Debatte

Klischees vermeiden

Anna Staroselski im Gespräch mit Ronen Steinke, Louis Lewitan und Felix Klein Foto: Tobias Barniske

Es war sicherlich gut gemeint, als das Magazin »Spiegel Geschichte« 2019 ein ganzes Heft dem jüdischen Leben in Deutschland widmete. Die Probleme fingen jedoch bereits in der Unterzeile an. »Die unbekannte Welt nebenan«, hieß es da. Nach einer über 1000-jährigen Geschichte sollen Jüdinnen und Juden in diesem Land »unbekannt« sein?

Auf dem Titelbild: zwei alte Männer mit langem Bart in verschlissenen Mänteln und Hüten, sogenannte Ostjuden. Keine Spur vom großstädtischen, weitgehend assimilierten Judentum, das Deutschland so sehr prägte, keine Abbildung von Moses Mendelssohn, Albert Einstein oder Hannah Arendt.

Geht es um Juden, würden »häufig über die Medien problematische Bilder vermittelt«, sagte Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, vergangenen Freitag in Potsdam. Viel zu oft gelinge es bei der Berichterstattung über das Judentum oder Israel nicht, Klischees und Stereotype zu vermeiden. »Leider tappen Journalisten häufig in diese Falle«, so Klein – womit er auch schon das Stichwort zum Thema der Podiumsdiskussion lieferte, zu der die F. C. Flick Stiftung und die Brandenburgische Gesellschaft für Kultur und Geschichte geladen hatten.

Karikatur Über »Antisemitismus – Medien in der Falle?« diskutierten zusammen mit Felix Klein der Redakteur der Süddeutschen Zeitung (SZ), Ronen Steinke, die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), Anna Staroselski, sowie Louis Lewitan, Autor, Mediencoach und Psychologe. Moderiert wurde die Veranstaltung von »Tagesspiegel«-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff.

Ein weiteres einschlägiges Beispiel: Im Mai 2018 veröffentlichte die SZ eine Karikatur des damaligen wie aktuellen israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu, auf der dieser mit Blick auf den für das folgende Jahr in Israel geplanten Eurovision Song Contest ein Bühnenkostüm trägt und in einer Sprechblase »Nächstes Jahr in Jerusalem!« sagt – eine Anspielung auf den an Pessach geäußerten Wunsch, ins Heilige Land zurückzukehren. Außerdem hält Netanjahu, gezeichnet mit großer Nase, riesigen Segelohren und wulstigen Lippen, eine Rakete mit einem Davidstern in der Hand.

Judenhass klickt sich gut, Artikel über jüdisches Leben meist weniger.

Hier werde »der Jude als der Böse« dargestellt, analysiert JSUD-Präsidentin Staroselski und wirft die Frage auf: »Warum wird so etwas überhaupt publiziert?« Auch Steinke, der die Debatte um die Zeichnung, in deren Zuge der Karikaturist seinen Job verlor, in der SZ-Redaktion selbst mitverfolgen konnte, findet das Bild problematisch. »So eine subtile Art der Ressentiment-Pflege«, sagte er, sei oft gefährlicher als offener Antisemitismus.

positiv-beispiel Für Klein ist der Fall aber in einer Hinsicht auch ein Positiv-Beispiel: »Bei dieser Karikatur gab es sofort Proteste. Die Reflexe funktionieren bei uns.« Aus Frankreich sei er ganz andere Karikaturen gewohnt, so der in Lyon geboren Psychologe Lewitan. »Ich finde es nicht schön, aber ich finde es nicht bedrohlich«, sagte er über die SZ-Zeichnung. In der »Wiederholung einer Bildsprache, die tendenziös ist«, sehe er dennoch ein Problem: »Irgendwann entsteht ein Stereotyp.«

Doch wie kann man die Reproduktion antisemitischer Klischees besser verhindern, fragte Casdorff. Braucht es etwa neue Wege in der Strafverfolgung? Klein glaubt das nicht: »Der Strafrahmen ist ausreichend.« Es gehe darum, dass bestehende Gesetze auch wirklich angewandt werden. Kunst- und Meinungsfreiheit seien zu Recht in Deutschland weit gefasst.

Auch Steinke findet es »weise«, dass die Grenzen dieser Grundrechte erst da gezogen werden, wo zu Gewalt aufgestachelt wird. In der Runde sind sich alle einig: Es gehe nicht in erster Linie darum, problematische mediale Beiträge zu verbieten, sondern sie öffentlich fair und ausführlich zu diskutieren.

Realität Noch auf eine zweite »Falle« ging Casdorff ein: Während sich Artikel über Judenhass gut klickten, interessierten solche über das alltägliche Judentum häufig deutlich weniger. »Berichten wir zu wenig über das normale jüdische Leben?«, fragte der erfahrene Journalist. »Auf jeden Fall«, kam von Staroselski umgehend die Antwort; Steinke äußerte den Wunsch, Redaktionen würden »Abstand nehmen von eingefahrenen Klischees« und mehr die tatsächliche Realität von Jüdinnen und Juden in Deutschland abbilden, und Klein sieht ein »mediales Defizit« in der Repräsentanz insbesondere des säkularen Judentums.

Bleibt die Frage, wie man in den Zeitungsredaktionen Klischees am besten umschifft – gibt es doch Stimmen, die glauben, man könne es ohnehin niemandem recht machen, wenn es um die Darstellung von Juden geht. Als etwa im vergangenen Jahr erneut eine Antisemitismus-Debatte um eine SZ-Karikatur entbrannte, schrieb ein Redakteur der Zeitung auf Twitter, es sei »anscheinend keine gute Idee, überhaupt Menschen jüdischer Abstimmung abzubilden«. Irgendjemand werde es ohnehin immer als antisemitisch interpretieren.

Sein Kollege Steinke widersprach auf dem Podium in Potsdam vehement: Er kenne durchaus Karikaturen, die vermutlich niemand als judenfeindlich empfinden würde, sondern einfach nur als lustig. »Klar kann man Juden karikieren«, lautet sein Urteil. »Es ist halt eine Frage des Niveaus.« Dasselbe dürfte wohl auf jede Art der Berichterstattung über Judentum oder Israel zutreffen.

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