Israel

Kritischer Blick

Foto: Getty Images / istock

Viele Menschen sorgen sich rührend um Israels Demokratie. Diese Tugendwächter finden sich zunehmend in Westeuropa, speziell in Deutschland. Es gibt diese Haltung selbst in Israel, wo Linke, Liberale, Friedensbewegte et cetera sich nach jeder Wahlniederlage – Netanjahu ist keineswegs so effektiv, wie seine Gegner arrogant sind – über die vermeintlichen Defizite von Israels demokratischem System beklagen. Der Erfinder von Zions Demokratiewächtern aber ist ein Amerikaner: William Fulbright (1905–1995).

Der demokratische Senator aus Arkansas war ein bemerkenswerter Politiker. Er trat beispielsweise gegen die Gleichberechtigung der Afroamerikaner ein und befürwortete in Deutschland die Errichtung einer Mauer, noch ehe diese in Berlin tatsächlich gebaut worden war.

mister fulbright Einen besonders kritischen Blick richtete Mister Fulbright auf Israel. Denn störrische Hebräer dort beharrten darauf, selbst am besten zu wissen, wie sie den Bestand ihres Staates zu sichern hätten. Das passte Fulbright nicht. So ersann der Abgeordnete die Formel: »Israel retten, trotz Israel«. Dieses arrogante Motto prägt bis zur Gegenwart die Einstellung vieler Menschen in Ländern, deren Wohlstand ihnen die Möglichkeit und Zeit gibt, »moralische« Bewertungen vorzunehmen.

Wer hohe Standards setzt, sollte sich auch um Fakten scheren.

Wer hohe Standards setzt, sollte sich auch um Fakten scheren – selbst in Israel. Es könnte den Zweiflern an der Demokratiefähigkeit des jüdischen Staates nicht schaden, dessen Geschichte und Gegenwart zu kennen. Seit Israels Gründung 1948 werden dort demokratische Wahlen abgehalten.

Zudem werden extremistische, rassistische, antidemokratische Parteien wie die Kach des später von radikalen Muslimen ermordeten Rabbiners Meir Kahane ebenso verboten wie eine islamistische Gruppe, die zur Gewalt gegen den jüdischen Staat aufruft. Dennoch durften antizionistische arabische Parteien sich stets ungehindert zur Wahl stellen und in der Knesset offen für ihre Ziele eintreten.

justiz Zu einer anerkannten Demokratie gehören auch eine unabhängige Justiz sowie eine Regierung, die die Vorgaben der Legislative und der unabhängigen Gerichte achtet. Zudem haben sich die Streitkräfte den demokratischen Institutionen zu unterwerfen. Dies ist besonders in Israel wichtig, da das Land wegen seiner permanenten Bedrohung gezwungen ist, eine Armee zu unterhalten, die einen großen Teil der Bevölkerung im wehrfähigen Alter erfasst.

In den ersten Jahren musste Zion mit der Anschuldigung leben, Israels Rechte sei antidemokratisch und die Armee würde früher oder später die politische Macht an sich reißen. Im Zentrum der Kritik standen die Cherut und ihr Vorsitzender Menachem Begin. Selbst Ministerpräsident David Ben Gurion beschuldigte Begin wiederholt, Antidemokrat zu sein.

In den ersten Jahren musste Zion mit der Anschuldigung leben, Israels Rechte sei antidemokratisch.

Das zeigte Wirkung bei vielen Wählern. Die Cherut stagnierte zunächst bei zehn Prozent. Doch im Laufe der Jahre gewann Begins Partei zunehmend an Glaubwürdigkeit vor allem bei den Zuwanderern aus den arabischen Ländern. Zudem konnten sich die Israelis davon überzeugen, dass Begin ein gewissenhafter Demokrat war. Nach knapp 30 Jahren in der Opposition gewann der Likud 1977 die Parlamentswahlen.

propagandalüge Als Premier bewies Begin rasch, dass sein Ruf als »Kriegstreiber« eine Propagandalüge war. Begin lud Ägyptens Präsident Sadat nach Israel ein. Man einigte sich mit Washingtons Hilfe auf einen Friedensvertrag, der bis heute Gültigkeit besitzt. Der Friedensschluss bewog nicht wenige Ausländer, Sadat als »Demokraten« anzuerkennen. Seine »Nationaldemokratische« Staatspartei wurde ohne demokratische Legitimation Mitglied der Sozialistischen Internationale.

Die »Israelbeobachter« fürchteten zudem, dass die Militärs die Macht an sich reißen könnten. Als besonders verdächtig galt ihnen General Ariel Scharon. Doch Scharon verließ die Armee und widmete sich als Zivilist der Politik. Unter anderem begründete er den Likud, den Zusammenschluss von Cherut und Liberalen. Nach Jahren wurde Scharon zum Premier gewählt. Er verließ den Likud und gründete mit Friedensbereiten die Kadima-Partei.

Israels Politiker respektieren die Gesetze und fürchten die Justiz. Der frühere Premier Ehud Olmert musste wegen Korruption ins Gefängnis, der ehemalige Staatspräsident Katzav aufgrund krimineller Handlungen. Nun wirft die Polizei Benjamin Netanjahu Korruption vor. Der mächtige Premier muss sich dagegen verteidigen – wie jeder Beschuldigte.

Die Israelis, Juden wie Araber, vertrauen den demokratischen Institutionen ihres Staates.

Die Israelis, Juden wie Araber, vertrauen den demokratischen Institutionen ihres Staates. Auch wenn manche den Zionismus ablehnen, wissen sie die demokratische Freiheit im Lande zu schätzen. Wenn die über Israels Demokratie Besorgten sich gründlich informierten, würde dies zu einer Versachlichung der Auseinandersetzung beitragen. Doch gerade dies wollen viele offenbar nicht.

Kürzlich schilderte eine junge deutsche Journalistin ihr Leid in der »taz«. Gerne würde sie Israel härter kritisieren und BDS unterstützen, doch die alte deutsche Schuld hindere sie daran, bekannte sie. Es wäre eine Erleichterung, wenn sie und ihre Leidensgenossen sich zunächst mit dem eigenen Seelenleid beschäftigten, statt Israels Demokratie als Projektionsfläche ihrer Komplexe zu missbrauchen.

Der Autor ist Publizist und Schriftsteller. In Kürze erscheint sein neuer Roman »Lauf, Ludwig, lauf! Eine Jugend zwischen Synagoge und Fußball«.

Interview

»Diskrepanzen zwischen warmen Worten und konkreten Maßnahmen«

Nach dem Massaker von Sydney fragen sich nicht nur viele Juden: Wie kann es sein, dass es immer wieder zu Anschlägen kommt? Auch der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, sieht Defizite

von Leticia Witte  22.12.2025

Washington D.C.

Kritik an fehlenden Epstein-Dateien: Minister erklärt sich

Am Freitag begann das US-Justizministerium mit der Veröffentlichung von Epstein-Akten. Keine 24 Stunden später fehlen plötzlich mehrere Dateien - angeblich aus einem bestimmten Grund

von Khang Mischke  22.12.2025

Australien

Behörden entfernen Blumenmeer für die Opfer von Bondi Beach

Die Regierung von New South Wales erklärt, man habe sich vor dem Abtransport der Blumen eng mit der jüdischen Gemeinde abgestimmt

 22.12.2025

Sydney

Attentäter warfen Sprengsätze auf Teilnehmer der Chanukka-Feier

Die mutmaßlichen Attentäter Naveed und Sajid Akram bereiteten sich auf das Massaker vor. Ihre Bomben explodierten nicht

 22.12.2025

New York

Tucker Carlson ist »Antisemit des Jahres«

Die Organisation StopAntisemitism erklärt, ausschlaggebend seien Beiträge, in denen er erklärten Judenhassern, Holocaustleugnern und extremistischen Ideologen eine große Bühne geboten habe

 22.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Gaza

Das Problem mit der Entwaffnung

Die Hamas weigert sich strikt, die Waffen niederzulegen. Was Zustimmung in der palästinensischen Bevölkerung findet und den Friedensplan stocken lässt

 21.12.2025 Aktualisiert

Interview

»Die Zustände für Juden sind unhaltbar. Es braucht einen Aufstand der Anständigen«

Zentralratspräsident Josef Schuster über den islamistischen Anschlag von Sydney und das jüdische Leben in Deutschland nach dem 7. Oktober

 21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025