Interview

»Gemeinden werden verschwinden«

Ariel Muzicant Foto: picture alliance / Starpix / picturedesk.com

Interview

»Gemeinden werden verschwinden«

Ariel Muzicant über die Diaspora, die Zukunft jüdischen Lebens in Europa und Differenzen mit Israels neuer Regierung

von Tobias Kühn  30.01.2023 15:18 Uhr

Herr Muzicant, Sie haben jüngst in Jerusalem bei einem Treffen von Vertretern jüdischer Gemeinden aus ganz Europa Sorge um die Zukunft geäußert. Was veranlasst Sie dazu?
Wir glauben, dass es etwa die Hälfte der jüdischen Gemeinden in der Diaspora, vor allem in Europa, in 30 bis 50 Jahren nicht mehr geben wird, wenn wir nicht jetzt drastische Maßnahmen ergreifen: gegen die Assimilation, den Identitätsverlust, aber auch gegen das Auseinanderdriften junger Juden in Europa und Israel.

An welche Gemeinden denken Sie?
An alle, die heute weniger als 2000 Mitglieder haben. Sie werden tendenziell verschwinden. Auch die Gemeinden mit 2000 bis 10.000 Mitgliedern haben große Probleme. Wenn ich an Osteuropa denke, aber auch an Helsinki, Malmö, Kopenhagen – das sind alles Gemeinden, die durch Assimilation und Abwanderung so viele Menschen verlieren, dass sie in ein paar Jahren wohl nicht mehr existieren. Zwar werden auch in Zukunft dort Juden leben, aber die kritische Größe für eine Gemeindestruktur wird nicht mehr vorhanden sein.

Was kann man dagegen tun?
Wir müssen die jüdische Bildung in den Gemeinden stärken – wir brauchen Schulen, Lehrer, Schulbücher, wir brauchen Geld. Das Zweite sind kulturelle Programme, das Dritte sind identitätsstiftende Maßnahmen. Außerdem sollten Juden verstärkt Israel besuchen. Man darf entsprechende Programme wie Taglit – Birthright oder Masa Israel nicht kürzen, sondern muss sie ausweiten.

Sie sprachen in Jerusalem davon, dass ein Paradigmenwechsel nötig sei.
Ja, seit 125 Jahren hat die Diaspora den Staat Israel aufgebaut und unterstützt. Aber es ist jetzt dringend nötig, dass israelische und jüdische Institutionen ihre Investitionen in das Diaspora-Judentum erheblich erhöhen.

Bei Ihren Gesprächen in Jerusalem soll es auch um die Sorge der europäischen Diaspora in Bezug auf die neue israelische Regierung gegangen sein.
Wenn ich Differenzen mit der israelischen Regierung habe, diskutiere ich das nicht über die Medien, sondern direkt mit den Betroffenen. Aber es ist kein Geheimnis, dass einzelne Minister und deren Programme vor der Wahl uns Kopfschmerzen bereiten. Doch unsere Position ist: Wir messen die Regierung an ihren Taten und nicht an ihren Vorankündigungen.

Obwohl Sie sich nicht zum Ukraine-Krieg äußern wollen, um niemanden zu gefährden, haben Sie auf die jüngsten Äußerungen von Russlands Außenminister Lawrow reagiert. Er hatte gesagt, der Westen verfolge »die Endlösung der ›Russlandfrage‹«.
Ich lasse es nicht zu, dass man die Schoa uminterpretiert. Das kann nicht sein! Ein Vergleich mit der Schoa, wie ihn Lawrow gezogen hat, ist inakzeptabel.

Mit dem Präsidenten des Europäisch-Jüdischen Kongresses sprach Tobias Kühn.

Großbritannien

Israelfeindlicher Protest: Greta Thunberg festgenommen

In London treffen sich Mitglieder der verbotenen Gruppe Palestine Action zu einer Protestaktion. Auch die schwedische Aktivistin ist dabei. Die Polizei schreitet ein

 23.12.2025

Stockholm

Was bleibt von den Mahnungen der Überlebenden?

Der Schoa-Überlebende Leon Weintraub warnt vor der AfD und Fanatismus weltweit. Was für eine Zukunft hat die deutsche Erinnerungskultur?

von Michael Brandt  23.12.2025

Israel

Netanjahu warnt Türkei

Israel will die Zusammenarbeit mit Griechenland und Zypern stärken. Gleichzeitig richtet der Premier scharfe Worte an Ankara

 23.12.2025

New York

Mitglieder von Mamdanis Team haben Verbindungen zu »antizionistischen« Gruppen

Laut ADL haben mehr als 80 Nominierte entsprechende Kontakte oder eine dokumentierte Vorgeschichte mit israelfeindlichen Äußerungen

 23.12.2025

Düsseldorf

Reul: Bei einer Zusammenarbeit mit der AfD wäre ich weg aus der CDU

Die CDU hat jede koalitionsähnliche Zusammenarbeit mit der AfD strikt ausgeschlossen. Sollte sich daran jemals etwas ändern, will Nordrhein-Westfalens Innenminister persönliche Konsequenzen ziehen

 23.12.2025

Interview

»Diskrepanzen zwischen warmen Worten und konkreten Maßnahmen«

Nach dem Massaker von Sydney fragen sich nicht nur viele Juden: Wie kann es sein, dass es immer wieder zu Anschlägen kommt? Auch der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, sieht Defizite

von Leticia Witte  22.12.2025

Washington D.C.

Kritik an fehlenden Epstein-Dateien: Minister erklärt sich

Am Freitag begann das US-Justizministerium mit der Veröffentlichung von Epstein-Akten. Keine 24 Stunden später fehlen plötzlich mehrere Dateien - angeblich aus einem bestimmten Grund

von Khang Mischke  22.12.2025

Australien

Behörden entfernen Blumenmeer für die Opfer von Bondi Beach

Die Regierung von New South Wales erklärt, man habe sich vor dem Abtransport der Blumen eng mit der jüdischen Gemeinde abgestimmt

 22.12.2025

Sydney

Attentäter warfen Sprengsätze auf Teilnehmer der Chanukka-Feier

Die mutmaßlichen Attentäter Naveed und Sajid Akram bereiteten sich auf das Massaker vor. Ihre Bomben explodierten nicht

 22.12.2025