Reichsbürger

Reale Gefahr

»Es besteht ein akutes Sicherheitsrisiko«: Polizisten führen Heinrich XIII. Prinz Reuß ab. Foto: picture alliance/dpa

Unter den vergangene Woche verhafteten Mitgliedern einer mutmaßlichen Verschwörerzelle von sogenannten Reichsbürgern, die Ermittlern zufolge einen Umsturz planten, ist auch der frühere Kriminalhauptkommissar Michael F.

Dieser ist seit Beginn der Corona-Pandemie 2020 nicht nur durch die Verbreitung von Verschwörungsmythen aufgefallen. Vergangenes Jahr kandidierte er für die Partei »Die Basis«. Der 58-Jährige war Erkenntnissen der Ermittler zufolge auch Teil des militärischen Arms der Verschwörer um Heinrich XIII. Prinz Reuß.

Vor seiner Suspendierung und Entlassung aus dem Polizeidienst war F. bei der Polizei in der niedersächsischen Landeshauptstadt für Prävention zuständig und hatte auch an der Ausarbeitung von Sicherheitsmaßnahmen für die jüdischen Gemeinden mitgewirkt. Rebecca Seidler, Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover, ist besorgt: »Es besteht ein akutes Sicherheitsrisiko, auf das umgehend reagiert werden muss«, findet sie.

F. habe sich wegen seiner Tätigkeit »Detailwissen über die Sicherheitssituation unserer Gemeinden angeeignet«. Niemand wisse momentan, ob und wie er dieses Wissen in der rechten Szene gestreut habe. »Ich erwarte von den Sicherheitsbehörden, dass sie sich mit uns in Austausch setzen, wie die Sicherheit für unsere Gemeinden gewährleistet werden kann«, fordert Seidler.

STAATSDIENER Ein Sicherheitsrisiko sieht Michael Fürst, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hannover sowie des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, hingegen nicht. Es sei nicht verwunderlich, dass es auch bei Polizei und Bundeswehr vereinzelt Sympathisanten der Reichsbürger und anderer extremistischer Strömungen gebe, sagte Fürst dieser Zeitung.

Der jetzt verhaftete Ex-Polizist habe aber keine Bedrohung für die jüdische Gemeinde dargestellt. »Der macht mir keine Sorgen. Viel besorgniserregender finde ich, dass hier eine Bande Krimineller offenbar versucht hat, die staatliche Ordnung über den Haufen zu werfen«, so Fürst.

»Das Ausmaß des Netzwerks ist erschütternd«, betont Josef Schuster.

Bislang sei nicht erwiesen, dass überdurchschnittlich viele Polizisten oder Soldaten Teil der Verschwörergruppe gewesen seien. »Unsere Sicherheitsbehörden sind durchaus in der Lage, gut zu arbeiten«, meint der frühere Bundeswehroffizier, das hätten die Razzien vergangene Woche gezeigt.

Dennoch sieht Fürst noch Verbesserungsbedarf – vor allem, was die standardmäßige Sicherheitsüberprüfung von Soldaten und Polizisten auf Verfassungstreue während ihrer aktiven Laufbahn angeht. Da habe man in den vergangenen Jahren eher nachlässig gehandelt. Es könne bei Staatsdienern keine Unschuldsvermutung geben; etwaige Ex­tremisten müssten »schnellstmöglich« aus dem Staatsdienst entfernt werden.

Zu den 25 Personen, die bei bundesweiten Razzien festgenommen wurden und in Untersuchungshaft sitzen, zählen auch ehemalige Bundeswehroffiziere und Polizisten. 23 von ihnen wirft die Bundesanwaltschaft die Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor. Sie hätten es darauf abgesehen, das politische System zu zerstören. Weitere Personen werden als mögliche Unterstützer der Gruppe um den 71-jährigen Reuß geführt, der nach dem Putsch als Staatsoberhaupt vorgesehen war.

Das Ausmaß dieses Netzwerks sei »erschütternd«, betont Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. »Die Gedanken dieser Leute mögen wirr sein, die Gefahr von rechts ist aber real.«

VERSCHWÖRUNGSMYTHEN Laut Gene­ral­bundesanwalt hatte die Gruppe vor, nach dem Putsch eine militärische Übergangsregierung zu bilden. Den Verschwörern sei auch bewusst gewesen, dass dieses Vorhaben »nur durch den Einsatz militärischer Mittel und durch Gewalt« gegen Repräsentanten der Bundesrepublik hätte verwirklicht werden können, so die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe.

Dabei hätten die in der Reichsbürgerszene verbreiteten Verschwörungsmythen, unter anderem die antisemitische QAnon-Ideologie, eine wichtige Rolle gespielt, erklärte Generalbundesanwalt Peter Frank. Die Reichsbürger, die die Bundesrepublik nicht anerkennen, sind den Erkenntnissen seiner Behörde zufolge der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten »Deep State« regiert werde, die Befreiung Deutschlands durch einen Geheimbund ausländischer Mächte aber unmittelbar bevorstehe.

Mittels 286 bewaffneter »Heimatschutzkompanien«, berichteten die Ermittler am Montag dem Innenausschuss des Bundestages, hätten die Verschwörer die gewaltsame Beseitigung des demokratischen Rechtsstaats auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen durchsetzen wollen. Auch Tote seien in Kauf genommen worden.

Musik

Nach Antisemitismus-Eklat: Bundeskanzler Merz äußert sich zur Ausladung von Lahav Shani

Die Hintergründe

 14.09.2025

Essay

Ausweg Palästina

Große Teile der Linken sind mit der Komplexität der Gegenwart überfordert. Orientierung suchen sie ausgerechnet im Hass auf den jüdischen Staat. Mit progressiver Politik hat das wenig zu tun

von Jessica Ramczik, Monty Ott  13.09.2025

Sachsenhausen

120 Minuten Holocaust

Angesichts des grassierenden Antisemitismus sollen Schüler zum Besuch einer NS-Gedenkstätte verpflichtet werden. Doch was kann eine Führung vor Ort tatsächlich bewirken?

von Mascha Malburg  13.09.2025

Brüssel

»Gegen EU-Grundwerte«: Kommission verurteilt Festival

Eine Sprecherin der Europäischen Kommission hat den Boykott der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani in die Nähe von Antisemitismus gerückt und scharf verurteilt

von Michael Thaidigsmann  12.09.2025

Belgien

»Ruf unseres Landes beschmutzt«: Premier rügt Gent-Festival

Premier Bart de Wever kritisiert die Leiter eines belgischen Festivals dafür, die Münchner Philharmoniker und ihren Dirigent Lahav Shani ausgeladen zu haben

 12.09.2025

Berlin

Humboldt-Universität will gegen Antisemitismus vorgehen

Präsidentin Julia von Blumenthal sieht ihre Hochschule für künftige Auseinandersetzungen rund um den Nahost-Konflikt gut vorbereitet

von Lukas Philippi  12.09.2025

Kommentar

Die Genozid-Lüge

Wie die Hamas nach dem 7. Oktober vom Täter zum Opfer wurde – und Israel zur Verkörperung des Bösen schlechthin

von Stephan Lehnstaedt  12.09.2025

Nachkriegsjustiz

Verhandlung über Massenmord: Vor 80 Jahren begann der Belsen-Prozess

Fünf Monate nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen erhob ein britisches Militärgericht in Lüneburg Anklage gegen die Täter. In einer Turnhalle begann damit vor 80 Jahren der erste große NS-Kriegsverbrecherprozess in Deutschland

von Karen Miether  12.09.2025

Belgien

Deutsche Botschaft beendet Partnerschaft mit Gent-Festival

Die Deutsche Botschaft in Brüssel hat nach der Ausladung der Münchner Philharmoniker ihre Zusammenarbeit mit dem Flandern-Festival in Gent eingestellt

von Michael Thaidigsmann  11.09.2025