Gottvertrauen

Nur keine Angst

Wer gottesfürchtig ist, der weiß, alles ist in Gottes Händen. Foto: Flash 90

Pfefferspray, Gaspistole, Elektroschocker: Immer mehr Bundesbürger rüsten auf. Sie sagen, dass sie sich schützen wollen, dass sie Angst haben. Die Schlagzeilen der Flüchtlingskrise, die Ereignisse in Köln – sie tragen zur Beunruhigung bei.

Wir leben in unruhigen Zeiten. Uns Juden treibt die Sorge vor einem importierten Antisemitismus um, auch Rassismus und Judenhass von Rechts machen immer mehr Sorge. Angesichts der Bilder aus Bautzen und Clausnitz kann es einem vor dem Mob angst und bange werden.

Und das sind nur die durch die aktuelle Lage bestimmten Ängste. Die größte Angst haben die Bundesbürger davor, unheilbar krank zu werden, ergab jetzt eine aktuelle Umfrage. An zweiter Stelle steht die Angst, im Alter zum Pflegefall zu werden, gefolgt von der Angst, in wirtschaftliche Not zu geraten.

ratgeber Angst ist ein beherrschendes Gefühl. Immer mehr Menschen scheinen derzeit stark verunsichert. Viele fragen sich, wie sie damit umgehen können. »Angst ist kein guter Ratgeber«, höre ich dann oft – und denke mir, dass diese vermeintliche Weisheit selbst kein guter Ratschlag ist.

Angst ist nicht per se negativ. In den biblischen Sprüchen Salomos (Mischlej, 28,14) heißt es: »Aschrej adam mefached tamid« – Wohl dem, der sich stets fürchtet. Was damit gemeint ist? Die Angst vor G’tt, Jirat Schamajim. So wie unsere Kopfbedeckung, die Kippa, im Jiddischen »Jarmulke« genannt wird. Das Wort kommt von Jirat Malka, die Furcht vor dem König. Die G’ttesfurcht schützt uns vor allen anderen Ängsten, zumindest vor den unbegründeten. Wer g’ttesfürchtig ist, der weiß, alles ist in G’ttes Händen.

Er weiß aber auch, dass Angst ein notwendiges Signal sein kann, das uns vor Gefahren schützt. So wie die Tora von der Angst Jakows erzählt, der seinen Bruder Esaw in Begleitung von 400 Soldaten »sehr fürchtet«. Seine Angst bringt ihn zu der weisen Entscheidung, zu beten, den Bruder mit Geschenken milde zu stimmen – und sich gleichzeitig auf eine Schlacht vorzubereiten.

xenophobie Wir sollten unsere Ängste ernst nehmen, uns ihnen stellen. Ich habe dazu kürzlich Einiges von Borwin Bandelow, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen, einem der führenden Angstforscher in Deutschland, gelesen. Er meint, viele Ängste seien zum Teil genetisch bedingt. Zum Beispiel sei die Angst vor dem Fremden, die Xenophobie, eine archaische Urangst. Man tat in der menschlichen Frühgeschichte alles, um andere fernzuhalten. Konkurrenz um Nahrung, Partner oder Territorium gefährdete das Überleben. Auch die Angst vor Spinnen und anderem damals gefährlichen Getier steckt tief in uns, obwohl diese Tiere in unseren Breitengraden heute nur noch selten lebensbedrohend sind.

Bandelow spricht von einem »primitiven Angstsystem« und vom »Vernunftgehirn«, die im Widerstreit liegen. Intelligenz schützt nicht vor dieser uralten Angst. Das Angstsystem reagiert nicht auf entkräftende Fakten, schon gar nicht bei Gefahren, die uns neu und unbeherrschbar erscheinen, vom Beispiel bei der neuen gewaltsamen Form von Übergriffen, dem islamistischen Terror oder einem neuen Virus. Auf so etwas reagieren Menschen immer sehr stark und überschätzen die Gefährdung.

Alle primitiven Ängste sind sehr leicht aktivierbar. Dem kann man im politischen Diskurs kaum wirkungsvoll begegnen, weil nur der rationale Anteil des Gehirns den Fakten zugänglich ist.

verunsicherung Typisch ist auch, dass sich Menschen in Angstsituationen eher zurückziehen, die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden lieber vermeiden, stattdessen die Bestätigung der eigenen Meinung suchen. Die Zeit der Verunsicherung ist die Zeit der einfachen Antworten. Und die geben – bezogen auf die aktuelle Sorge vor gesellschaftlichen Veränderungen – die Rechtspopulisten. Demagogen nutzen die Situation, schüren die Angst noch weiter.

Die Tora gibt die Anweisung, bestimmte Personen nicht in den Krieg ziehen zu lassen. Dazu gehören Frischvermählte, aber auch diejenigen, die Angst haben. Es stellt sich die Frage, ob nicht jeder Angst haben sollte, der sich auf den Kampf vorbereiten muss. Die rabbinische Antwort lautet: Jein. Einerseits sollte jeder – siehe oben – von der Ehrfurcht vor dem Schöpfer begleitet sein, aber auch so viel G’ttvertrauen haben, dass er nicht von seinen Sorgen gelähmt wird. Der Sinn der biblischen Anweisung ist eher, dass diejenigen, die selbst angsterfüllt sind, auch unter anderen Angst verbreiten. Angst steckt an, und das ist nicht hilfreich. Wie eben derzeit die schon erwähnte Angstmache der Rechtspopulisten.

Wir müssen uns unserer Ängste nicht schämen. Doch sollten wir versuchen, so rational wie möglich mit ihnen umzugehen. Wir alle haben Angst vor dem Tod. Aber das ist irrational, denn das Ende des Lebens auf dieser Welt wird für uns alle kommen. Viel rationaler ist hingegen die Angst, unser Leben nicht richtig zu leben. Also leben wir, mit so viel Zuversicht und G’ttvertrauen wie möglich – und so wenig Angst wie nötig.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main.

Jerusalem

Merz: Deutschland wird immer an der Seite Israels stehen

Der Bundeskanzler bekräftigt bei seinem Israel-Besuch die enge Partnerschaft - und hofft auf konkrete Fortschritte bei Trumps Gaza-Plan

von Sara Lemel  06.12.2025

Diplomatie

»Dem Terror der Hamas endgültig die Grundlage entziehen«

Es ist eine seiner bisher wichtigsten Auslandsreisen, aber auch eine der schwierigsten. Kanzler Merz ist für zwei Tage im Nahen Osten unterwegs

 06.12.2025

Jerusalem

Merz trifft Netanjahu und besucht Holocaust-Gedenkstätte

Es ist einer der wichtigsten Antrittsbesuche von Kanzler Merz - aber auch einer der schwierigsten. In den Beziehungen zu Israel gab es in den letzten Monaten einige Turbulenzen

von Michael Fischer  06.12.2025

Akaba/Jerusalem

Merz zu Nahost-Reise aufgebrochen: Antrittsbesuch in Israel 

Das Renten-Drama ist überstanden, jetzt geht es für den Kanzler erstmal ins Ausland. Heute und morgen steht ein besonderer Antrittsbesuch auf seinem Programm

 06.12.2025

Wien

EBU: Boykott hat keine Folgen für Finanzierung des ESC 2026

Der Gesangswettbewerb steht unter Druck. Die Boykott-Welle hat laut der Europäischen Rundfunkunion aber keine Auswirkungen auf dessen Finanzierung. Es werden aktuell rund 35 Staaten erwartet

 05.12.2025

Offenbach

Synagoge beschmiert, Kinder durch Graffiti eingeschüchtert

Rabbiner Mendel Gurewitz: »Ich war der Meinung, dass wir hier in Offenbach mehr Toleranz zwischen den unterschiedlichen Kulturen und Religionen haben als etwa in Frankfurt oder in anderen Städten.«

 05.12.2025

Gaza

Wie die Hamas Hilfsorganisationen gefügig machte

Einer Auswertung von »NGO Monitor« zufolge konnten ausländische Organisationen in Gaza nur Hilsprojekte durchführen, wenn sie sich der Kontrolle durch die Hamas unterwarfen

von Michael Thaidigsmann  05.12.2025

Washington D.C.

Trump plant Übergang in Phase II des Gaza-Abkommens

Der nächste große Schritt erfolgt dem Präsidenten zufolge schon bald. Ein »Friedensrat« soll noch vor Weihnachten präsentiert werden

 05.12.2025

Berlin

Linken-Chef empört über Merz-Reise zu Netanjahu

Jan van Aken regt sich darüber auf, dass er Bundeskanzler Ministerpräsident Netanjahu treffen wird

 05.12.2025