Justiz

Gesetzeslücke beseitigt

In dem neuen Paragrafen sind künftig Geld- oder sogar Freiheitsstrafen vorgesehen. Foto: Getty Images

Justiz

Gesetzeslücke beseitigt

Verhetzende Beleidigung ist künftig eine Straftat

von Patrick Gensing  21.05.2021 08:54 Uhr

Der neue Paragraf 192a im Strafgesetzbuch soll Personen und Gruppen schützen, die wegen ihrer nationalen, religiösen oder ethnischen Herkunft, ihrer Behinderung oder ihrer sexuellen Orientierung beschimpft, verleumdet oder verächtlich gemacht werden. Der neue Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung bezieht sich beispielsweise auf Nachrichten, die direkt an Betroffene geschickt werden.

Unter anderem erhielt der Zentralrat der Juden Hasszuschriften, die trotz ihres Inhalts offenbar nicht strafbar waren. Denn juristisch gesehen ist eine Volksverhetzung nur gegeben, wenn die Nachricht öffentlich verbreitet wird, zum Beispiel in Flugblättern, in sozialen Netzwerken oder in Redebeiträgen. Das trifft auf E-Mails oder Briefe nicht zu.

hassnachrichten Für eine strafbare Beleidigung wiederum ist ein direkter Bezug zu der betroffenen Person erforderlich, sie muss also konkret angesprochen und beleidigt werden. Auch dies trifft bei manchen Hassnachrichten nicht zu, wenn beispielsweise in solchen E-Mails allgemein der NS-Terror verharmlost oder sogar glorifiziert wird.

Die pauschale Herabwürdigung von bestimmten Gruppen oder Ethnien in persönlichen Nachrichten ist juristisch gesehen also weder eine Beleidigung, noch wird der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt, da die entsprechende Aussage nicht öffentlich getätigt wurde.

Für solche Delikte sind dem neuen Paragrafen zufolge künftig Geld- oder sogar Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren vorgesehen.

Genau diese Lücke im Strafgesetzbuch soll die sogenannte verhetzende Beleidigung schließen. Für solche Delikte sind dem neuen Paragrafen zufolge künftig Geld- oder sogar Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren vorgesehen. »Wir sind in der Verantwortung, jeden und jede in unserer Gesellschaft vor Anfeindungen und Ausgrenzung zu schützen«, begründete Bundesjustizministerin Christine Lambrecht das Vorhaben. »Wir müssen der Menschenverachtung von vornherein den Nährboden entziehen und wo immer nötig konsequent einschreiten.«

menschenwürde Die Ministerin betonte, oft richteten sich »Hassnachrichten direkt an Betroffene – per Nachrichten, Mails und Briefen. Mitglieder jüdischer und muslimischer Gemeinden werden verhöhnt und verächtlich gemacht. Mangels Öffentlichkeit gilt dies nicht als Volksverhetzung. Genau hier greift die neue Strafvorschrift ein und sorgt für einen umfassenden strafrechtlichen Schutz der Betroffenen, deren Menschenwürde angegriffen wird«.

Deswegen soll es – so heißt es im neuen Paragrafen – künftig strafbar sein, »eine durch ihre nationale, rassische, religiöse oder ethnische Herkunft, ihre Weltanschauung, ihre Behinderung oder ihre sexuelle Orientierung bestimmte Gruppe oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen« zu beschimpfen, böswillig verächtlich zu machen oder zu verleumden.

DISKUSSIONEN Über die Ausgestaltung des Textes hatte es allerdings noch Diskussionen gegeben. Nach den ursprünglichen Plänen von CDU/CSU sollte die neue Strafnorm ausschließlich Gruppen schützen, die während der NS-Diktatur verfolgt wurden – also insbesondere Juden, Homosexuelle sowie Sinti und Roma. Dies sorgte für Kritik, da somit beispielsweise Muslime nicht geschützt worden wären – obwohl auch deren Vertreter und Organisationen mit Hassnachrichten konfrontiert sind.

Mangels Öffentlichkeit galten Hassbriefe bislang nicht als Volksverhetzung – das wurde nun geändert.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, und der Zentralrat der Juden sprachen sich dafür aus, den geplanten neuen Straftatbestand der verhetzenden Beleidigung auch für andere Betroffene zu öffnen. »Die Vorschrift sollte nicht nur für jüdische Personen und Organisationen gelten«, sagte Felix Klein. Es seien auch andere Gruppen und Einzelpersonen von Hass und Hetze betroffen.

Der Zentralrat der Juden betonte, es sei »selbstredend, dass ein solcher Straftatbestand nicht eine bestimmte Gruppe, sondern alle Opfer schützen beziehungsweise ein konkretes Verhalten sanktionieren und bestenfalls verhindern soll«. Schließlich wurde der Entwurf überarbeitet und bezieht Muslime nun mit ein.

INHALTE Welche Inhalte in Nachrichten aber nun ganz konkret »geeignet« sind, die Menschenwürde anderer anzugreifen, kann vom Gesetzgeber nicht eindeutig definiert, sondern muss im Einzelfall entschieden werden. Um den neuen Straftatbestand aber möglichst zeitnah umsetzen zu können, soll das Vorhaben in den Gesetzentwurf zu sogenannten Feindeslisten aufgenommen werden, der im Bundestag kurz vor dem Beschluss steht. Ziel dieses Entwurfs ist es, die Verbreitung sogenannter Feindeslisten mit Namen und Daten vermeintlicher politischer Gegner explizit unter Strafe zu stellen.

Im Netz finden sich virtuelle Pranger mit Namen wie »Nürnberg 2.0«, zudem kursieren zahlreiche Listen mit Personen, denen allein durch die Nennung in einer solchen Liste subtil gedroht wird. Mit diesem Vorhaben will das Bundesjustizministerium weitere Maßnahmen umsetzen, mit denen Antisemitismus und Rassismus effektiver bekämpft werden sollen.
Insbesondere die jüngsten israelfeindlichen Demonstrationen und antisemitischen Hassausbrüche in Deutschland haben noch einmal die Dringlichkeit für ein entschlossenes Handeln gegen jede Form des Antisemitismus demonstriert.

Nordrhein-Westfalen

Köln als Standort für Holocaust-Bildungszentrum?

Eine neue Stätte für das Holocaust-Gedenken in Deutschland: NRW will ein geplantes Bildungszentrum nach Köln holen. Aber es gibt auch andere Bewerber

von Andreas Otto  22.05.2025

Terrorakt in Washington

Jüdischer Journalistenverband kritisiert ARD-Berichterstattung

Die Co-Vorsitzende des Verbands fordert mehr Sorgfalt im Umgang mit Sprache im Zusammenhang mit dem Attentat

 22.05.2025

Anschlag in Washington

Was über den mutmaßlichen Attentäter bekannt ist

Elias Rodriguez, der zwei israelische Botschaftsmitarbeiter erschoss, war offenbar im linksextremen Milieu unterwegs und verfasste ein Schreiben, in dem er die Tat rechtfertigte

von Michael Thaidigsmann  22.05.2025

Berlin

Klein fordert mehr Schutz für jüdische Orte

Die tödliche Attacke auf zwei Mitarbeiter der israelischen Botschaft in Washington lösen auch hierzulande Alarm aus. Der Beauftragte für jüdisches Leben fürchtet Folgetaten in Deutschland

 22.05.2025

Nachrufe auf Yaron Lischinsky

»Ein Nürnberger Bub«

Der Deutsch-Israeli Yaron Lischinsky ist eines der beiden Opfer des Attentats von Washington D.C. Er sei ein herzlicher, lieber Mensch gewesen, sagen die, die ihn kannten. Freunde und Bekannte nehmen Abschied

 22.05.2025

Bildung

Prien: Besuch einer KZ-Gedenkstätte gehört auf den Stundenplan

Kontakte zu Nachfahren von Opfern der NS-Zeit, die Beschäftigung mit Einzelschicksalen und der Besuch einer KZ-Gedenkstätte kann bei jungen Menschen Empathie fördern. Darauf setzt die Bundesbildungsministerin

 22.05.2025

Hochschulen

Jüdische Studierende fordern klare Regeln für Sicherheit

Auch an deutschen Hochschulen hat sich die Situation für Juden mit dem eskalierten Nahostkonflikt verschärft. Ein Vertreter jüdischer Studierender spricht von deutlicher Radikalisierung. Er pocht auf mehr Sicherheit

von Alexander Riedel  22.05.2025

Berlin

Josef Schuster: »Die Morde von Washington zerreißen mir das Herz«

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zum Mord an zwei Angestellten der israelischen Botschaft in Washington D. C.

 22.05.2025

Berlin

Merz und Wadephul verurteilen Morde in Washington

Der Schock über die Morde an zwei Mitarbeitern der israelischen Botschaft in Washington ist groß. Auch der Bundeskanzler zeigt sich bestürzt

 22.05.2025