Berlin

Nahost in Neuköln

Anteil: Etwa 65 Prozent der Menschen in Nord-Neukölln haben einen Migrationshintergrund. Foto: Mike Minehan

Wer in den Iran möchte, drückt Nummer 7, der Libanon hat die 8, und will man nach Saudi-Arabien telefonieren, dann wählt man die 9. Ein Blick auf die abgeknabberten rot-weiß-grün-schwarzen Flaggen-Aufkleber, die an der fast blinden Scheibe des zugestopften Telefonshops kleben, und man weiß: Das ist nicht Berlin-Mitte, sondern Neukölln.

In einem der Schischa-Cafés an der Sonnenallee, die sich durch den Bezirk zieht, sitzen am späten Freitagnachmittag kleine Grüppchen älterer Herren auf weißen Plastikstühlen. Sie lassen Gebetsketten durch ihre Hände gleiten und trinken dunklen Tee. An ihnen vorbei eilen junge Musliminnen perfekt geschminkt, mit voll bepackten Einkaufstüten. In einem Souvenirgeschäft verkauft ein junger Mann von der Wasserpfeifen-Grundausrüstung bis zum Wimpel in den Farben der palästinensischen Flagge wohl fast alles, was auch nur im Entferntesten mit dem Nahen Osten zu tun hat. Aber gewiss nichts mit Israel.

israelis Mitten in diesem Kiez bereiten sich Jugendliche mit größtenteils palästinensischem Migrationshintergrund auf ihre erste Begegnung mit Israelis vor. Jugendliche von »Noar Oved«, der sozialistischen Jugendorganisation, sind auf Berlin-Besuch. Die 14-jährige Amira und ihre Freundin Sabrin sind schon ganz gespannt, den Menschen zu begegnen, von denen sie sonst nur aus dem Fernsehen erfahren. »Ich finde es gut, dass wir die anderen treffen, denn bis jetzt konnte ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass Juden und Palästinenser in Israel zusammenleben.«

Sabrin und Amira sind aber nicht nur der Begegnung wegen hier. Die beiden Mädchen kommen regelmäßig in den Verein »Blickwinkel«, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Kindern mit Migrationshintergrund Nachhilfe zu geben oder ihnen bei Bewerbungen und Problemen im Alltag beiseitezustehen.

cool 2007 gegründet, kommen regelmäßig bis zu 60 Jugendliche im Alter von 15 bis 18 Jahren in die kleinen Räume in der Sonnenallee. »Fast 80 Prozentvon ihnen haben einen arabischen Migrationshintergrund«, sagt Susanne Nadapdap, die mit ihrem Kollegen Folke Burghoff und vielen Freiwilligen das Projekt betreut. Dabei sei es nicht nur wichtig, mit den Jugendlichen über politische oder gesellschaftliche Unterschiede und Entwicklungen zu sprechen, sondern auch, Kontakt zu den Eltern aufzubauen. »Wir wollen Bildungsarbeit leisten«, betont Nadapdap.

Eine große Herausforderung. Wie auch das Treffen mit den israelischen Jugendlichen. Ein 17-jähriger Junge, der sich selbst zuerst als »Palästinenser« und erst dann als Abed vorstellt, ist sich noch nicht ganz sicher, was ihn erwartet. Obwohl er seine Zweifel hinter einem coolen Blick und einer kräftigen Stimme zu verbergen sucht, merkt man, dass er aufgeregt ist. Die Hände sind unruhig, der Blick geht hin und her.

»Man trifft jemanden, der in Israel wohnt, das wird eine neue Erfahrung werden«, sagt er kurz. Dann schaut er nach unten. Sein Wunsch, irgendwann einmal in das Land zu fahren, aus dem seine Familie stammt, nämlich Palästina, ist groß. »Jedes Volk auf der Welt hat einen Staat, nur die Palästinenser nicht«, sagt Abed etwas enttäuscht. Auch Sabrin und Amir sind seiner Meinung. Die Jugendlichen empfinden selbst keinen Hass gegenüber Israel, sondern, das erklären sie mit ernster Miene: »Die Unterdrückung sollte aufhören.« Deswegen sind sie neugierig, wie die Entscheidung der UN für oder gegen einen palästinensischen Staat ausfallen wird.

gaddafi Dass sich die Teenager mit solch einem politischen Thema überhaupt auseinandersetzen, ist hier im Bezirk nicht unbedingt gang und gäbe. »Wir erfahren viel aus unserem Arbeitsheft – neulich zum Beispiel haben wir über Gaddafi gesprochen«, sagt Amira stolz.

Zu Hause, erzählt Abed, werde zwar ab und zu auch über Politik geredet, wenn der Vater arabische Fernsehnachrichten sieht. Aber eine Diskussion mit Gleichaltrigen, die gibt es nicht. »Mein Vater ruft mich, wenn es etwas Neues in den Nachrichten gibt«, sagt Abed. Sabrin nickt. »Ist bei mir auch so«, fügt sie mit leiser Stimme hinzu.

www.blickwinkel-berlin.de

Antrittsbesuch

Merz reist nach Madrid: Differenzen in Haltung zu Israel

Insgesamt läuft es gut in den Beziehungen zwischen Deutschland und Spanien. Bei einem Thema gibt es aktuell aber Streit

 18.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 Aktualisiert

Washington D.C./Jerusalem

Trump und Netanjahu: Zerwürfnis nach Doha-Angriff

Hinter den Kulissen soll der amerikanische Präsident einem Zeitungsbericht zufolge über den israelischen Regierungschef geschimpft haben

 18.09.2025

Doha

Nach Schlag in Katar: Hamas-Anführer gibt TV-Interview

Ghazi Hamad, der als Planer der Massaker vom 7. Oktober gilt, gibt sich als Opfer des »zionistischen Feindes«

 18.09.2025

Jubiläum

Stimme der Demokratie

Vor 75 Jahren wurde der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet. Heute hat das Gremium vielfältige Aufgaben und ist unverzichtbarer Teil dieses Landes

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Europäische Union

Wie die EU-Kommission Israel sanktionieren will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Meinung

Sánchez missbraucht ein Radrennen für seine Israelpolitik

Dass Spaniens Regierungschef die Störer der Vuelta lobte, ist demokratieschwächend und gehört zu seinem Kalkül, Israel weltweit zu isolieren

von Nicole Dreyfus  17.09.2025

Zentralrat

Schuster: Zwei-Staaten-Lösung nach Friedensverhandlungen mit Israel

Ein jeweils selbstständiger Staat Israel und Palästina - dafür spricht sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Unter bestimmten Voraussetzungen

von Leticia Witte  17.09.2025

Köln

Antisemitische Ausschreitungen bei Kreisliga-Spiel

Spieler des Vereins Makkabi wurden offenbar beschimpft, bespuckt und körperlich attackiert

 17.09.2025