Gesellschaft

»Miteinander sprechen«

Dervis Hizarci Foto: Uwe Steinert

Gesellschaft

»Miteinander sprechen«

Dervis Hizarci über antisemitische Muslime und die Bedeutung des Dialogs

von Martin Krauss  15.10.2018 13:47 Uhr

Herr Hizarci, auf der Berliner Konferenz »Allianzen bilden, jüdisch-muslimischen Dialog stärken« heißt es diese Woche, der Dialog sei eine »Strategie gegen Antisemitismus«. Inwieweit kann er das sein?
Unsere Konferenz ist eingebettet in einen einwöchigen Austausch mit amerikanischen und deutschen NGOs, die im Bereich Antisemitismus und »Hate Crime«-Prävention arbeiten. Insbesondere im Bereich des jüdisch-muslimischen Dialogs sind uns die amerikanischen Organisationen um einiges voraus. Man ist sich einig, dass man nur weiterkommt, wenn man miteinander spricht. Wenn wir aufhören, miteinander zu reden, kommen wir nicht weiter.

Viele muslimische Antisemiten berufen sich auf ihre Religion. Wie hilft da Dialog?
Wir müssen hier unterscheiden. Es gibt das islamistisch-extremistische Milieu. Dort ist Hass auf Juden sozusagen eine Kernideologie. Im gewöhnlichen Alltag ist das aber etwas anderes. Muslime immer nur als Muslime zu sehen, wäre wieder eine Reduzierung auf ein Identitätsmerkmal, an dem man etwas Negatives festmachen möchte. Ich bin dagegen, Kinder und Jugendliche – insbesondere in der Schule – nach solchen Kriterien zu unterteilen.

Gibt es für Sie keinen muslimischen Antisemitismus?
Es gibt Antisemitismus unter Muslimen. Antisemitismus ist ein gesellschaftliches Problem. Muslime sind ein Teil der deutschen Gesellschaft! Der Antisemitismus, dem wir bei unserer Arbeit mit Muslimen begegnen, basiert häufig auf hier tradierten Denkmustern, die weder religiös hergeleitet noch importiert sind. Feststellbar ist oft ein israelbezogener Hass. Dagegen müssen wir mehr tun. Aber Kollektivzuordnungen à la »Ihr Muslime« sind immer falsch.

Viele Juden sehen den Zusammenhang von Islam und Antisemitismus anders. Verstehen Sie das?
Ich spiele bei Makkabi Fußball und kenne die Sorgen meiner Mitspieler. Wir dürfen die Augen nicht davor verschließen. Wir dürfen jedoch auch niemals aufgeben, mit jungen Menschen zu arbeiten – ob Muslim oder Christ. Wir haben in unseren Projekten großen Erfolg damit, Menschen in die Arbeit einzubinden und über den Dialog antisemitische Denkmuster infrage zu stellen und auch zu überwinden.

Wie sieht der Dialog aus, den Sie fordern und für den Sie arbeiten?
Es sind nicht nur die Treffen von Rabbinern und Imamen. Die sind zwar auch wichtig, weil sie die Botschaft senden, dass religiöse Autoritäten miteinander umgehen können, dass es Gemeinsamkeiten gibt: Wir glauben an einen Gott, wir sind beschnitten, wir essen kein Schweinefleisch. Aber noch wichtiger ist doch der alltägliche Austausch: Wie lässt sich mein Hummus-Rezept verfeinern, wer hat Tipps für den nächsten Anatolien- oder Israel-Urlaub?

Mit dem Vorsitzenden der »Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus« (KIgA) sprach Martin Krauß.

Brüssel

»Gegen EU-Grundwerte«: Kommission verurteilt Festival

Eine Sprecherin der Europäischen Kommission hat den Boykott der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani in die Nähe von Antisemitismus gerückt und scharf verurteilt

von Michael Thaidigsmann  12.09.2025

Belgien

»Ruf unseres Landes beschmutzt«: Premier rügt Gent-Festival

Premier Bart de Wever kritisiert die Leiter eines belgischen Festivals dafür, die Münchner Philharmoniker und ihren Dirigent Lahav Shani ausgeladen zu haben

 12.09.2025

Berlin

Humboldt-Universität will gegen Antisemitismus vorgehen

Präsidentin Julia von Blumenthal sieht ihre Hochschule für künftige Auseinandersetzungen rund um den Nahost-Konflikt gut vorbereitet

von Lukas Philippi  12.09.2025

Gaza

Die Genozid-Lüge

Wie die Hamas nach dem 7. Oktober vom Täter zum Opfer wurde – und Israel zur Verkörperung des Bösen schlechthin

von Stephan Lehnstaedt  12.09.2025

Nachkriegsjustiz

Verhandlung über Massenmord: Vor 80 Jahren begann der Belsen-Prozess

Fünf Monate nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen erhob ein britisches Militärgericht in Lüneburg Anklage gegen die Täter. In einer Turnhalle begann damit vor 80 Jahren der erste große NS-Kriegsverbrecherprozess in Deutschland

von Karen Miether  12.09.2025

Belgien

Deutsche Botschaft beendet Partnerschaft mit Gent-Festival

Die Deutsche Botschaft in Brüssel hat nach der Ausladung der Münchner Philharmoniker ihre Zusammenarbeit mit dem Flandern-Festival in Gent eingestellt

von Michael Thaidigsmann  11.09.2025

Debatte

Zentralrat nennt Ausladung Shanis »fatales Signal«

Wer einen Künstler aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seiner jüdischen Religion ausgrenzt und diskreditiert, trete die Demokratie mit Füßen

 11.09.2025

Berlin

Soziale Medien: »TikTok-Intifada« und andere Probleme

Denkfabrik Schalom Aleikum beschäftigt sich auf einer Fachtagung mit Hass im Netz: »Digitale Brücken, digitale Brüche: Dialog in Krisenzeiten«

 11.09.2025

Urteil

Bundesgerichtshof bestätigt Geldstrafen gegen Höcke

Das Landgericht Halle habe in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der AfD-Politiker die verbotene SA-Parole »Alles für Deutschland« und »Alles für« gerufen hat

 11.09.2025