Regierung

Richtiger Kurs. Fast

Große Koalition: die Parteichefs Sigmar Gabriel (SPD), Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) Foto: dpa

Der Koalitionsvertrag ist zwar unterzeichnet, aber noch nicht in Kraft. Jetzt warten alle auf den bis Mitte Dezember anstehenden Entscheid der SPD-Basis. Zustimmung oder Ablehnung – nicht nur für jüdische Sozialdemokraten eine Gewissensentscheidung. Viele Punkte der 185 Seiten umfassenden Vereinbarung mit der Union betreffen uns als Staatsbürger allgemein, manche tangieren Juden in Deutschland ganz besonders.

Etwa die doppelte Staatsbürgerschaft: In den jüdischen Gemeinden, die zu mehr als 90 Prozent aus Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion bestehen, ist sie ein wichtiges Thema. Die Koalitionsvereinbarung sieht keine generelle Akzeptanz der doppelten Staatsbürgerschaft vor.

staatsbürgerschaft Immerhin gab die CDU das Optionsmodell auf. Hier geborene Kinder ausländischer Eltern dürfen nun die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern behalten. Ein Großteil der jüdischen Zuwanderer der letzten 20 Jahre wird weiterhin keine doppelte Staatsbürgerschaft haben – genauso wie die erste Generation der türkischen Einwanderer. Dieses Ergebnis im Koalitionsvertrag ist kein Durchbruch, es ist höchstens eine begrüßenswerte Korrektur, von der jedoch ganze Generationen und Zuwanderergruppen nicht profitieren werden.

Nächstes Stichwort: Lebensleistungsrente. Die Altersarmut ist auch und insbesondere unter jüdischen Zuwanderern ein gravierendes Problem. Auch wer nach der Einwanderung in den 90er-Jahren schnell Arbeit fand, wird mit extrem niedriger Rente dastehen. Denn anders als bei den Aussiedlern aus Russland wurden bei jüdischen Einwanderern die Beitragszeiten des Herkunftslandes nicht anerkannt.

mindestrente Und nun Mindestrente? Nein. Anspruch auf diese kleine Rente wird man nur nach 40 Beitragsjahren haben. Eine sehr gute Entwicklung für Menschen aus dem Niedriglohnsektor – für die Zuwanderer bringt diese Veränderung wenig. Hier muss die neue Regierung handeln. Wir brauchen endlich eine Anerkennung der Arbeitszeiten jüdischer Zuwanderer.

Immerhin nehmen CDU/CSU und SPD die Ghetto-Renten ausdrücklich in den Koalitionsvertrag auf. Bisher zeigte sich die Union in dieser Frage träge bis resistent. Die Ungerechtigkeiten führen bis heute dazu, dass einem großen Teil der noch wenigen Ghetto-Überlebenden aus rein verwaltungsrechtlichen Gründen eine Rente versagt wird. Dies kann und muss durch eine legislative Anpassung gelöst werden.

entschädigung Aus dem Koalitionsvertrag ist allerdings eine konkrete Handhabe nicht ersichtlich. Es findet sich lediglich eine Absichtserklärung zu einer angemessenen Entschädigung. Die Union wird sich an dieser Vereinbarung messen lassen müssen. Die SPD hat hier den klaren Auftrag, in der neuen Regierung die bisherigen Bemühungen für Ghetto-Überlebende aus der Opposition heraus in die Regierungsarbeit einzubringen.

Erfreulich dagegen ist die Übereinkunft über die Sicherung der bestehenden Programme gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Der Arbeit der Anti-Rechts-Initiativen wird endlich wieder hoher Stellenwert zugestanden. Die umstrittene Extremismusklausel, wonach ein Demokratiegelübde abgegeben werden soll, wird wohl abgeschafft. Das Budget für diese Programme soll laut Koalitionsvertrag aufgestockt werden. Angesichts der Entwicklungen der vergangenen Jahre ist dies eine dringend notwendige Kursänderung.

israel Ausdrücklich bekennt sich die Koalition zu Israel. Das ist wenig überraschend. Das Verhältnis zu Israel war bereits bei der vorherigen Großen Koalition mit dem SPD-geführten Außenministerium stabil und positiv. Der übliche Wortlaut zur Zweistaatenlösung, zu sicheren Grenzen Israels und seinem unverhandelbaren Existenzrecht ist nicht neu. Auffällig diesmal ist der Passus zum Iran: »Unser Ziel ist die Rückgewinnung des Iran als vertrauensvoller Partner auf der internationalen Bühne.«

Dieses ambitionierte Ziel will die Regierung durch Diplomatie und gezielte Sanktionen erreichen. Der Iran »solle alle Zweifel am ausschließlich friedlichen Charakter seines Atomprogramms ausräumen«. Umgekehrt heißt dies: Der Iran könne ein ziviles Atomprogramm weiter verfolgen, wenn das Land das »Vertrauen« des Westens erwirbt. Viele, gerade in Israel, halten den Iran, solange er das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, für kein Land, zu dem man Vertrauen aufbauen kann. Daran sollte auch die neue deutsche Regierung stetig erinnern.

Bekanntlich sind Koalitionsverträge noch keine Gesetzesentwürfe. Vieles bleibt vage. Unter dem Strich ist jetzt klar: Die generelle Richtung stimmt. Die Koalition will sozialer werden. Gleichzeitig gilt: Der Koalitionsvertrag gibt wenige Antworten auf zentrale Herausforderungen, mit denen sich die jüdische Gemeinschaft konfrontiert sieht. Eine Koalition, die sich laut Vertrag dem florierenden jüdischen Leben verpflichtet fühlt, darf diese nicht ignorieren. Es ist an uns, sie in den nächsten vier Jahren an diese Erklärung zu erinnern.

Der Autor ist Rechtsanwalt und Bundesvorstand des Arbeitskreises Jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.

Großbritannien

Israelfeindlicher Protest: Greta Thunberg festgenommen

In London treffen sich Mitglieder der verbotenen Gruppe Palestine Action zu einer Protestaktion. Auch die schwedische Aktivistin ist dabei. Die Polizei schreitet ein

 23.12.2025

Stockholm

Was bleibt von den Mahnungen der Überlebenden?

Der Schoa-Überlebende Leon Weintraub warnt vor der AfD und Fanatismus weltweit. Was für eine Zukunft hat die deutsche Erinnerungskultur?

von Michael Brandt  23.12.2025

Israel

Netanjahu warnt Türkei

Israel will die Zusammenarbeit mit Griechenland und Zypern stärken. Gleichzeitig richtet der Premier scharfe Worte an Ankara

 23.12.2025

New York

Mitglieder von Mamdanis Team haben Verbindungen zu »antizionistischen« Gruppen

Laut ADL haben mehr als 80 Nominierte entsprechende Kontakte oder eine dokumentierte Vorgeschichte mit israelfeindlichen Äußerungen

 23.12.2025

Düsseldorf

Reul: Bei einer Zusammenarbeit mit der AfD wäre ich weg aus der CDU

Die CDU hat jede koalitionsähnliche Zusammenarbeit mit der AfD strikt ausgeschlossen. Sollte sich daran jemals etwas ändern, will Nordrhein-Westfalens Innenminister persönliche Konsequenzen ziehen

 23.12.2025

Interview

»Diskrepanzen zwischen warmen Worten und konkreten Maßnahmen«

Nach dem Massaker von Sydney fragen sich nicht nur viele Juden: Wie kann es sein, dass es immer wieder zu Anschlägen kommt? Auch der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, sieht Defizite

von Leticia Witte  22.12.2025

Washington D.C.

Kritik an fehlenden Epstein-Dateien: Minister erklärt sich

Am Freitag begann das US-Justizministerium mit der Veröffentlichung von Epstein-Akten. Keine 24 Stunden später fehlen plötzlich mehrere Dateien - angeblich aus einem bestimmten Grund

von Khang Mischke  22.12.2025

Australien

Behörden entfernen Blumenmeer für die Opfer von Bondi Beach

Die Regierung von New South Wales erklärt, man habe sich vor dem Abtransport der Blumen eng mit der jüdischen Gemeinde abgestimmt

 22.12.2025

Sydney

Attentäter warfen Sprengsätze auf Teilnehmer der Chanukka-Feier

Die mutmaßlichen Attentäter Naveed und Sajid Akram bereiteten sich auf das Massaker vor. Ihre Bomben explodierten nicht

 22.12.2025