Helmut Schmidt

»Er hatte große blinde Flecken«

Herr Rupps, der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt würde in diesem Jahr 100 Jahre alt. In Ihrem Buch »Der Lotse« porträtieren Sie ihn als einen der wichtigsten Politiker der Bundesrepublik, erwähnen aber auch seine jüdischen Wurzeln. Warum?
Dieser Aspekt wirft ein anderes Licht auf ihn als Politiker und Mensch, der von den Deutschen über die Parteigrenzen hinweg nahezu mythisch verehrt wird. Historisch richtig ist jedoch: Der Mann hatte große blinde Flecken, auch was seine jüdischen Wurzeln angeht. Doch die historische Wahrheit muss zu jeder Zeit eingeordnet und bewertet werden, unabhängig davon, ob sie ein gutes oder schlechtes Licht auf die Person wirft.

Warum hat Helmut Schmidt seinen jüdischen Großvater so lange verschwiegen?
Es gibt eine persönliche und eine politische Komponente. Die persönliche betrifft den Makel der unehelichen Geburt des Vaters. Dabei spielte es weniger eine Rolle, dass Schmidts leiblicher Großvater Jude war, sondern dass er seinen Sohn zur Adoption freigegeben und ihn mit einem einmaligen Geldbetrag »abgelöst« hatte.

Und der politische Aspekt?
Seit den 60er-Jahren gehörte Schmidt zu den wichtigsten Politikern in der BRD, seit 1974 auch als Bundeskanzler, der sich daher mit einem der wichtigsten Politikbereiche, nämlich dem deutsch-israelischen Verhältnis, beschäftigen musste. Er hat mehrere starke Reden dazu gehalten, unter anderem 1975 in der Kölner Synagoge. Schon vorher hatte er in Auschwitz gesprochen. Er stellte sich dem Thema durchaus, achtete aber stets darauf, dass es nicht mit seinen persönlichen jüdischen Wurzeln in Verbindung kam.

Statt diese Gelegenheiten zu nutzen, blieb sein Verhältnis zu Israel gestört.
Als es tatsächlich politisch wurde, etwa in der Auseinandersetzung mit Menachem Begin, hat er abgewogen und entschieden: »Ich behalte das für mich.« Er hätte Wähler verloren. In der Zeit, als Schmidt Karriere gemacht hat, war der unterschwellige Antisemitismus in der deutschen Bevölkerung noch wesentlich stärker verbreitet. Und Schmidt war ehrgeizig. 1976 gewann er ganz knapp vor Kohl – wenn er 1975 in der Kölner Synagoge gesagt hätte: »Ich habe jüdische Wurzeln«, hätten ihm möglicherweise entscheidende Wählerstimmen gefehlt.

Eine Entscheidung aus Kalkül also?
Da steht politisches Kalkül gegen charakterliche Ehrlichkeit – ein Spannungsfeld, auf das Politiker auch heute eine Antwort geben müssen. Zudem wollte Schmidt sein eigenes Weltbild nicht zertrümmern, deshalb hat er auch die Wehrmacht in Schutz genommen. Er entstammte einer Generation, die das für sich selbst nicht gut entschieden hat, die in die Verdrängung und Verhärtung statt Versöhnung mit der eigenen Geschichte ging – auch aus dem pessimistischen Menschenbild heraus, das er hatte: Schmidt hat den Deutschen nach ihrer Verführung durch die Nazis nicht mehr über den Weg getraut.

Mit dem Historiker und Journalisten sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.

USA

Staatsanwaltschaft rollt den Fall Etan Patz neu auf

Der jüdische Junge Etan Patz verschwindet am 25. Mai 1979 auf dem Weg zur Schule. Jahre später wird er für tot erklärt

 26.11.2025

Urteil

Verbot des Berliner Palästina-Kongresses war rechtswidrig

Das Berliner Verwaltungsgericht hat das Verbot eines Palästina-Kongresses nachträglich für rechtswidrig erklärt

 26.11.2025

Hans-Jürgen Papier

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  26.11.2025

Wehrpflicht

Freiheit gemeinsam verteidigen

Russlands Angriffskrieg unterstreicht die Notwendigkeit einer starken Bundeswehr. Wenn die Situation es erfordert, dann müssen auch wir Juden bereit sein, unseren Beitrag zu leisten

von Josef Schuster  26.11.2025

Verhandlung

Verbot israelfeindlicher Proteste: Berlin mit Klagen konfrontiert

Das Verwaltungsgericht prüft zwei unterschiedlich gelagerte Klagen von Veranstaltern einer Demonstration im Dezember 2023 und des sogenannten Palästina-Kongresses im April 2024

 26.11.2025

Potsdam

BSW vor Zerreißprobe: Dorst stellt Parteiverbleib infrage

Die jüngsten Ereignisse haben Implikationen für die Landesregierung. Bei nur zwei Stimmen Mehrheit im Landtag könnte jeder Bruch in der BSW-Fraktion ihr Ende bedeuten

 26.11.2025

Buenos Aires

Milei will 2026 Botschaft in Jerusalem eröffnen

Israels Außenminister Sa’ar erklärte in der argentinischen Hauptstadt, »im April oder Mai« werde die Eröffnung erfolgen

 26.11.2025

Montréal

Air Canada prüft Beschwerde über Palästina-Anstecker in der Form Israels

Der Passagier Israel Ellis beschwert sich über das israelfeindliche Symbol an der Jacke einer Stewardess. Sie habe ihn zudem angeschrien, als sie seine Davidstern-Kette gesehen habe

 26.11.2025

Berlin

Friedrich Merz besucht Israel

Als Kanzler ist es sein erster Aufenthalt im jüdischen Staat. Die Beziehungen hatten zuletzt unter Druck gestanden

 25.11.2025