Paris

Politisches Beben

Foto: picture alliance / Anadolu

Am Tag nach dem unerwarteten Ergebnis bei der Parlamentswahl muss Frankreich sich neu sortieren. Der Rechtsruck fällt schwächer aus als angenommen - in der neu gewählten Nationalversammlung wird voraussichtlich ein Linksbündnis stärkste Kraft.

Premierminister Gabriel Attal zog erste Konsequenzen und kündigte seinen Rücktritt an. Eine regierungsfähige Mehrheit ist aber noch nicht in Sicht, zudem fehlt es den Linken an einer gemeinsamen Führung. Ungewiss ist auch, was das Ergebnis für Deutschland und Europa heißt.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Die Nouveau Front Populaire aus Linken, Kommunisten, Sozialisten und Grünen könnte nach Angaben der Institute Ipsos und Ifop auf 177 bis 192 der 577 Sitze kommen - und sorgte damit für eine große Überraschung.

Lesen Sie auch

Streit gibt es innerhalb der Linken vor allem über die altlinke Führungsikone Jean-Luc Mélenchon. Der Populist, der mit euroskeptischen Aussagen auffällt und einen klar israel- und immer wieder auch dezidiert judenfeindlichen Kurs fährt, wird selbst innerhalb seiner Partei heftig kritisiert.

Siegesfeiern und Ausschreitungen

Das Mitte-Lager von Staatspräsident Emmanuel Macron und Attal hingegen sackt demnach von zuvor 250 auf nun 152 bis 169 Mandate ab. Das Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen und seine Verbündeten wachsen von zuletzt 88 auf 138 bis 145 Sitze - und dürfte somit nur auf dem dritten Platz landen. Die absolute Mehrheit von 289 Sitzen dürfte aber keine der Gruppierungen erreichen. 

In Städten im ganzen Land kam es in der Nacht bei Kundgebungen zu Ausschreitungen. In Paris versammelten sich Tausende Menschen auf der Place de la République im Zentrum der Hauptstadt, um den Sieg des Linksbündnisses zu feiern. Dabei geriet ein Teil der Demonstranten nach Medienberichten mit Ordnungskräften aneinander, die daraufhin Tränengas einsetzen. Barrikaden aus Holz wurden in Brand gesetzt. Auch in Lille, Rennes und Nantes kam es zu Auseinandersetzungen.

Linke sieht Regierungsverantwortung - trotz tiefer Gräben

Frankreichs gespaltene Linke hatte sich erst vor wenigen Wochen für die Wahl zum Nouveau Front Populaire zusammengeschlossen. Bei der Europawahl Anfang Juni waren die Parteien noch einzeln angetreten.

Eine klare Führung hat das Bündnis aus Linken, Kommunisten, Sozialisten und Grünen nicht. Auch ein gemeinsames Programm gibt es nicht.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Einen Regierungsanspruch meldeten die Linken nach ihrem Überraschungssieg dennoch an. »Wir haben gewonnen und jetzt werden wir regieren«, sagte Grünen-Generalsekretärin Marine Tondelier. Auch der Gründer der französischen Linkspartei Mélenchon verlangte von Macron, das Linksbündnis zum Regieren aufzufordern.

Le Pen schaut nach vorne

Eigentlich war mit einem haushohen Sieg des rechtsnationalen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen gerechnet worden. Nach der ersten Wahlrunde vor einer Woche sahen Prognosen das RN noch knapp unter der absoluten Mehrheit und damit möglicherweise in der Lage, die nächste Regierung zu stellen. Eine Regierung der Rechtsnationalen - wohl das Schreckszenario für Deutschland und die EU - scheint vorerst abgewendet. Deutlich zugelegt hat das RN dennoch. 

Le Pen gab sich nach den ersten Hochrechnungen gelassen: »Die Flut steigt weiter und unser Sieg ist heute nur aufgeschoben.« Auch RN-Chef Jordan Bardella sagte, seine Partei sei die einzige Alternative zur angeblichen »Einheitspartei« des linken Lagers und der Mitte-Kräfte.

Linke und Macrons Mitte-Kräfte hatten vor der zweiten Wahlrunde eine Zweckallianz gebildet. Um sich in Wahlkreisen, in denen drei Kandidaten in die zweite Runde kamen, nicht gegenseitig Stimmen wegzunehmen und dem RN so lokal zum Sieg zu verhelfen, zogen sich etliche Kandidaten der Linken und der Liberalen zurück. Ihre Wählerschaft riefen sie dazu auf, in jedem Fall gegen das RN zu stimmen.

Große Koalition oder Minderheitsregierung?

Wie es weitergeht, ist vorerst unklar. Ob die Linken alleine eine Minderheitsregierung auf die Beine stellen können, ist ungewiss. Die anderen Fraktionen könnten eine solche Regierung per Misstrauensvotum stürzen.

Die Linken könnten auch versuchen, von den Mitte-Kräften Unterstützung zu bekommen - entweder als eine Minderheitsregierung mit Duldung oder in einer Art Großen Koalition. Angesichts der gegensätzlichen politischen Ausrichtungen ist allerdings nicht abzusehen, ob dies gelingen könnte. Der Chef der Sozialisten, Olivier Faure, erklärte zudem bereits, es solle keine »Koalition der Gegensätze« geben.

Unklar ist, ob Staatschef Macron Attals Rücktritt annehmen und einen Linken zum Premier ernennen wird. In einer solchen Konstellation würde Macron an Macht einbüßen, der Premier, der die Regierungsgeschäfte leitet, würde wichtiger. 

Was dies für Deutschland und Europa hieße, hinge wohl stark davon ab, wer auf den Posten käme. Das Linksbündnis vertritt bei vielen großen politischen Themen sehr unterschiedliche Positionen.

Ungewisse Zukunft

Sollte keines der Lager eine Regierungsmehrheit finden, könnte die aktuelle Regierung übergangsweise die Amtsgeschäfte führen oder eine Expertenregierung eingesetzt werden. Frankreich droht in einem solchen Szenario politischer Stillstand. Eine erneute Auflösung des Parlaments durch Macron und eine Neuwahl sind erst im Juli 2025 wieder möglich.

Meinung

Wieder ein Milliarden-Blankoscheck für Palästina?

Europa will den Wiederaufbau Gazas mit 1,6 Milliarden Euro fördern. Glaubt man in Brüssel wirklich, durch Scheckbuchdiplomatie etwas zum Besseren verändern zu können?

von Jacques Abramowicz  07.11.2025

Jerusalem

Bischof Azar bedauert Irritation durch »Völkermord«-Äußerung

Weil er in einem Gottesdienst in Jerusalem von »Völkermord« an den Palästinensern sprach, hat der palästinensische Bischof Azar für Empörung gesorgt. Nun bedauert er, dass seine Worte Irritation ausgelöst haben

von Christine Süß-Demuth  07.11.2025

Berlin

Israelfeindliche Aktivisten besetzen ZDF-Hauptstadtstudio

Die Polizei musste die Besetzung beenden

 07.11.2025

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

9. November

Erinnerung ohne Empathie ist leer

Wenn Deutschland am Sonntag der Pogromnacht gedenkt, darf Erinnerung nicht nur rückwärtsgewandt sein. Sie muss auch die Angst der Juden von heute im Blick haben

von Tobias Kühn  07.11.2025

Berlin

Sarah Wedl-Wilson räumt Defizite bei Fördermittel-Vergabe ein

Wurden Gelder für Projekte gegen Antisemitismus rechtswidrig verteilt? Das werfen Grüne und Linke der Kultursenatorin vor. Nun äußert sie sich

 07.11.2025

Diplomatie

Kasachstan will sich den Abraham-Abkommen anschließen

US-Präsident Donald Trump kündigte den Schritt wenige Tage vor dem Besuch des saudischen Kronprinzen im Weißen Haus. Auch Saudi-Arabien solle seine Beziehungen zu Israel normalisieren, so die Hoffnung des US-Präsidenten

 07.11.2025

Antiisraelischer Beschluss

Linken-Spitze distanziert sich von Parteijugend

Die Linksjugend Solid wirft Israel unter anderem einen »kolonialen und rassistischen Charakter« vor – und löst in der Partei Empörung aus

 06.11.2025

Urteil

Betätigungsverbot für israelfeindlichen Aktivisten war rechtswidrig

Ghassan Abu-Sittah, der der israelischen Armee vorwirft, vorsätzlich Kinder zu töten, hätte auf dem »Palästina-Kongress« sprechen dürfen

 06.11.2025