Berlin

Jüdische Prominente erschrocken über AfD-Ergebnis

Foto: Gregor Matthias Zielke

Berlin

Jüdische Prominente erschrocken über AfD-Ergebnis

Jeder Fünfte hat bei der Bundestagswahl seine Stimme der AfD gegeben. Jüdische Vertreter äußern große Sorge

 25.02.2025 06:41 Uhr Aktualisiert

Jüdische Vertreter zeigen sich angesichts der Ergebnisse der AfD bei der Bundestagswahl besorgt und erschrocken. Die Resultate müssten die Menschen wachrütteln, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, am Sonntagabend.

»Es muss uns alle umtreiben, dass ein Fünftel der deutschen Wähler einer mindestens in Teilen rechtsextremistischen Partei ihre Stimme gibt, die sprachlich und ideologisch offen Verbindungen zum Rechtsradikalismus und Neo-Nazismus sucht, mit den Ängsten der Menschen spielt und ihnen nur scheinbare Lösungen anbietet.« Laut jüngsten Hochrechnungen liegt die AfD bei 20,4 Prozent.

»Deutschland ist ab heute ein anderes Land«, sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. Seit dem 7. Oktober 2023, dem Überfall der palästinensischen Terrorgruppe Hamas auf Israel, sei der Judenhass regelrecht explodiert.

Geistige Brandstiftung

Knobloch erinnerte an den Messerangriff am Berliner Holocaust-Mahnmal am Freitag und einen vereitelten mutmaßlichen Anschlag auf die israelische Botschaft. »Angst gehört wieder zum Alltag jüdischer Menschen. Das muss endlich aufhören.« Die nächste Bundesregierung stehe vor enormen Aufgaben.

Der Publizist und Jurist Michel Friedman erklärte: »Die antidemokratische, Menschen verachtende Partei ist die größte Oppositionspartei. Sie will die neue Regierung jagen. Sie dringt damit noch mehr in den politischen Alltag ein. Ich bin zutiefst beunruhigt.«

Russische und amerikanische Propaganda, Lügen und geistige Brandstiftung dürften in Deutschland und Europa nicht zum Alltag werden, so Friedman weiter. Was es nun brauche, sei gute Regierungsarbeit und harten, konstruktiven Streit mit den Wählern. »Viel Zeit bleibt nicht«, ist Friedman überzeugt.

Zehn Prozent in Frankfurt

Die Jüdische Gemeinde Frankfurt zeigte sich »zutiefst beunruhigt« über die hohen Wahlergebnisse der AfD. In einer Erklärung drückte sie auch ihr Bedauern darüber aus, dass die Rechtsextremisten in Frankfurt am Main rund zehn Prozent holten: »Diese Entwicklung betrifft uns alle, da sie nicht nur die politische Landschaft verändert, sondern auch die Werte und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft infrage stellt.«

Besonders erschütternd sei der Zuspruch unter jungen Wählern. Sie hätten in vielen Fällen AfD gewählt, »obwohl sich diese offen rassistisch, antisemitisch, frauenfeindlich und geschichtsrevisionistisch geäußert hat.« Die Gemeinde erklärte: »Dies stellt die demokratischen Parteien, aber auch uns alle als Gesamtgesellschaft vor die dringende Aufgabe, demokratische Werte zu stärken und junge Menschen wieder für eine politische Kultur zu gewinnen, die auf Toleranz, Respekt und einem gleichberechtigten Miteinander basiert.«

»Deutschland hat sich verändert, und es ist unsere gemeinsame Verantwortung, diesen Wandel in eine Richtung zu lenken, die den Grundsätzen der Demokratie gerecht wird und unsere Gesellschaft zusammenhält sowie jeglichen Extremismus – egal von welcher Seite er kommen mag, entschieden bekämpft«, heißt es in der Erklärung. »In dieser herausfordernden Zeit müssen wir mehr denn je dafür eintreten, dass die demokratischen Werte in unserem Land gelebte Realität bleiben.«

Schmerzender Stimmenzuwachs

Christoph Heuber, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, erklärte gegenüber dieser Zeitung, Überlebende des Holocaust hätten auch diese Bundestagswahl mit besonderem Interesse verfolgt. »Der massive Stimmenzuwachs der AfD schmerzt und besorgt sie sehr.«

»Dass in Deutschland jemals wieder einer rechtsextremen Partei, die in ihren Reihen nicht nur einen Nazi beherbergt, das Attribut ›Volkspartei‹ zuwächst, war und ist für sie schwer vorstellbar und kaum erträglich«, so Heubner. »Und dennoch vertrauen sie immer noch darauf, dass die große Mehrheit der Deutschen keinen Staat will, in dem die Demokratie ausgehöhlt und mit Taten und Worten an den Pranger gestellt wird.«

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Heubners Aufruf an alle demokratischen Parteien: Sie müssten ihre politische Gestaltungsmacht nutzen, »um Hass und Antisemitismus zu bekämpfen und in ihrer Argumentation nicht weiter den antidemokratischen und hetzerischen Narrativen der AfD nachzulaufen«.

»Gefährliche Zeiten«

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER), äußerte sich am Montagnachmittag zum Ausgang der Bundestagswahl. Er gratulierte Wahlsieger Friedrich Merz (CDU) »sehr herzlich« und wünschte ihm viel Erfolg, Kraft und Gottes Segen für die vor ihm liegende Aufgabe, eine neue Bundesregierung zu bilden.»

«Die jüngsten Anschläge radikalisierter islamistischer Täter in Berlin und München, der versuchte Anschlag auf die israelische Botschaft und eine antiisraelische und antisemitische Haltung in Teilen der Gesellschaft, die auf falschen, toxischen Nahost-Narrativen beruht, sind ein Angriff auf uns alle, auf jeden Einzelnen in unserer freien Gesellschaft», hieß es in Goldschmidts Erklärung.

«Europa befindet sich in gefährlichen Zeiten, und ausländische Mächte und extremistische Ideologien versuchen, das freie und liberale Europa zu zerstören. Das dürfen wir niemals hinnehmen», so der Oberrabbiner.

«Ausländische Aggressionen»

«Wir freuen uns, dass Friedrich Merz für die Wiedervereinigung und Stärkung Europas einsteht und bereit ist, Verantwortung für die Sicherheit Europas zu übernehmen und sich gegen ausländische Aggressionen und Angriffe auf unsere Lebensweise zu wehren. Er kann mit der vollen Unterstützung der CER rechnen.»

Die CER hoffe zudem, dass die von Friedrich Merz geführte Bundesregierung weit über Europa hinaus eine klare Haltung gegen Antisemitismus, Desinformation und den entschlossenen Kampf gegen radikale Ideologien, einnehmen werde.

«Die CER hofft auch auf einen starken, wieder respektierten Rechtsstaat, der das Recht konsequent durchsetzt, Hass und Gewalt klar in die Schranken weist und den Bürgerinnen und Bürgern sowie der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland wieder ein Gefühl der Sicherheit gibt.»

Michael Gold, Chefredakteur der jüdischen Publikation «Hadashot» in Kiew, hofft auf Einigkeit der Koalition bei der Unterstützung für die Ukraine: «Ermutigend ist, dass CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen aktive Unterstützung für Kiew befürworten, und ich hoffe, dass die SPD ihre Einwände gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ebenfalls ausräumen wird», sagte er der Jüdischen Allgemeinen. ja

Washington D.C.

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