Geschichte

Polnisches Reparationsgutachten wird unter Verschluss gehalten

»Dafür kommt noch eine passende Zeit«: Arkadiusz Mularczyk von der polnischen Regierungspartei PiS Foto: imago

Eine polnische Parlamentskommission hat ihren Bericht zu den von Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg angerichteten Kriegsschäden zwar fertigstellt, er wird aber bis auf weiteres unter Verschluss gehalten. Die Arbeit sei abgeschlossen, er wolle sich aber noch nicht zu Details äußern, sagte der bisherige Kommissionsleiter aus der Regierungspartei PiS, Arkadiusz Mularczyk, der Deutschen Presse-Agentur in Warschau wenige Tage vor dem 75. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai. »Dafür kommt noch eine passende Zeit.«

Die Parlamentskommission war 2017 eingesetzt worden, um die Kriegsschäden in dem 1939 von Deutschland überfallenen und bis 1945 besetzten Polen festzustellen. Ihr Bericht gilt als Grundlage für eine Entscheidung der polnischen Regierung über mögliche Reparationsforderungen an Deutschland. Nach früheren polnischen Schätzungen, die auf einer Bestandsaufnahme von 1946 plus Zinsen beruhen, belaufen sich die Schäden auf 800 Milliarden Euro. Polen hatte im Zweiten Weltkrieg gemessen an der Gesamtbevölkerung so viele Tote zu beklagen wie kein anderes Land - vier bis sechs Millionen Menschen kamen ums Leben.

Vor dem 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs im vergangenen Jahr hatte Warschau in der Reparationsdebatte den Druck deutlich erhöht. Bei der Entschädigung der von Deutschland angegriffenen Länder habe es »einen Mangel an grundsätzlicher Fairness« gegeben, sagte der polnische Außenminister Jacek Czaputowicz damals. »Polen wurde in diesem Prozess diskriminiert.« Und auch Regierungschef Mateusz Morawiecki kritisierte, Polen habe von Deutschland bis heute keine angemessene Kompensation für die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs erhalten. Dabei könne es nicht bleiben.

Vor dem 75. Jahrestag des Kriegsendes an diesem Freitag hört sich das ganz anders an. »Die Angelegenheit der Reparationen ist aktuell kein Thema für Diskussionen der polnischen Regierung«, heißt es aus dem polnischen Außenministerium. Man warte auf die Vorstellung des Berichts von Mularczyks Parlamentskommission, von dem man aber nicht wisse, wann er veröffentlicht werde. Generell bleibe die Frage der Entschädigung aber auf der Agenda der deutsch-polnischen Beziehungen.

Auch aus der öffentlichen Debatte in Polen ist das Thema verschwunden. Der Warschauer Politologe Antoni Dudek führt das unter anderem darauf zurück, dass sich derzeit alles darum drehe, ob die Präsidentenwahl trotz der massiven Schutzmaßnahmen gegen Corona wie geplant am nächsten Sonntag abgehalten werden soll. »Das ist nicht der geeignete Moment, um diese Sache (die Reparationen) aus der Schublade zu ziehen«, sagt Dudek. »Ein weiterer Faktor ist die Frage, wie es mit der EU und dem gemeinsamen Haushalt weitergeht, welche Rolle Deutschland spielt.«

Doch der Politologe ist überzeugt: Der mächtige PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski wartet auf den richtigen Zeitpunkt, um den Bericht über die Kriegsschäden in den deutsch-polnischen Beziehungen auszuspielen. »Wenn infolge der Epidemie die Wirtschaftskrise beginnt, wird es verzweifelte Versuche geben, finanzielle Mittel zu organisieren.« Es sei denkbar, dass Kaczynski die Forderungen dann aus der Versenkung hole.

Für die Bundesregierung ist das Thema aber rechtlich und politisch abgeschlossen. Sie beruft sich vor allem auf den Zwei-plus-Vier- Vertrag über die außenpolitischen Folgen der deutschen Einheit von 1990. In dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik, der DDR und den vier ehemaligen Besatzungsmächten USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien sind Reparationen allerdings nicht ausdrücklich erwähnt. Außerdem waren zahlreiche von Nazi-Deutschland angegriffene und besetzte Staaten wie Griechenland und Polen an den Verhandlungen darüber nicht beteiligt.

Auch in Griechenland war deswegen eine Parlamentskommission eingesetzt worden, die die von Deutschland verursachten Kriegsschäden auf 289 Milliarden Euro schätzte - inklusive einer Zwangsanleihe, die Griechenland der Deutschen Reichsbank während des Kriegs gewähren musste. Die inzwischen abgewählte Regierung des linken Ministerpräsidenten Alexis Tsipras hatte das Thema vorangetrieben und im Juni vergangenen Jahres die Bundesregierung sogar in einer diplomatischen Note zu Verhandlungen aufgefordert. Seit der konservative Regierungschef Kyriakos Mitsotakis das Ruder übernommen hat, wird die Entschädigungsfrage aber auch aus Athen nicht mehr offensiv gestellt.

Philosophie

Hannah Arendt und die Freiheit des Denkens

Die politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts waren ihr Lebensthema. Sie sah ihre Aufgabe als politische Denkerin darin, die Welt und die Menschen zu verstehen. Die politische Theoretikerin starb vor 50 Jahren

von Jürgen Prause  02.12.2025

Verteidigung

Deutschland stellt Arrow 3 in Dienst

Erstmals kommt das Raketenabwehrsystem außerhalb Israels zum Einsatz

 02.12.2025 Aktualisiert

Interview

»Die Altersarmut bleibt«

Aron Schuster über das Ende des Härtefallfonds, Einmalzahlungen und Gerechtigkeit für jüdische Rentner

von Mascha Malburg  02.12.2025

Meinung

Die neue AfD-Jugendpartei ist kein bisschen weniger extrem

Die »Junge Alternative« wurde durch die »Generation Deutschland« abgelöst. Doch die Neuordnung der AfD-Jugendorganisation diente keineswegs ihrer Entradikalisierung

von Ruben Gerczikow  02.12.2025

Berlin

Zentrum für Politische Schönheit errichtet »Walter Lübcke Memorial« vor CDU-Zentrale

Am Freitag soll außerdem eine Gedenkveranstaltung mit Michel Friedman durchgeführt werden

 02.12.2025

Berlin

Israel-Flagge vor Rotem Rathaus eingeholt

Nach mehr als zwei Jahren wurde die Fahne am Dienstag vom Mast geholt. Die Hintergründe

 02.12.2025

Berlin

Steinmeier erinnert an Stiftungsgründung für NS-Zwangsarbeiter

Im Jahr 2000 gründeten die deutsche Wirtschaft und der Bund nach langem Vorlauf die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Millionen NS-Opfer erhielten zumindest einen symbolischen Betrag

 02.12.2025

Rechtsextremismus

Fragezeichen nach skurriler Rede bei AfD-Jugendkongress 

Wer steckt hinter dem mysteriösen Auftritt des Mannes, der mit einer Rede im Hitler-Stil den Gründungskongress der AfD-Jugend aufmischte? Ihm droht der Parteiausschluss

von Jörg Ratzsch  01.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  01.12.2025 Aktualisiert