Meinung

Gute Erfahrungen mit der Kippa

Am 1. Dezember 2013 um 9.23 Uhr setzte ich eine Kippa auf und verließ mein Haus in München. Mein Ziel war, zu beweisen, dass das Verstecken 70 Jahre nach der Schoa für uns Juden in Deutschland vorbei ist, dass wir sichtbar und ohne Angst und sogar mit Freude leben können.

In den folgenden 30 Monaten habe ich eine Reihe lustiger, sogar herzerwärmender Erfahrungen gemacht – in München, Berlin, Zwickau und anderen Städten. Aber im Großen und Ganzen war es unspektakulär. Kein Mensch hat mich angepöbelt, nicht mal einen bösen Blick gab es. So ist die Ehre, dass eine meiner Kippot in das Haus der Geschichte der Bundesrepublik aufgenommen wird, etwas unverdient.

abwehr Oder doch nicht? In der Jüdischen Allgemeinen lieferte Michael Wuliger mit seinem Artikel »Kippa als Museumsstück« vergangene Woche eine ganz andere Erklärung. Er meint, ich würde nur in Ruhe gelassen, weil ich »groß gewachsen und athletisch« aussehe. Danke für die Blumen, das freut einen Mann, der auf die 62 zugeht und nie sehr groß war. Michael Wuliger hat noch eine weitere Erklärung für meine 900 Tage freudigen Kippatragens: Meine Kippot besäßen »magische Abwehrkräfte«! Das wäre nützlich in den vielen Ländern der Welt, in denen Juden gefährdet sind. Doch dazu gehört Deutschland nicht.

Insofern ist die Aufnahme meiner Kippa in das Haus der Geschichte sehr wohl verdient – aber nicht von mir, sondern von Deutschland. Nachdem hier sechs Millionen von uns ermordet wurden (und daran denke ich jede Stunde an jedem Tag), hat dieses Land eine einmalige Erinnerungskultur aufgebaut. »Kaphoreth!«, Sühnen!, heißt es in der Tora, und das tut Deutschland, etwa durch fast 50.000 Stolpersteine. Dank dieser Erinnerungskultur kann ich als amerikanischer Jude in diesem Land leben. Lieber Michael, du scheinst das noch nicht wahrgenommen zu haben. Daher diese Einladung: Ich leihe dir eine schöne Kippa, und wir gehen zusammen spazieren.

hebräisch Neulich schleppte ich Pflanzen. Es kam mir ein (wirklich!) athletischer Afrikaner entgegen, der auf mich einredete. Plötzlich merkte ich, dass er Hebräisch sprach: »Du bist Jude? Geht es dir gut mit der Kippa?« Bevor ich mein (dürftiges) Hebräisch zusammensuchen konnte, war er weg. »Toda, erev tov!«, rief ich ihm hinterher.

Es ist schön, solche Erfahrungen zu machen. Noch schöner wäre es, sie mit dir zu teilen, lieber Michael Wuliger.

Der Autor ist Mitglied der »Initiative Stolpersteine« in München.

Arlington (Virginia)

USA genehmigen Milliardenauftrag: Neue F-15-Kampfjets für Israel

Der Vertrag umfasst die Entwicklung, Integration, Erprobung, Produktion und Lieferung von zunächst 25 neuen Maschinen

 30.12.2025

Terror

Warum?

Die nichtjüdische Deutsche Carolin Bohl wurde am 7. Oktober 2023 von der Hamas brutal ermordet. Hier nimmt ihre Mutter Abschied von der geliebten Tochter

von Sonja Bohl-Dencker  30.12.2025

Einspruch

Solidarität mit Somaliland

Sabine Brandes findet Israels Anerkennung der Demokratie am Horn von Afrika nicht nur verblüffend, sondern erfrischend

von Sabine Brandes  30.12.2025

Meinung

Für mich ist es Nowy God – und warum ich ihn feiere

Das Neujahrsfest hat mit dem Judentum eigentlich nichts zu tun. Trotzdem habe ich warme Erinnerungen an diesen säkularen Feiertag

von Jan Feldmann  30.12.2025

London

Vorwurf gegen Facebook: Beiträge feiern Mord an Juden und bleiben online

»Die Beiträge, die den Anschlag von Bondi feiern, sind schlicht widerwärtig«, sagt Dave Rich von der jüdischen Organisation CST in England

 30.12.2025

Berlin

Tagung »Digitale Horizonte«: Wie sich Erinnerungskultur im digitalen Zeitalter wandelt

Wie verändert die Digitalisierung das kollektive Erinnern? Welche Chancen eröffnen neue Technologien – und wo liegen ihre Grenzen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Konferenz

 30.12.2025

Deutschland

Shahak Shapira »superverbittert« über Antisemitismus

Shahak Shapira spricht offen über seinen Frust angesichts von Antisemitismus in Deutschland – und wie er mit politischer Comedy darauf reagiert

 29.12.2025

Analyse

Warum die Anerkennung Somalilands so viel Aufsehen erregt

Das kleine Land am Horn von Afrika hat plötzlich eine große geopolitische Bedeutung. Dafür gibt es gute Gründe

von Ralf Balke  29.12.2025

Kommentar

Wer Glaubenssymbole angreift, will Gläubige angreifen

Egal ob abgerissene Mesusot, beschmierte Moscheen oder verwüstete Kirchen: Politik und Religion werden zurzeit wieder zu einem hochexplosiven Gemisch. Dabei sollte man beides streng trennen

 29.12.2025