Brandenburg

Sachsenhausen-Prozess: Urteil am Dienstag erwartet

Das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg Foto: imago images/Jürgen Ritter

Mehr als 30 Verhandlungstage sind seit Beginn des NS-Prozesses im Oktober 2021 vergangen, zehn Zeugen haben dort ausgesagt, und mehrere Sachverständige wurden angehört: Nun steht das Verfahren gegen einen 101-jährigen Mann aus Brandenburg vor dem Abschluss.

Am Montag soll am Verhandlungsort in Brandenburg an der Havel der Verteidiger plädieren, dem Angeklagten soll Gelegenheit zu einem letzten Wort gegeben werden, am Dienstag soll das Urteil verkündet werden. Die Staatsanwaltschaft wirft Josef S. vor, als SS-Wachmann im KZ Sachsenhausen Beihilfe zum Mord in einer Vielzahl von Fällen geleistet zu haben.

VORWÜRFE Der in Litauen geborene Baltendeutsche, der nach Zweitem Weltkrieg und Kriegsgefangenschaft in der DDR lebte, hat die Verhandlungstage nach seinem zur Prozessroutine geronnenen »Guten Morgen allerseits« meist weitgehend still verfolgt. Die Vorwürfe hat er jedoch mehrfach energisch zurückgewiesen. Sachsenhausen kenne er nicht, mit Gaskammern habe er nichts zu tun, waren einige der wenigen Worte zu den Tatvorwürfen. Er will in der fraglichen Zeit an einem anderen Ort in der Landwirtschaft gearbeitet haben.

Posthum wurde im März die Aussage des ebenfalls 101-jährigen NS-Überlebenden Leon Schwarzbaum verlesen.

Doch Unterlagen, die in den Prozess Eingang fanden, sprechen dafür, dass er mehr als drei Jahre lang Wachmann in Sachsenhausen war. Mehr als 200.000 Menschen waren zwischen 1936 und 1945 in dem als »Modell- und Schulungslager« der SS errichteten KZ nördlich von Berlin inhaftiert. Zehntausende von ihnen wurden ermordet oder kamen auf andere Weise ums Leben.

Die Zeugen, darunter mehrere Überlebende der NS-Verbrechen, und zwei Fachleute für die deutsche Geschichte schilderten in dem Prozess den brutalen Alltag in Sachsenhausen, die Verbrechen, die Qualen, denen die Häftlinge ausgesetzt waren, die Zufälle, durch die Überleben möglich war. Posthum wurde im März die Aussage des ebenfalls 101-jährigen jüdischen NS-Überlebenden Leon Schwarzbaum verlesen, der nur wenig jünger war als Josef S. und wenige Tage vor seiner geplanten Aussage am 13. März starb.

ZEUGEN »Ich möchte Sie auffordern, die historische Wahrheit zu sagen«, richtete sich darin Schwarzbaum an Josef S. und appellierte an ihn, Leugnung und Verdrängung aufzugeben und darüber zu sprechen, was er erlebt hat.

Allein an 18 Verhandlungstagen hörte auch der Angeklagte den höchst detaillierten Ausführungen des Historikers Stefan Hördler zu und war damit ein ums andere Mal mit den NS-Verbrechen konfrontiert, an denen er nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft beteiligt war.

Die Staatsanwaltschaft fordert für den Angeklagten eine Haftstrafe von fünf Jahren.

Fünf auf Antrag der Verteidigung vom Gericht als Zeugen geladene frühere SS-Wachmänner, die den Angeklagten entlasten sollten, sagten in dem Verfahren hingegen nicht aus: Einer von ihnen war nach Gerichtsangaben bereits verstorben, drei waren aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht zu einer Zeugenaussage fähig. Ein weiterer früherer SS-Mann berief sich laut Gericht auf sein Aussageverweigerungsrecht wegen Ermittlungen, die sich gegen ihn richten.

ANWÄLTE Die Staatsanwaltschaft wirft Josef S. Beihilfe zum grausamen und heimtückischen Mord in mehr als 3500 Fällen vor und fordert eine Haftstrafe von fünf Jahren. Es gebe keinen Zweifel, dass Josef S. als SS-Mann in Sachsenhausen tätig war, sagte Staatsanwalt Cyrill Klement in seinem Plädoyer Mitte Mai. Vertreter der Nebenkläger forderten in ihren Plädoyers im Mai mindestens fünf Jahre Haft. Anwalt Thomas Walther, einst Chefermittler der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen, warf der deutschen Justiz zudem vor, pflichtvergessen Zeit »verplempert« zu haben. Es habe bereits seit den 70er Jahren Erkenntnisse der Stasi über die NS-Vergangenheit von Josef S. gegeben, betonte er.

Laut Staatsanwaltschaft war der Angeklagte in der Zeit zwischen dem 23. Oktober 1941 und dem 18. Februar 1945 SS-Wachmann in Sachsenhausen. Im Zuge der Ermittlungen wurden unter anderem Dokumente aus der Gedenkstätte Sachsenhausen, dem Bundesarchiv in Berlin und der Stasi-Unterlagenbehörde ausgewertet. Für Montag steht der 35. Verhandlungstag an. Das zuständige Landgericht Neuruppin hat den Prozess nach Brandenburg an der Havel in die Nähe des Wohnorts von Josef S. verlegt, weil er laut Gutachten nur wenige Stunden am Tag verhandlungsfähig ist.

Meinung

Vereinte Nationen: Alter Wein in neuen Schläuchen

Kommende Woche soll in New York eine Resolution zum Nahostkonflikt verabschiedet werden. Sie ist hochproblematisch. Deutschland sollte dagegen stimmen

von Jacques Abramowicz  18.09.2025

"Times"-Bericht

London vor Anerkennung eines Staates Palästina

Noch vor anderen Weltmächten könnte Großbritannien die formale Anerkennung eines palästinensischen Staates vollziehen. Die Berichte darüber kommen zu einem heiklen Zeitpunkt

 18.09.2025

München

Auschwitz Komitee: Shani-Ausladung ist »schändlich«

Ein Musikfestival in Gent hat die Münchner Philharmoniker ausgeladen, weil das Verhältnis des israelischen Dirigenten zu seiner Regierung nicht klar sei. Das Auschwitz Komitee kritisiert das

 18.09.2025

Berlin

Hardt: Keine Wirtschaftssanktionen gegen Israel

Der CDU-Außenpolitiker befürwortet Sanktionen gegen »radikale Minister«. Die Anerkennung eines Staates Palästina lehnt er ab

 18.09.2025

Flensburg

Antisemitisches Schild löst Empörung aus

»Juden haben hier Hausverbot!« steht im Schaufenster eines Geschäftes. Aus der Lokalpolitik kamen deutliche Reaktionen

 18.09.2025

Antrittsbesuch

Merz reist nach Madrid: Differenzen in Haltung zu Israel

Insgesamt läuft es gut in den Beziehungen zwischen Deutschland und Spanien. Bei einem Thema gibt es aktuell aber Streit

 18.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 Aktualisiert

Washington D.C./Jerusalem

Trump und Netanjahu: Zerwürfnis nach Doha-Angriff

Hinter den Kulissen soll der amerikanische Präsident einem Zeitungsbericht zufolge über den israelischen Regierungschef geschimpft haben

 18.09.2025

Doha

Nach Schlag in Katar: Hamas-Anführer gibt TV-Interview

Ghazi Hamad, der als Planer der Massaker vom 7. Oktober gilt, gibt sich als Opfer des »zionistischen Feindes«

 18.09.2025