Antisemitismus

München und der Terror gegen Juden

Ausgerechnet am 52. Jahrestag des palästinensischen Terrorangriffs auf die israelische Olympiamannschaft 1972 fuhr ein 18-jähriger Österreicher nach München und schoss dort mit einem Gewehr um sich, bis er von Polizisten gestoppt wurde. Foto: picture alliance/dpa

Als am 5. September die Eil-Meldung »Großer Polizeieinsatz vor NS-Dokumentationszentrum in München« kam und bald auch Videos mit Schüssen im Internet die Runde machten, hielt Bayerns Landeshauptstadt den Atem an.

Aufforderungen der Polizei, die Gegend zu meiden, und stundenlang über der Innenstadt kreisende Hubschrauber weckten böse Erinnerungen an das Attentat auf das Olympia-Einkaufszentrum vor acht Jahren. Ein 18-Jähriger hatte dort damals neun Menschen erschossen. Erst Stunden später folgte die Entwarnung: Weitere Täter und Tatorte gibt es nicht.

Ausgerechnet an einem Jahrestag

Ausgerechnet am 52. Jahrestag des palästinensischen Terrorangriffs auf die israelische Olympiamannschaft 1972 fährt ein 18-jähriger Österreicher nach München und schießt dort mit einem Gewehr um sich, bis er von Polizisten gestoppt wird. Seine ersten Schüsse gelten dem NS-Dokumentationszentrum, weitere dem israelischen Generalkonsulat daneben, in das er erfolglos einzudringen versucht hat.

Über die Motive des jungen Mannes wissen die Ermittler noch nicht viel. Eine islamistische oder antisemitische Gesinnung wird als »Arbeitsthese« verfolgt, sagt die Generalstaatsanwaltschaft. Was bedeutet: Es gibt Hinweise, aber noch keine handfesten Belege wie ein Bekennerschreiben. Aus Österreich heißt es, die aus Bosnien im Zuge des Jugoslawienkriegs eingewanderte Familie sei voll integriert gewesen. Der Sohn sei auf der Schule gut gewesen, dort aber gehänselt worden.

Gedenkveranstaltung abgesagt

Wie unklar die Gefahrenlage zu Beginn seiner Attacke am Donnerstagmorgen ist, verdeutlicht die Absage einer Gedenkveranstaltung im über 20 Kilometer entfernten Fürstenfeldbruck. Dort war die Befreiung der als Geiseln genommenen israelischen Sportler 1972 kläglich gescheitert. In den Schusswechseln der Sicherheitskräfte mit den palästinensischen Terroristen starben sie alle, dazu ein deutscher Polizist. Der Gedenktag ist der Grund, warum das Generalkonsulat geschlossen hatte.

Jüdische Einrichtungen in München waren schon häufiger Ziel von Anschlägen. Heute sind sie in der Regel stark bewacht. Um die Ohel-Jakob-Synagoge und das Gemeindezentrum am Sankt-Jakobsplatz sind rund um die Uhr Polizeibeamte zu sehen; Fahrzeuge können nur vorfahren, wenn die aufgestellten Poller zuvor in der Erde versenkt werden.

Lesen Sie auch

Es war der Wachsamkeit der Sicherheitskräfte zu verdanken, dass dort 2003 bei der Grundsteinlegung keine Bombe hochging. Bei Ermittlungen wegen einer Schlägerei geriet eine Gruppe Rechtsextremisten ins Visier der Polizei. Sie besaßen 1,7 Kilogramm TNT-Sprengstoff. Und auch am Donnerstag sind als erstes die Objektschützer des Generalkonsulats zur Stelle.

Flughafen Riem und jüdisches Altenheim

Es gab auch weitere, so gut wie vergessene antisemitische Anschläge in München. Drei radikale Palästinenser wollten im Februar 1970 auf dem Flughafen Riem einen Jet der israelischen El-Al kapern. Im Zubringerbus warf sich ein israelischer Passagier auf eine bereits gezündete Handgranate. Er starb, rettete aber elf anderen das Leben. Im selben Jahr fielen einem Brandanschlag auf das jüdische Altenheim an der Reichenbachstraße sieben Menschen zum Opfer. Alle hatten den Holocaust überlebt.

Im NS-Dokuzentrum ging erst vor wenigen Wochen eine Sonderausstellung über Rechtsterrorismus in Deutschland nach 1945 zu Ende. Sie beleuchtete 25 Fälle, darunter auch das Oktoberfestattentat von 1980. Die nächste Wiesn beginnt in zwei Wochen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) beeilte sich am Freitag mit der Versicherung, das größte Volksfest der Welt sei nicht in Gefahr.

NS-Dokuzentrum und israelisches Konsulat befinden sich in einem historisch mit Bedeutung aufgeladenen Stadtviertel mit vielen Villen und Gärten. In der sogenannten Maxvorstadt verwirklichte Bayernkönig Ludwig I. seinen Traum vom »Isar-Athen«: Auf dem Königsplatz ließ er die Propyläen und in Form von griechischen Tempeln die Glyptothek und die heutige Staatliche Antikensammlung errichten. Alte und Neue Pinakothek folgten in unmittelbarer Nachbarschaft.

Das »Braune Haus«

Auch die Nazis wussten um diese gehobene Wohn- und Kulturgegend. So griffen sie 1930 zu, als das klassizistische Palais Barlow an der Briennerstraße zum Verkauf stand. Nach Plänen des Architekten Paul Ludwig Troost wurde es zur repräsentativen NSDAP-Parteizentrale umgebaut. Das »Braune Haus« bekam von der demokratischen Presse viel Spott ab. Auf den Grundmauern des »Palais Größenwahn« steht seit 2015 das NS-Dokuzentrum.

Von der Nazi-Architektur noch übrig geblieben ist der 1937 errichtete »Führerbau« an der Arcisstraße, wo der junge Österreicher am Donnerstag sein Auto abstellte. Das Gebäude beheimatet heute die Hochschule für Musik und Theater.

Seit 2011 befindet sich das israelische Generalkonsulat genau hinter dem NS-Dokuzentrum. Generalkonsulin Talya Lador-Fresher ist sich der Symbolik »mehr als bewusst«, wie sie jüngst in einem Zeitungsinterview bekannte. »Wenn ich manchmal vom Konsulatsgebäude aus zur Rückseite des ehemaligen ‚Braunen Hauses‘ schaue, diesem damals braunen Fleck von München, habe ich natürlich gemischte Gefühle. Aber ich bin wirklich stolz auf unsere Fahne, die hier weht.«

Potsdam

BSW vor Zerreißprobe: Dorst stellt Parteiverbleib infrage

Die jüngsten Ereignisse haben Implikationen für die Landesregierung. Bei nur zwei Stimmen Mehrheit im Landtag könnte jeder Bruch in der BSW-Fraktion ihr Ende bedeuten

 26.11.2025

USA

Staatsanwaltschaft rollt den Fall Etan Patz neu auf

Der jüdische Junge Etan Patz verschwindet am 25. Mai 1979 auf dem Weg zur Schule. Jahre später wird er für tot erklärt

 26.11.2025

Buenos Aires

Milei will 2026 Botschaft in Jerusalem eröffnen

Israels Außenminister Sa’ar erklärte in der argentinischen Hauptstadt, »im April oder Mai« werde die Eröffnung erfolgen

 26.11.2025

Montréal

Air Canada prüft Beschwerde über Palästina-Anstecker in der Form Israels

Der Passagier Israel Ellis beschwert sich über das israelfeindliche Symbol an der Jacke einer Stewardess. Sie habe ihn zudem angeschrien, als sie seine Davidstern-Kette gesehen habe

 26.11.2025

Berlin

Friedrich Merz besucht Israel

Als Kanzler ist es sein erster Aufenthalt im jüdischen Staat. Die Beziehungen hatten zuletzt unter Druck gestanden

 25.11.2025

TV-Tipp

Ein äußerst untypischer Oligarch: Arte-Doku zeigt Lebensweg des Telegram-Gründers Pawel Durow

Der Dokumentarfilm »Telegram - Das dunkle Imperium von Pawel Durow« erzählt auf Arte und in der ARD-Mediathek die Geschichte der schwer fassbaren Messengerdienst-Plattform-Mischung und ihres Gründers Pawel Durow

von Christian Bartels  25.11.2025

Israel

Antisemitismus-Beauftragter wirft Sophie von der Tann Verharmlosung der Hamas-Massaker vor

Die ARD-Journalistin soll in einem Hintergrundgespräch gesagt haben, dass die Massaker vom 7. Oktober eine »Vorgeschichte« habe, die bis zum Zerfall des Osmanischen Reiches zurückreiche

 25.11.2025

Interview

»Weder die Verwaltung noch die Politik stehen an meiner Seite«

Stefan Hensel hat seinen Rücktritt als Antisemitismusbeauftragter Hamburgs angekündigt. Ein Gespräch über die Folgen des 7. Oktober, den Kampf gegen Windmühlen und kleine Gesten der Solidarität

von Joshua Schultheis  25.11.2025

Ramallah

Nach Hammer-Angriff auf Israeli - mutmaßlicher Täter getötet

Vor mehr als einem Jahr kam ein israelischer Wachmann im Westjordanland bei einem Angriff ums Leben. Seitdem haben israelische Sicherheitskräfte nach dem flüchtigen Täter gesucht

 25.11.2025