß allerdings kaum noch ein Warschauer, dass es überhaupt eine Synagoge in Polens Hauptstadt gibt. Das liegt daran, dass die neuen Gotteshäuser zumeist in Apartmenthäusern untergebracht sind und rund um die Nozyk-Synagoge so viele Hochhäuser gebaut wurden, dass sie aus dem Stadtbild Warschaus verschwand und heute weitgehend unsichtbar ist.

Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Warschau nur zwei freistehende Synagogen – die architektonisch originelle Rund-Synagoge in Warschau-Praga auf der anderen Weichselseite und die Große Synagoge der Reformbewegung am Tlomackie-Platz. Von beiden Synagogen ist nichts geblieben.

bethäuser Erst um die Jahrhundertwende entstand die dritte freistehende und bis heute erhaltene Synagoge. Finanziert hatte sie keine Gemeinde, sondern das vermögende Kaufmannsehepaar Zalman und Rywka Nozyk. Ringsum gab es bereits zahlreiche kleinere Bethäuser, eine Mikwe sowie eine koschere Volksküche.

Doch die Nozyks dachten bei der für 600 Personen ausgelegten Synagoge eher an die wohlhabenden Juden im damaligen Stadtteil Grzybow, die in der Lage waren, das Gebäude nach dem Tod der Stifter instand zu halten. Den Rest ihres bedeutenden Vermögens vermachten sie den Armen in der Gemeinde.

Nach der Einweihung der Nozyk-Synagoge am 14. Mai 1902 errang die Synagoge allmählich immer mehr Ruhm durch ihren ausgezeichneten Männerchor, der sogar Beter aus anderen Städten nach Warschau lockte. In dem Bethaus fanden aufgrund der hervorragenden Akustik auch Fest-Konzerte statt - zu jüdischen wie polnisch-patriotischen Feiertagen.

Am 16. Mai 1943 sprengte der Kriegsverbrecher Jürgen Stroop die Große Synagoge, um damit Adolf Hitler ein »Geburtstagsgeschenk« zu machen.

Während der deutschen Besatzung Polens schlossen die Nazis bereits im Januar 1940 alle Synagogen, aus der Großen Synagoge wurde zunächst ein Möbellager und aus der Nozyk-Synagoge ein Pferdestall und Lager für Futter und Reitzubehör. Die Inneneinrichtung wurde vollständig zerstört.

ghetto Ab September 1941 erlaubten die Nazis den jüdischen Betern die Nutzung der Nozyk-Synagoge zu den Hohen Feiertagen. Doch im Juli 1942 begann die »Liquidierung des Ghettos«, am 22. Juli begannen die Massendeportationen der Juden »nach Osten« – in Wirklichkeit in die Vernichtungslager Treblinka bei Warschau und Majdanek bei Lublin.

Am 19. April 1943 brach der Warschauer Ghetto-Aufstand los, den die Nazis trotz großer Übermacht erst nach einem Monat niederschlagen konnten. Am 16. Mai 1943 sprengte der Kriegsverbrecher Jürgen Stroop die Große Synagoge, um damit Adolf Hitler ein »Geburtstagsgeschenk« zu machen. Wenig später schickte er seinen Bildbericht an Berlin: »Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr.«

Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte schon im Sommer und Herbst 1945 der erste Gottesdienst in der Nozyk-Synagoge stattfinden, wenn auch unter schwierigen Bedingungen, da das Dach und die Fassade 1944 durch Bombenangriffe getroffen worden waren. Doch anknüpfen an das jüdische Leben vor der Schoa konnte Warschau nie wieder. Der Holocaust und seine Folgen sind bis heute in der Stadt in vielerlei Hinsicht präsent – im Hinblick auf das jüdische Leben vor allem als große Leerstelle. ja

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