Gesundheit

Impfen als Mizwa

Impfen schützt Foto: dpa

In einer Demokratie werden Entscheidungen oft als Ergebnis einer Güterabwägung getroffen und umgesetzt. Das Wohl vieler soll dabei möglichst ohne Nachteil für einige wenige erreicht werden. Nach diesem Muster finden auch medizinische und halachische Entscheidungsprozesse statt.

In der Gesundheitspolitik einer demokratischen Gesellschaft kommt aus jüdischer Perspektive somit alles zusammen. Spannungen sind dabei natürlich; hinter ihnen stehen unterschiedliche Interessen, Vorstellungen und Weltanschauungen, die sich oft gegenseitig ausschließen. Die politische, medizinische und halachische Kunst besteht dann darin, diese in einer Güterabwägung miteinander möglichst in Einklang zu bringen.

Zu oft setzen sich aber in einer offenen Gesellschaft diejenigen Stimmen durch, die einfach nur am lautesten sind. Besonders laut in Bezug auf Impfungen werden nun Stimmen, die nach Ausnahmen rufen oder Impfungen ganz abschaffen wollen. Gerade sie sehen sich im Entscheidungsprozess als Schwache, ja gar als Opfer starker Wirtschaftsverbände der Pharma- und Chemieindustrie.

masern Mit diesem geradezu hysterischen Argument widersetzen sie sich den Bestrebungen nach flächendeckenden Impfungen. Sie verweisen auf die Kraft der Natur, die bei überstandenen Masern etwa als Kinderkrankheit eine hundertprozentige Immunität gewährleiste. Impfungen können diesen vollständigen Schutz nicht erreichen. Sie können aber durchaus den Ausbruch der hochansteckenden Krankheit weitgehend verhindern, und damit auch mögliche Komplikationen, die bleibende Schäden oder gar den Tod zur Folge haben können. Die Risiken der Infektion werden oft unterschätzt, die Risiken der Impfung umso mehr überschätzt.

Was Sigmar Gabriel im wirtschaftspolitischen Diskurs bemerkte (»Deutschland ist ein reiches und hysterisches Land«), scheint eher in der Gesundheitspolitik und der Frage der Impfentscheidungen zu gelten. Wie in der Wirtschaftspolitik müssen aber ganz bestimmt auch die richtigen Instrumente zur Anwendung kommen. Hierbei wird unterschieden werden zwischen behandelnden und vorbeugenden Instrumenten. Auch halachisch wird dieser Unterschied unterstrichen; zwischen l’hatchil (von vorneherein, also auch im Vorfeld einer potenziellen Erkrankung, mithin präventiv) und b’diawad (im Nachhinein, mithin therapeutisch).

präventivmedizin
Gerade für die Gesundheitspolitik steht die Präventivmedizin besonders im Fokus, vor allem im Bereich der Epidemievermeidung. Sie stellt eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung dar, was ihr ethische Relevanz verleiht. Klar ist: Hohe Durchimpfungsraten verhindern hohe Übertragungsraten, bieten also »Herdenimmunität«, die wiederum einzelne Personen schützt.

Das ist halachisch von entscheidender Bedeutung: Jeder, der sich einer Impfung gegen eine hochansteckende Krankheit widersetzt, vermindert die Herdenimmunität und erhöht damit die Ansteckungsgefahr gerade auch für diejenigen, die sich nicht dagegen wehren können: Kleinkinder, Schwangere, Alte und Patienten mit eingeschränkter Immunität. Das kommt unterlassener Hilfeleistung gleich, welche auch im Vorfeld einer Gefahr laut Maimonides eine Sünde darstellt.

Zudem ist es ein Gebot, Gefährdungen zu kennzeichnen, um anderen und sich selbst dabei behilflich zu sein, die Gefahr zu erkennen und ihr auszuweichen. Diese einleuchtende Mizwa wird abgeleitet von der einfachen Aufforderung an Hausbauer, für ein Geländer auf dem Dach zu sorgen (5. Buch Mose, 22,8). Maimonides verweist darauf, dass eine Nichtbeachtung dieser Aufforderung einem Blutvergießen gleichkommt. Auch der Schulchan Aruch kommt zu diesem Schluss in seinen beiden letzten Kapiteln, die dem Thema Erhaltung und Rettung von Leben gewidmet sind.

risiken So weit, so gut, halachisch gesehen. Politisch und medizinisch auch, sollte man meinen. Die Politik und die medizinische Fachwelt haben allerdings Mühe, vor allem Eltern davon zu überzeugen, ihre Kinder impfen zu lassen. Als Grund dafür nennen Ärzte vermehrt eine beobachtete Tendenz bei vielen Eltern, die Risiken einer Impfung höher zu bewerten als die einer Kinderkrankheit. Gegen diese gefährliche Einstellung würden auch aufklärende Gespräche wenig nützen.

Um sie zu korrigieren, ist nicht nur Aufklärung geboten, also rationale Argumente. Es geht schließlich um die eigenen Kinder, und die stehen Eltern freilich näher als die Allgemeinheit. Es geht also auch um Emotionen, und wenn überhaupt, können nur emotionale Argumente da helfen, ähnlich wie bei Warnhinweisen auf Zigarettenschachteln. Vielleicht sollte das Bundesgesundheitsministerium entsprechend warnen, wenn es um Impfungen gegen Masern geht? Auf jeden Fall gilt: Beim Impfen geht es um uns alle – ausnahmslos.

Die Autoren sind als Arzt und Rabbiner in der Budge-Stiftung in Frankfurt/Main tätig.

Interview

»Solange die Hamas nicht entwaffnet ist, sollte kein Cent deutsches Steuergeld nach Gaza fließen«

Der Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter (CDU) über die Entwaffnung der Hamas, den Rüstungsstop der Bundesregierung, einen Staat Palästina und die Zukunft der UNRWA

von Philipp Peyman Engel  15.10.2025

Friedens-Erklärung

»Trump-Erklärung für dauerhaften Frieden und Wohlstand« im Wortlaut

Die Staatschefs der USA, Katars, Ägyptens und der Türkei haben ein Dokument unterzeichnet, das die geltende Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas festigen soll. Die Erklärung im Wortlaut

 15.10.2025

Berlin

CDU/CSU will wieder unbeschränkte Rüstungsexporte nach Israel

CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann: Die Lieferbeschränkungen müssen fallen

von Michael Fischer  15.10.2025

Krieg

Trump: Die Hamas muss entwaffnet werden - notfalls mit Gewalt

Erst am Montag hatte US-Präsident Trump gesagt, dass viele Staaten im Nahen Osten die Hamas entwaffnet sehen möchten. Nun macht er klar: Gegebenenfalls auch durch US-Soldaten

 15.10.2025

Potsdam

Kein Parteiausschluss für Antisemitismusbeauftragten Büttner

Warum die Landesschiedskommission einen Ausschluss des Antisemitismusbeauftragten von Brandenburg einstimmig ablehnt – und was seine Israel-Solidarität mit dem Streit in der Linken zu tun hat

 15.10.2025

Terror

Hamas gibt die Leichen von Tamir Nimrodi, Uriel Baruch und Eitan Levy zurück

Die vierte Leiche ist ein Palästinenser

 15.10.2025 Aktualisiert

Kommentar

Europa ist im Nahen Osten bedeutungsloser denn je

Während die USA unter Präsident Donald Trump keinen Zweifel darüber haben aufkommen lassen, wo es steht, hat Europa komplett versagt

von Daniel Neumann  13.10.2025

Gaza

Hamas kündigt Fortsetzung des Terrors gegen Israel an

Die Hamas will Israel weiterhin zerstören und einen islamischen Staat errichten

 13.10.2025 Aktualisiert

Berlin

Merz: »Der Krieg in Gaza ist zu Ende«

Der Kanzler würdigt den 13. Oktober als historischen Tag. Er hofft nun, dass von der Waffenruhe im Gazastreifen auch ein Signal in ein anderes Kriegsgebiet ausgeht

 13.10.2025