Justiz

Erlaubte Verhetzung

Darf die Schoa als »Mär« und »Mythos« bezeichnen: NPD-Politiker Hans Püschel aus Sachsen-Anhalt Foto: Julian Feldmann

Wer den Holocaust und andere Gräueltaten der Nationalsozialisten öffentlich leugnet oder verharmlost, macht sich der Volksverhetzung schuldig. So steht es seit 1994 im Gesetz und so haben Gerichte bisher entschieden.

Dennoch darf der NPD-Politiker Hans Püschel aus Sachsen-Anhalt den Holocaust einen »Mythos« und eine »Mär« nennen. Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg, das höchste Gericht des Bundeslandes, hat im Oktober 2015 den 67-Jährigen vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen.

Wer die Nazi-Verbrechen als »Mär« bezeichne, leugne sie dabei ja nicht zwangsläufig, so die abenteuerliche Auslegung der Richter. Dass sie erst jetzt – durch Journalisten der »Welt« – bekannt wurde, lag daran, dass man ihm beim OLG keine überregionale Bedeutung beimaß, wie ein Gerichtssprecher sagte.

In mehreren Veröffentlichungen hatte Püschel die Schoa geleugnet, so etwa in dem Aufsatz: »Auschwitz, Majdanek – wann platzt die nächste Lüge?« Der NPD-Kommunalpolitiker, der früher in der SPD und sogar Bürgermeister war, schreibt dort: »Die seit Kindesbeinen gelernten deutschen Verbrechen sind Lügen!«

Auch das ist für das OLG keine strafbare Volksverhetzung. Amts- und Landgericht hatten Püschel zuvor deswegen verurteilt, mit dem höchstrichterlichen Freispruch wurden diese Urteile aufgehoben. Auch wenn die deutsche Gerichtsbarkeit eigentlich keine Präzedenzfälle kennt, haben OLG-Urteile Gewicht.

auswirkungen Keine zwei Monate nach dem Naumburger Freispruch stellte die Staatsanwaltschaft Halle denn auch die Verfahren gegen Püschel und die notorische Auschwitz- Leugnerin Ursula Haverbeck ein. In einer Naumburger Kneipe hatten beide bei einem NPD-Neujahrsempfang die Nazi-Verbrechen verharmlost und Auschwitz-Häftlinge verhöhnt. Obwohl die Polizei die Veranstaltung filmte, wollte die Staatsanwaltschaft keine Belege für strafbare Handlungen sehen.

Rechtsextremisten fühlen sich durch das Urteil aus Naumburg bestärkt. Schon seit Jahren gehen sie offensiv in die Öffentlichkeit, suchen den Tabubruch. Vor zwei Jahren ließ Haverbeck, die wohl umtriebigste Aktivistin dieser Szene, ein Video ins Internet stellen. »Der Holocaust ist die größte und nachhaltigste Lüge der Geschichte«, behauptete die 87-Jährige. Dass sie bis heute dafür nicht belangt worden ist, sieht sie als Bestätigung dafür, dass die »Sechs-Millionen-Lüge« zusammenbreche.

nachfragen Die Bielefelder Justiz, die für Haverbeck aufgrund ihres Wohnortes im ostwestfälischen Vlotho zuständig ist, tat sich lange schwer mit der konsequenten Strafverfolgung. Wegen des Videos erhob die Staatsanwaltschaft inzwischen Anklage – erst nach mehrmaligem Nachfragen einer Journalistin war Bewegung in die Sache gekommen. Im November vergangenen Jahres war Haverbeck bereits in Hamburg zu einer zehnmonatigen Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. Weil sie Berufung dagegen eingelegt hat, ist sie noch auf freiem Fuß.

Auch wenn sich Haverbeck bei ihren Vorträgen über die Justiz lustig macht, dürfte es in den nächsten Monaten juristisch für sie eng werden. Inzwischen haben Strafverfolgungsbehörden in vier Städten Anklage gegen Haverbeck wegen Volksverhetzung erhoben. Ein Prozess in Verden wurde kurzfristig abgesagt, weil Haverbecks Verteidiger einen Unfall hatte; in Berlin ist Anklage erhoben worden, aber in beiden Fällen stehen die Termine noch nicht fest. Am 2. September steht sie in Detmold, am 11. Oktober in Bad Oeynhausen vor Gericht.

Dass der Naumburger Freispruch für Hans Püschel, auch wenn er von einem OLG kommt, Auswirkungen auf Verfahren gegen Holocaust-Leugner außerhalb Sachsen-Anhalts haben könnte, etwa auf die Prozesse gegen Ursula Haverbeck, gilt als unwahrscheinlich.

verehrung Vor allem junge Neonazis verehren Haverbeck als »unermüdliche Kämpferin für die Wahrheit«. Die rechtsextreme Partei »Die Rechte« ruft zu »Solidarität mit Ursula Haverbeck« auf. Fast wöchentlich ist die rüstige Frau für die Verbreitung ihrer Lügen unterwegs, tritt bei Neonazi-Aufmärschen und in Hinterzimmern von Gaststätten auf.

Aus ihrem Judenhass macht die 87-Jährige dabei kein Geheimnis. Am Bahnhofskiosk kaufe sie oft eine Jüdische Allgemeine – »man muss seinen Feind kennen«, sagte Haverbeck bei einem NPD-Treffen in Naumburg. Ihr Ko-Referent Püschel versuchte angesichts der laufenden Kameras noch zu intervenieren: Nicht Juden seien der Feind, sondern die »Zionisten«. Auch knallharte Nazis neigen mittlerweile dazu, Juden lieber »Zionisten« zu nennen.

In Berlin bekamen Polizei und Verfassungsschutz Anfang des Jahres nicht einmal mit, dass sich 80 Rechtsextremisten, darunter NPD-Funktionäre, zu einer öffentlichen Veranstaltung mit Haverbeck versammelten. Auch hier konnte die alte Dame der Geschichtsfälschung wieder ihre Lügen verbreiten: »Den Holocaust hat es nicht gegeben!«

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