Meinung

Ein Wunder der Geschichte

Leo Schapiro, Vizevorsitzender von Keshet Deutschland und Professor für Wirtschaftsrecht Foto: privat

Meinung

Ein Wunder der Geschichte

Jüdisches Leben in Deutschland ist nicht selbstverständlich. Jetzt muss die Bundesrepublik beweisen, dass sie es verdient hat

von Leo Schapiro  17.10.2019 17:13 Uhr

Nun fanden sie wieder statt: die Mahnwachen, die Demonstrationen, die Reden. Wieder haben Politiker betont, jüdisches Leben gehöre zu Deutschland. Erneut riefen sie in die Mikrofone: »Nie wieder«. Und nun?

Um es klar zu sagen: ich kann diese leeren Floskeln nicht mehr hören! Deutschland 2019, das ist nicht nur der entsetzliche Angriff eines Neonazis auf eine Synagoge in Halle.

Unser Land hat ein Problem von weitaus größerem Ausmaß: Die AfD, deren Parteivorsitzender Gauland die NS-Zeit als »Vogelschiss der Geschichte« bezeichnet, ist drittstärkste Partei im Bundestag. Ein Angreifer auf eine Synagoge, der mit einem Messer in der Hand »Allahu Akbar« ruft, wird von der Polizei freigelassen.

Angriffe Rabbiner werden auf offener Straße beleidigt und angegriffen. Menschen mit Kippa werden am helllichten Tag bedroht und mit einem Gürtel geschlagen. Jüdische Schüler auf deutschen Schulen werden gemobbt, die Schulleitung schaltet sich nicht ein.

Vor einem israelischen Restaurant fordert ein Mann, man solle alle Juden in die Gaskammer schicken. Jährlich marschieren Menschen zum Al Quds-Tag auf deutschen Straßen und rufen zur Vernichtung Israels auf. Brandanschläge auf Synagogen werden von der Justiz als legitime »Israelkritik« gewertet.

Antisemitismus, verbal, körperlich, öffentlich, von links, rechts, von Muslimen – das ist die Realität! Deutschland hat im Kampf gegen den Antisemitismus versagt.

Antisemitische Rapper werden mit dem Echo ausgezeichnet. Renommierte Medien, wie der Spiegel oder die SZ, veröffentlichen antisemitische Artikel mit absurden Verschwörungstheorien und antisemitische Karikaturen.

Antisemitismus, verbal, körperlich, öffentlich, von links, rechts, von Muslimen. Das ist die Realität! Deutschland hat im Kampf gegen den Antisemitismus versagt.

Deutschland braucht sich nicht wundern, wenn wir Jüdinnen und Juden uns dieser Tage fragen, ob wir unsere Kinder in diesem Land großziehen wollen. Wie viel Antisemitismus ist noch zumutbar? Wann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir tatsächlich gehen sollten und nicht mehr naiv – wie die Juden in den 30er Jahren - daran glauben dürfen, dass alles schon nicht so schlimm werde?

Sicherheit Natürlich wollen wir unser Leben hier nicht einfach aufgeben. Selbstverständlich möchten wir uns nicht durch Nazis oder Islamisten vertreiben lassen. Aber wir wollen hier auch nicht nur geduldet werden.

Uns ist nicht geholfen, wenn wir wie ein kostbares Kunstwerk hinter noch mehr bewaffneten Polizisten und dickerem Panzerglas versteckt werden. Wir wollen sicher und frei als Jüdinnen und Juden leben können und unsere Identität in der Öffentlichkeit nicht verbergen müssen.

Wer schweigt, macht sich mitschuldig, dass alltäglicher Fremdenhass das Klima in der Gesellschaft vergiftet.

Dass jüdisches Leben in Deutschland wieder floriert, ist ein Wunder der Geschichte. Deutschland muss nun beweisen, dass es dieses Wunder verdient hat. Dieses Land muss den Worten endlich Taten folgen lassen!

Jeder Bürger dieses Landes hat daher die Pflicht, in der Familie, im Beruf oder im Sportsverein seine Stimme gegen antisemitische Äußerungen zu erheben. Wer schweigt, macht sich mitschuldig, dass alltäglicher Fremdenhass das Klima in der Gesellschaft vergiftet.

Maßnahmen Mehr denn je ist zudem die Politik gefragt. Ich fordere daher: Nie wieder Lippenbekenntnisse! Stattdessen konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit:

1. Einrichtung einer Kommission beim Antisemitismusbeauftragten, die einen konkreten Maßnahmeplan im Kampf gegen Antisemitismus entwickelt.

2. Mehr finanzielle Mittel für Programme wie »Rent a Jew«, um in Schulen und Universitäten Nicht-Juden und Juden gezielt zusammenführen; Besuche in Konzentrationslagern und theoretischer Unterricht über den Holocaust helfen nicht weiter.

3. Überarbeitung von Schulbüchern zum Nahost-Konflikt, die überwiegend allein Israel als »Aggressor« bezeichnen. Zahlreiche Deutsche differenzieren nicht zwischen Israel und Juden. Antiisraelische Haltungen schaffen in Deutschland ein Klima, in dem sich sehr viele Bürger nicht mehr mit Juden solidarisieren möchten, weil sie diese als »Täter« betrachten.

4. Mehr Gelder für Kulturförderprogramme zwischen Juden, Muslimen und Christen

5. Mehr Unterstützung von Sozialprojekten für Aussteiger aus der rechtsextremen oder islamistischen Szene

6. Bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Polizei zur Überwachung der rechtsextremen und islamistischen Szene im off- und online-Bereich

7. Ausdrückliche Normierung eines Straftatbestandes, der antisemitische oder fremdenfeindliche Motive bei Straftaten zwingend mit einem höheren Strafrahmen belegt.

8. Errichtung von staatsanwaltlichen Spezialabteilungen, die sich ausschließlich mit der konsequenten Verfolgung von Hasspostings im Internet befassen

9. Ausnutzung des vollen Strafrahmens durch Gerichte bei antisemitischen Straftaten.

Deutschland, es ist fünf nach 12! Handele endlich!

Der Autor ist Professor für Wirtschaftsrecht und stellvertretender Vorsitzender von Keshet Deutschland e.V.

Australien

Polizei: Angreifer in Sydney waren Vater und Sohn 

Weitere Details des judenfeindlichen Terroranschlags werden bekannt

von Denise Sternberg  14.12.2025

Hintergrund

Der Held von Sydney

Laut australischen Medien handelt es sich um einen 43-jährigen muslimischen Vater von zwei Kindern, der einen Laden für lokale Produkte betreibt

 14.12.2025

Jerusalem

Israels Regierungschef wirft Australien Tatenlosigkeit gegen Judenhass vor

Nach einem Anschlag in Sydney fordert Netanjahu von Australien entschlosseneres Handeln gegen Judenhass. Er macht der Regierung einen schweren Vorwurf

 14.12.2025

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert