Interview

»Europa hat doch viel erreicht«

Herr Wineman, was sagt der Board of Deputies der britischen Juden zu den Erfolgen rechter Parteien bei der Wahl zum Europäischen Parlament?
Wir sind sehr besorgt. Es ist wirklich enttäuschend, dass der Front National stärkste Partei in Frankreich wurde. Das ist immerhin ein Land, das für die Europäische Union von zentraler Bedeutung ist. Was die Jobbik-Partei in Ungarn angeht, so hätte es schlimmer kommen können. Allerdings hatte man uns vor den letzten ungarischen Parlamentswahlen versichert, dass Jobbik starke Verluste werde hinnehmen müssen. Stattdessen aber haben sie ihren Stimmanteil erhöht.

Und was ist mit dem Erfolg der britischen Partei UKIP?
Für uns steht UKIP nicht auf demselben Level. UKIP hatte sich einem Bündnis mit dem Front National und Jobbik verweigert. Die Aussagen der Partei zu Themen wie Rassismus, Antisemitismus und Israel waren akzeptabel. Was UKIP ausmacht, ist eher Europhobie, also eine prinzipielle Anti-EU-Position. Das ist vom Grundsatz her nicht antisemitisch. Allerdings befasst sich UKIP mit dem Einwanderungsthema, und da werden wir aufmerksam bleiben. Aber mehr Gedanken machen wir uns zur Entwicklung in den anderen europäischen Ländern. Trotz aller Versuche Marine Le Pens, die Partei zu verändern und zu modernisieren, bleibt der Front National doch eine Partei mit verabscheuungswürdiger Vergangenheit. Le Pens Vater, der jetzt Europaabgeordneter ist, hat sich immer gerne mit Personen getroffen, die eindeutig antisemitisch sind und die mit völlig inakzeptablen Stellungnahmen zum Holocaust aufgefallen sind.

Wie soll die Gesellschaft auf den Rechtsruck reagieren?
Zum einen müssen wir forciert gegen die Ultrarechten und ihre Auffassungen angehen. Wir müssen erklären, dass und wie die Menschen davon profitieren, wenn Nationen und Religionen aufeinander zugehen und miteinander kooperieren. Und wir können ja wirklich beweisen, wie viel Europa seit 1945 in Sachen Harmonisierung erreicht hat. Außerdem müssen wir zeigen, dass der Islam keinesfalls zwingend zu antijüdischen Einstellungen führt.

Müssen sich nur die jüdischen Organisationen dieser Aufgabe stellen?
Nein, das ist der Kampf aller anständigen Menschen. Bisher haben sich die drei Regierungsparteien in Großbritannien stark und eindeutig gegen Antisemitismus ausgesprochen. Also erwarten wir, dass sich all diese Parteien mit uns in diesem Kampf vereinen werden.

Wie sieht es mit der jüdischen Wahlbeteiligung aus? Ist sie ein Faktor?
Glücklicherweise wählen jüdische Menschen tendenziell regelmäßiger. Bei diesen Wahlen herrschte jedoch große Apathie, wovon die extremistischen Parteien profitierten. Es ist deshalb für alle Mitglieder von Minderheiten wichtig, ihre Stimme abzugeben. Sonst werden sie nicht gehört.

Mit dem Präsidenten des Board of Deputies sprach Daniel Zylbersztajn.

Antisemitismus

Konzert-Comeback: Wie umgehen mit Xavier Naidoo?

Xavier Naidoo kehrt auf die großen Bühnen zurück. Ausverkaufte Hallen treffen auf Antisemitismus-Vorwürfe, anhängige Verfahren und eine umstrittene Entschuldigung - und auf die Frage, wie man heute dazu steht

von Stefanie Järkel, Jonas-Erik Schmidt  10.12.2025

Initiative

Bayerns Landtag will Yad-Vashem-Bildungszentrum in Freistaat holen

Die Idee hatte die Ampel-Koalition von Olaf Scholz: Eine Außenstelle der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Deutschland. Der Bayerische Landtag hat sich nun für einen Standort im Freistaat ausgesprochen

von Barbara Just  10.12.2025

Paris/Brüssel

EU-Gaza-Hilfe: Französischer Politiker hat »große Bedenken«

Benjamin Haddad, Frankreichs Staatssekretär für Europafragen, hat die Europäische Kommission aufgefordert, ihre Zahlungen an NGOs, die im Gazastreifen operieren, besser zu überwachen

 10.12.2025

Aufarbeitung

Französische Entnazifizierungs-Dokumente erstmals online abrufbar

Neue Hinweise zu Leni Riefenstahl und Martin Heidegger in der NS-Zeit: Künftig können Forscher online auf französische Akten zugreifen. Experten erwarten neue Erkenntnisse

von Volker Hasenauer  10.12.2025

Deutschland

Wegen Antisemitismus und AfD: Schauspiellegende Armin Mueller-Stahl (95) denkt ans auswandern

Armin Mueller-Stahl spricht offen über seine Gelassenheit gegenüber dem Tod – und warum aktuelle Entwicklungen ihn dazu bringen, übers Auswandern nachzudenken

 10.12.2025

Justiz

Mutmaßlicher Entführer: Chef eines israelischen Sicherheitsunternehmens packt aus

Die Hintergründe

 10.12.2025

Fußball

Sorge vor Maccabi-Spiel in Stuttgart

Tausende Polizisten, Metalldetektoren beim Einlass, Sorge vor Gewalt: Warum der Besuch von Maccabi Tel Aviv in der Europa League beim VfB aufgrund der politischen Lage kein sportlicher Alltag ist.

 10.12.2025

Brüssel

Keine Nato-Rüstungsaufträge mehr an israelische Firma?

Einem Bericht verschiedener Medien zufolge ist Israels führendes Wehrtechnikunternehmen Elbit Systems wegen Korruptionsverdachts vorläufig von weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen worden

 10.12.2025

Polen

Neun polnische KZ-Opfer werden im Juni seliggesprochen

Die Nationalsozialisten brachten in Dachau und Auschwitz auch Hunderte polnische Priester um. Die katholische Kirche verehrt mehrere von ihnen als Märtyrer. Bald werden neun weitere Geistliche in Krakau seliggesprochen

 10.12.2025