Meinung

Sarrazin und die SPD

Renée Röske, Vorsitzende des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokraten Foto: Evonik Industries AG

Die SPD-Spitze versucht zum dritten Mal, den umstrittenen Autor und früheren Politiker Thilo Sarrazin aus der Partei auszuschließen. Sarrazins Thesen seien nicht mit den Grundsätzen der SPD vereinbar, und er füge der Partei »schweren Schaden« zu, heißt es.

Dabei fällt es in Zeiten der AfD auch einem Thilo Sarrazin nicht so leicht, rassistisch aufzufallen. Schon seit ein paar Jahren ist der ehemalige Berliner Finanzsenator ein Vorkämpfer gegen die »kulturfremde Einwanderung im Übermaß« und ruft dazu auf, »unser Gesellschaftsmodell vor äußerer Bedrohung« zu schützen.

GENE Sarrazin wird auch nicht müde zu erklären, wer welche Gene hat und welche Gefahr von welcher genetischen Gruppe ausgehe. Wir Jüdinnen und Juden haben nach Sarrazins Worten alle das gleiche Gen. Wegen der Musliminnen und Muslime aber schaffe Deutschland sich ab.

Thilo Sarrazin liefert einfache Antworten auf komplexe Fragen.

Thilo Sarrazin liefert einfache Antworten auf komplexe Fragen: Man greift einfach die Schlauchboote mit den Flüchtlingen im Mittelmeer auf. Man setzt sie irgendwo an der afrikanischen Küste ab und zerstört dann die Schlauchboote. Danach wird kein Flüchtling mehr kommen. Pippi Langstrumpfs Welt mag so funktionieren, aber nicht Völkerrecht und bilaterale Staatenabkommen.

Es gibt kein einfaches Konzept, um Sarrazin aus der Partei auszuschließen. Die Hürden sind laut dem Parteiengesetz sehr hoch. Wer schon einmal in einer Partei für ein Mandat angetreten ist, weiß, warum man die Politik als »Haifischbecken« tituliert. Mit Hinblick auf die deutsche Vergangenheit will man es so schwer wie möglich machen, politische Gegenspieler aus dem Weg zu räumen. Antisemitische Äußerungen reichen nicht, sie müssen »parteischädigend« sein, sonst könnten sie von der Meinungsfreiheit gedeckt sein.

Wir Juden haben nach Sarrazin alle das gleiche Gen. Wegen der Muslime aber schaffe Deutschland sich ab.

Würde niemand mehr Thilo Sarrazins Buch kaufen, könnte er aus seinem Parteiausschlussverfahren keinen Profit mehr schlagen und würde wahrscheinlich freiwillig die Partei verlassen. Darauf können wir aber nicht bauen, denn sein neues Buch führte im Herbst 2018 die Bestsellerlisten an.

Lars Klingbeil, SPD Generalsekretär, hat Thilo Sarrazin als »verbitterten Mann« bezeichnet. Warum kann man ihn als solchen nicht einfach ignorieren?

volkspartei Die SPD ist die einzige deutsche Volkspartei, die es bereits seit mehr als 150 Jahren gibt. Sie ist auch die einzige Partei, deren Abgeordnete gegen die NSDAP aufgestanden sind und deren Mitglieder aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit verfolgt wurden. Und von so einer Partei erwarten deren Mitglieder – und das erwarte auch ich –, dass sie »verbitterten« rassistischen Personen deutlich den Weg zur Tür zeigt.

Als Vorsitzende des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten erwarte ich, dass wir bis zur letzten Instanz gehen, um Thilo Sarrazin, aber auch seinen Anhängern zu zeigen, dass wir Rassismus nicht akzeptieren. Auch die Gefahr, vor Partei- und staatlichen Gerichten zu verlieren, darf kein Grund sein, es nicht wenigstens zu versuchen.

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass es im Fall Sarrazin zu keiner Läuterung kam. Ich gehe davon aus, dass es sein Treiben in den letzten sieben Jahren und sein neues Buch im Verfahren einfacher machen nachzuweisen, dass Sarrazin nachhaltig der Partei schadet. Und damit auch unserem Arbeitskreis.

Renée Röske ist Bundesvorsitzende des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sowie Landesvorsitzende Berlin-Brandenburg.

Meinung

Antisemitismus der Anständigen

Judenhass in der Schweiz ist brandgefährlich, weil er so höflich und diskret daherkommt

von Zsolt Balkanyi-Guery  27.10.2025

Sydney

Warum ein Neonazi in Australien »Mein Kampf« im Gefängnis lesen darf

Ein Rechtsextremist will im australischen Knast unbedingt Hitler lesen - und hat laut einem Gerichtsbeschluss auch das Recht dazu

 27.10.2025

Libanon

UN-Friedenstruppe schießt israelische Drohne ab

Das Fluggefährt habe sich »auf aggressive Weise« genähert, sagt die UNIFIL. Israel streitet dies ab

 27.10.2025

Terrorismus

Mossad veröffentlicht Namen von »Terror-Kommandeuren«

Auch hierzulande sollen Kommandeure der Quds-Truppe der Islamischen Revolutionsgarden Anschläge auf jüdische Einrichtungen geplant haben. Der Terrorexperte Peter Neumann kritisiert die Haltung Deutschlands

von Michael Thaidigsmann  27.10.2025

Meinung

Die SP im moralischen Blindflug

Mit zwei widersprüchlichen Resolutionen beweist die Sozialdemokratische Partei der Schweiz einmal mehr ihre ethische Orientierungslosigkeit

von Nicole Dreyfus  27.10.2025

Interview

»Dass da nicht mehr passiert, ist ein ziemlicher Skandal«

Trotz der jüngsten iranischen Anschlagsversuche auf jüdische Einrichtungen pflegt Deutschland einen ängstlichen und viel zu nachgiebigen Umgang mit dem Regime in Teheran, kritisiert der Terrorismusexperte Peter Neumann

von Michael Thaidigsmann  27.10.2025

Meinung

Warum die UNRWA seit 77 Jahren den Frieden in Nahost blockiert

Das UN-Flüchtlingshilfswerk für die Palästinenser verursacht erhebliche Probleme. Daher gibt es nur einen Weg

von Jusek Adlersztejn  27.10.2025

Pogromnacht 1938

Wo die Synagogen schon zwei Tage vorher brannten

In Hessen und Sachsen-Anhalt begann die Gewalt gegen Juden schon bevor Goebbels dazu aufrief

 27.10.2025

Israel-Reise

Karin Prien will Yad Vashem besuchen

Die Bildungsministerin trifft auch ihren israelischen Amtskollegen Joav Kisch

 27.10.2025