Berlin

Kippa als Solidarität

»Wir sind nicht feindlich gegenüber Juden«, sagt der Jugendliche, der mit »Jahudi«-Rufen auf Kippa-Träger einschlug. Foto: screenshot JFDA

Jahudi» hat er gebrüllt, das arabische Wort für Jude, während er am Dienstag vergangener Woche mit einem Gürtel auf zwei Männer einschlug. Der per Video gefilmte Angriff eines 19-Jährigen, assistiert von zwei weiteren Männern, auf einen Israeli und einen Deutschen, die im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg mit Kippa spazieren gingen, hat in Deutschland eine breite Debatte ausgelöst, wie gefährdet Juden in diesem Land sind.

Auch der 19-Jährige, ein Flüchtling aus Syrien, beteiligt sich an der Debatte. «Wir sind nicht feindlich gegenüber Juden. Wir sind keine Antisemiten», erklärte nach Angaben von FAZ und tagesschau.de ein anderer Tatverdächtiger in einem auf Facebook veröffentlichten Video.

Mit dieser Meinung, von deren Veröffentlichung sie sich vermutlich eine geringere Strafe oder die Abwendung einer Abschiebung erhoffen, stehen die beiden aber recht alleine da. Jedenfalls wurde gegen den mutmaßlichen Haupttäter Haftbefehl erlassen. Er hatte sich im Beisein einer Rechtsanwältin der Polizei gestellt.

verschwörung Von einer neuen Qualität des Antisemitismus in Deutschland und von der Verschiebung einer Roten Linie sprach Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Einen solchen Vorfall, so Schuster im Deutschlandfunk, habe er sich vor zehn Jahren nicht vorstellen können. Im Zusammenhang mit der Bereitschaft zu Gewalt gegen Juden erwähnte Schuster auch die große Verbreitung von Theorien einer «jüdischen Weltverschwörung».

Dass Judenhass allein ein Phänomen arabischer Migranten sei, wies Schuster zurück. Auch in der nichtmuslimischen deutschen Bevölkerung finde sich Judenhass, so Schuster. Der junge Mann, der zugeschlagen hat, solle aber «mit der vollen Härte des Gesetzes zur Verantwortung gezogen werden», sagte Schuster in der «Welt am Sonntag». Dazu gehöre auch, dass das Aufenthaltsrecht des Mannes geprüft werde.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte, gegen Antisemitismus «mit aller Härte und Entschlossenheit» vorzugehen. Was sich am Dienstag in Berlin ereignet hatte, sei ein «schrecklicher Vorfall». In einem Interview mit einem israelischen Fernsehsender sprach auch Merkel von Flüchtlingen und «Menschen arabischen Ursprungs, die wieder eine andere Form von Antisemitismus ins Land bringen».

kippot Der Zentralrat rief zusammen mit anderen jüdischen und nichtjüdischen Organisationen zu einer Kundgebung unter dem Motto «Berlin trägt Kippa» auf. Initiiert hatte diese Solidaritätsaktion, die am Mittwochabend vor dem Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße stattfand, die Jüdische Gemeinde zu Berlin.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), der dort auch sprechen wollte, hatte vorab in einem Interview mit der «Welt» gesagt, er sei nicht bereit, solche Angriffe hinzunehmen.
Die Jüdische Gemeinde zu Berlin rief zu einer Solidaritätsaktion auf.

Katarina Barley (SPD), die neue Bundesjustizministerin, sagte zu Zeitungen der Funke-Mediengruppe, das Bewusstsein, was Antisemitismus angerichtet habe, sei in Deutschland lange sehr stark gewesen; nun aber müsse man «feststellen, dass Antisemitismus wieder salonfähig wird». Als eine Ursache gilt Barley auch der Zustrom von Flüchtlingen.

Außenminister Heiko Maas (SPD), der vor Barley für Justiz zuständig war, teilte auf Twitter mit, der Vorfall sei unerträglich. «Juden dürfen sich bei uns nie wieder bedroht fühlen. Wir tragen Verantwortung dafür, uns schützend vor jüdisches Leben zu stellen», so Maas.

überfall Rabbiner Daniel Alter, der 2012 selbst schon einmal in Berlin Opfer eines antisemitischen Überfalls arabischer Jugendlicher wurde, beobachtet, dass der Antisemitismus zunehmend aggressiv auftritt. Der frühere Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin sagte im RBB, das registriere er in unterschiedlichen Kreisen.

Dass es im Zuge der Flüchtlingsbewegung mehr muslimische Migranten in Deutschland gebe, habe die Lage für Juden in Deutschland allerdings verschärft, sagte Alter. Antisemitismus sei eben eine verbreitete Ideologie in vielen Herkunftsländern der Flüchtlinge. Wie auch Josef Schuster verwies Daniel Alter darauf, dass Antisemitismus nicht nur bei Migranten vorkäme, sondern man müsse «ganz klar benennen, dass er in der Mehrheitsgesellschaft – an den extremen Rändern, aber auch in der Mitte – weit verbreitet ist». Die Jugendlichen, die Alter und seine Tochter damals angriffen, wurden nie gefasst.

Von einem Bildungsdefizit spricht Mike Delberg, Mitglied der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. «Menschen wissen zu wenig über lebende Juden», sagte Delberg der «Berliner Zeitung». Juden kämen in der Schule nur als Schoa-Opfer vor. Zur Solidaritätsaktion, bei der alle Berliner, gleich ob jüdisch oder nichtjüdisch, ob männlich oder weiblich, nun Kippa tragen, sagte Delberg, das sei zwar ein schönes Symbol: «Aber was kommt danach? Es gab schon zu viele Solidaritätskundgebungen.»

thüringen Gleichwohl fanden sich nicht nur am Mittwochabend in Berlin Menschen zur Solidarität mit Juden zusammen. In mehreren Städten waren ähnliche Aktionen geplant. Unter dem Motto «Thüringen trägt Kippa» fand zeitgleich auch in Erfurt am Mittwoch eine Demonstration statt, zu der unter anderem der Ministerpräsident des Freistaates, Bodo Ramelow (Linke), aufgerufen hat. «Ich bin dabei! Ob Kopftuch, Kreuz oder Kippa – wir stehen für die Vielfältigkeit!», schrieb Ramelow auf Facebook. Zur Begründung einer eigenständigen Aktion in Thüringen schrieb der evangelische Pfarrer Ricklef Münnich: «Wenn Israelis und Juden verbal und körperlich angegriffen werden, weil sie Kippa tragen, dann sind wir alle angegriffen.»

Wie auch in Berlin waren alle Teilnehmer aufgefordert, eine Kippa zu tragen, auch Frauen. Wer nicht nach Erfurt kommen könne, solle ebenfalls am Mittwoch sichtbar eine Kippa tragen: «So setzen wir ein wichtiges Zeichen», so Münnich.
Aufgegriffen wurde die Berliner Idee auch in Köln und Potsdam. «Kippa Colonia» heißt eine Aktion, die gleichfalls am Mittwoch stattfand, initiiert von dem Schauspieler Gerd Buurmann und unterstützt von der Synagogen-Gemeinde.

In Potsdam rief die evangelische Nagelkreuzgemeinde, deren künftiger Standort die umstrittene Garnisonskirche werden soll, gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde und der Synagogengemeinde der Stadt auf.

Als Zeichen der Solidarität kündigte der Stadtkämmerer von Frankfurt/Main, Uwe Becker (CDU), an, am 14. Mai, dem israelischen Unabhängigkeitstag, einen ganzen Tag lang eine Kippa zu tragen.

israeli Die Opfer der Attacke vom Helmholtzplatz, ein 21-jähriger arabischer Israeli und ein 24-jähriger Deutscher, erklärten derweil, keine Juden zu sein. Der Israeli sagte der «Deutschen Welle»: «Ich bin nicht jüdisch, ich bin Israeli, ich bin in Israel in einer arabischen Familie aufgewachsen.» Die Kippa habe er als Experiment getragen, denn er habe nicht glauben wollen, dass man in Deutschland mit dieser religiösen Kopfbedeckung nicht sicher sei.

Im israelischen Fernsehen sagte der junge Mann, er sei «immer noch geschockt»: Zusammen mit einem Freund habe er seine Wohnung in Prenzlauer Berg verlassen, jeweils mit einer Kippa bedeckt. Unvermittelt hätten drei Männer sie beschimpft. Sein Freund habe sie aufgefordert, damit aufzuhören. Doch das habe die jungen Männer, vermutlich Araber, noch mehr in Rage gebracht. Mitgefilmt hätten die beiden Opfer, um der Polizei etwas zur Verfügung stellen zu können.

Veröffentlicht wurde das Video vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) in Berlin. Dessen Sprecher Levi Salomon sagte, der Vorfall zeige, «dass jüdische Menschen auch hier nicht sicher sind». Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, erinnerte daran, dass solche Angriffe nicht zum ersten Mal passiert seien. «Wer sich so verhält, stellt sich außerhalb der Rechtsordnung dieses Landes, lehnt die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab», so Königsberg.

ignoranz Von einer Ignoranz der Deutschen gegenüber dem Antisemitismus sprach derweil Josef Schuster in einem Interview mit der «Passauer Neuen Presse». Viele glaubten, der Hass auf Juden gehe nur Juden etwas an, aber Judenfeindlichkeit sei ein Beleg dafür, dass etwas in der demokratischen Struktur nicht stimmt. (mit epd)

Georg M. Hafner

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