Ukraine, Nahost, Myanmar, Sudan: Die Welt erlebt so viele Kriege und bewaffnete Konflikte wie noch nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs. In 36 Staaten weltweit wurden im vergangenen Jahr 61 Konflikte verzeichnet. Auch in Deutschland wächst angesichts der Bedrohung aus Russland die Sorge vor einem Krieg.
Vor diesem Hintergrund findet die erste internationale jüdische Militärseelsorgekonferenz in Berlin statt. Über das Thema »Militärrabbiner in Krisenzeiten« tauschen sich bis Donnerstag jüdische Geistliche aus Ländern der NATO und befreundeter Staaten aus. Mit dabei sind unter anderem Teilnehmer aus Belgien, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Kanada, der Schweiz und den USA. Sie treffen sich mit Rabbinern des Militärrabbinats und Vertretern anderer Militärseelsorgen. Auf dem Programm stehen unter anderem Vorträge und Diskussionsrunden zu Notfallseelsorgekonzepten sowie zu den Herausforderungen im Auslandseinsatz.
Bei der Auftaktveranstaltung am Montagabend in der Julius-Leber-Kaserne sagt Militärbundesrabbiner Zsolt Balla, dass es bei der Konferenz darum gehe, Strategien zu entwickeln: »Wie wir als jüdische Seelsorger alle unsere Soldatinnen und Soldaten am besten unterstützen können, wie wir gemeinsam für das Wohlergehen unserer Gesellschaften und für den Frieden unseres Bündnisses und natürlich für den Frieden und die demokratischen Werte in der Welt arbeiten können.«
»Fest in unserer Demokratie verankert«
Balla erläutert, dass Militärseelsorger oft mit sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen arbeiten und die Strukturen der verschiedenen Streitkräfte unterschiedliche Denk- und Vorgehensweisen erfordern. »Aber wir können nicht ignorieren, dass sich die Welt verändert. Und in dieser sich verändernden Welt müssen wir uns aufeinander verlassen und Wege finden, nicht nur nebeneinander, sondern Hand in Hand zu arbeiten.« Eine enge Zusammenarbeit und ein intensiver Austausch mit jüdischen Militärseelsorgern anderer Armeen sei besonders vor dem Hintergrund aktueller Krisen entscheidend für die Militärseelsorge.
Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, nennt es einen »Meilenstein«, dass die erste internationale Konferenz jüdischer Militärseelsorge in Deutschland stattfindet: »Wer hätte das vor 70 Jahren für möglich gehalten, wer hätte sich das vorstellen können?« Diese Konferenz sei »ein Zeichen des Ankommens der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, auch innerhalb der Bundeswehr und der jüdischen Militärseelsorge, aber auch in der internationalen Staatengemeinschaft«.
Die internationale Vernetzung der Militärseelsorge bilde gerade im jüdischen Bereich einen Mehrwert, so Lehrer weiter. Der Austausch sei nicht nur eine fachliche Bereicherung, er stärke auch die gemeinsame jüdische Stimme. »Jüdisches Leben ist auch in Uniform sichtbar, selbstbewusst und fest in unserer Demokratie verankert. Und das nicht nur in Deutschland.«
Seelsorge und lebenskundlicher Unterricht
Konteradmiral Wilhelm Tobias Abry macht in seiner Rede am Montagabend deutlich, dass die Militärseelsorge einen unverzichtbaren und wertvollen Beitrag leiste. »Die Militärseelsorge begleitet unsere Soldaten und Soldatinnen in ethischen und seelsorgerischen Fragen, in Krisen und im Einsatz und hilft, Themen rund um Befehl und Gewissen, Auftrag und Menschlichkeit immer wieder neu ins Bewusstsein der Angehörigen der Bundeswehr zu rücken.« Die Militärseelsorge diene den Menschen in den Streitkräften.
Abry sagt, dass man dankbar dafür sei, dass der jüdische Glaube Teil der Glaubensvielfalt in der Bundeswehr ist. »Mit der Einrichtung des jüdischen Militärrabbinats ist die Militärseelsorge der Bundeswehr reicher geworden.«
Das Militärrabbinat ist seit 2021 im Einsatz. Aufgabe ist es, Seelsorge und lebenskundlichen Unterricht für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr anzubieten. In Hamburg, Schwielowsee, Leipzig, München, Köln und der Zentrale in Berlin sind derzeit sieben Militärrabbiner sowie weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Dienst. Militärbundesrabbiner Zsolt Balla ist das religiöse Oberhaupt der Militärseelsorge.
»Direkt von der Front«
Die Militärrabbiner tragen übrigens Zivilkleidung. Sie sind nicht Soldaten der Armee, im Unterschied zu den meisten ihrer Kollegen in anderen Ländern. Diese tragen Uniform – so wie Rabbiner Yakov Pinchas Synyakov. Der Leutnant der ukrainischen Armee kommt direkt von der Front, wie er sagt. Er stammt aus der Millionenstadt Dnipro. Für ihn ist es »eine surrealistische Situation«, dass mitten in Europa Krieg herrscht. Davon möchte er in den nächsten Tagen der Konferenz berichten – und von der Arbeit, die er als Seelsorger für die Soldaten aller Glaubensrichtungen leistet. Sinyakov ist seit Beginn des Krieges als Militärrabbiner im Einsatz, zuvor war er Seelsorger der Jüdischen Föderation. Wie lange er den Dienst in der Armee versehen will? »Bis zum Sieg und bis der Messias kommt«, lacht er.
Auch Aaron Melman von der Illinois Army National Guard trägt bei der Konferenz seine khakifarbene Dienstkleidung. Die Kippa passt farblich. Der Captain-Chaplain aus der Nähe von Chicago ist derzeit in Polen stationiert. Für ihn sei es etwas ganz Besonderes, an dem Treffen teilzunehmen, erzählt er. »Angesichts der jüdischen Geschichte in Europa ist es sehr bedeutend, dass es nicht nur Rabbiner in der deutschen Armee gibt, sondern dass sie sich mit Rabbinern aus anderen europäischen Ländern in einer deutschen Militäreinrichtung in Berlin versammeln, um unsere Jüdischkeit zu feiern.« Und Melman findet es auch bemerkenswert, dass dieses Treffen in einer Zeit der Krisen und weltweiten Bedrohungen stattfindet. »Es sagt viel darüber aus, wer wir sind, über die Widerstandsfähigkeit, die wir als Volk haben, und über unsere Fähigkeit, zusammenzukommen, um die schwierigen Probleme in schwierigen Zeiten anzugehen.« ddk