Sicherheit

»Es ist ein Teufelskreis«

Löscheinsatz nach einem Raketeneinschlag in der israelischen Stadt Sderot Foto: imago images/Xinhua

Sicherheit

»Es ist ein Teufelskreis«

Nahostexperte Ronni Shaked über den Raketenbeschuss aus Gaza, Terror durch die Hamas und mögliche Perspektiven

von Sabine Brandes  14.11.2019 08:41 Uhr

Herr Shaked, wie sollte man die jüngste Auseinandersetzung im Konflikt zwischen Israel und den Islamisten im Gazastreifen einordnen?
Stellen Sie sich vor, Italien schießt 160 Geschosse innerhalb von acht Stunden auf Deutschland, nachdem in den zwei Monaten davor 150 Raketen gefeuert wurden. In den vergangenen Jahren waren es Tausende. Was würde passieren? Der Islamische Dschihad und die Hamas sind grausame Organisationen und der Feind Israels. Sie träumen von dem Tag, an dem sie Israel von der Landkarte löschen. Beide werden vom Iran, der Hisbollah und anderen religiös-fanatischen Terrorgruppen unterstützt. Sie richten sich nicht nur gegen Israel, sondern gegen Juden in der ganzen Welt.

Zuerst trifft es aber die Israelis, vor allem jene, die in der Nähe der Enklave leben.
Die Menschen, die dort ausharren, sind wahre Helden unseres Landes. Darunter übrigens meine Tochter und meine Enkelkinder, die in der Nähe der Grenze wohnen.

War diese Auseinandersetzung vorauszusehen?
Aber ja, denn die israelische Regierung tut in Sachen Hamas und Islamischer Dschihad seit mehr als zehn Jahren nichts. Premier Netanjahu hat sie stark werden lassen.

Auf welche Weise?
Weil Netanjahu ausschließlich das Westjordanland auf der Agenda hat, um seine Ideologie umzusetzen: Teile des Gebietes zu annektieren. Gaza ist in diesem Plan nicht vorgesehen. Die Rechtsregierung der vergangenen Jahre will nicht, dass der Gazastreifen Teil einer Lösung mit den Palästinensern ist. Am liebsten würde sie ihn nicht einmal sehen.

Aber er existiert ja.
Natürlich. Doch bislang war es gut für die israelische Regierung, dass zwischen Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und der Hamas keine oder nur eine extrem schlechte Beziehung besteht. Durch das Ignorieren wuchsen die extremistischen Gruppen. Der Islamische Dschihad bekommt viel Geld aus dem Iran und kauft damit die Leute. Dass das klar ist: Diese Gruppe hat dieselbe Ideologie wie der Islamische Staat. Hamas ist nicht viel besser. Zwischen ihnen und Israel – egal mit welcher Regierung – wird es nie eine Lösung für den Gazastreifen geben.

Unterstützen die Menschen im Gazastreifen diese beiden Gruppen?
Sie haben Angst vor ihnen, leben unter der Diktatur der Hamas. Aber die Mehrheit unterstützt sie nicht mehr. Ein großes Problem in diesem Gesamtgefüge ist die Blockade, die Israel verhängt hat. Sie verhindert jeglichen Wohlstand, und damit treibt Jerusalem die Menschen den Extremisten zu. Die Bewohner des Gazastreifens sind Menschen. Auch sie brauchen Hoffnung und eine Zukunft.

Aber dass sie die nicht haben, ist doch hauptsächlich die Schuld der Hamas.
Ja, aber durch die Blockade kann nichts aufgebaut werden, wodurch es den Menschen besser gehen würde. Keine Landwirtschaft, kein Handel, keine Industrie. Es bräuchte einen Hafen und eine Wirtschaft, die sich entwickeln kann. So wie im Westjordanland. Dort, wo eine Kooperation zwischen den Palästinensern und Israel besteht, gibt es keine Hamas.

Was wäre die Lösung?
Ich bin nicht naiv und weiß, auch wenn es morgen eine andere Regierung in Jerusalem gibt, wird ein Wandel Zeit brauchen. Frieden kommt nicht über Nacht. Doch so ist es ein Teufelskreis. Einige Tage Raketen, dann Waffenstillstand, ein paar Wochen darauf wieder Raketen. So geht es seit vielen Jahren. Es ist höchste Zeit, dem fundamentalistischen Regime von Hamas und Islamischem Dschihad ein Ende zu setzen. Dann müsste der Gazastreifen Abbas übergeben werden. Mit der Hilfe von arabischen Staaten wie Ägypten und Saudi-Arabien könnte er aufgebaut werden. Auch die wollen die Extremisten loswerden.

Ist eine Lockerung der Blockade realistisch? Würden dann nicht noch mehr hoch entwickelte Waffen hineingelangen?
Ich glaube nicht, dass das ein großes Problem wäre. Israel kann Gaza kontrollieren, will es aber derzeit nicht. Die israelische Armee bettelt praktisch seit Jahren, die wirtschaftlichen Bedingungen für die Bewohner des Streifens zu verbessern. Das Militär ist überzeugt, dass die Spannungen dadurch nachlassen würden. Es gibt Möglichkeiten, es schrittweise zu tun. Denn man muss bedenken: Wenn Menschen Beschäftigung durch Arbeit haben und Geld nach Hause bringen, ist die Gefahr, dass sie Terroristen werden, wesentlich geringer.

Mit dem Leiter der Abteilung Nahost im Harry S. Truman Research Institute for the Advancement of Peace an der Hebräischen Universität Jerusalem sprach Sabine Brandes.

Jubiläum

Stimme der Demokratie

Vor 75 Jahren wurde der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet. Heute hat das Gremium vielfältige Aufgaben und ist unverzichtbarer Teil dieses Landes

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Europäische Union

Wie die EU-Kommission Israel sanktionieren will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Meinung

Sánchez missbraucht ein Radrennen für seine Israelpolitik

Dass Spaniens Regierungschef die Störer der Vuelta lobte, ist demokratieschwächend und gehört zu seinem Kalkül, Israel weltweit zu isolieren

von Nicole Dreyfus  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

Zentralrat

Schuster: Zwei-Staaten-Lösung nach Friedensverhandlungen mit Israel

Ein jeweils selbstständiger Staat Israel und Palästina - dafür spricht sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Unter bestimmten Voraussetzungen

von Leticia Witte  17.09.2025

Köln

Antisemitische Ausschreitungen bei Kreisliga-Spiel

Spieler des Vereins Makkabi wurden offenbar beschimpft, bespuckt und körperlich attackiert

 17.09.2025

Antisemitismus

Berliner Treitschkestraße wird am 1. Oktober umbenannt

Der Straßenname erinnert künftig an die im KZ Theresienstadt gestorbene ehemalige Direktorin des früheren jüdischen Blindenheims von Steglitz, Betty Katz (1872-1944)

 17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Ahmetovic: Berlin muss Weg für Israel-Sanktionen freimachen

Der SPD-Politiker fordert, dass die schwarz-rote Koalition ihre »Blockadehaltung« beendet und die Vorschläge von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für konkrete Maßnahmen gegen den jüdischen Staat unterstützt

 17.09.2025