Jeremy Issacharoff

»Diplomatie ist sehr wichtig«

Kehrt nach fünf Jahren in Deutschland wieder nach Israel zurück: Botschafter Jeremy Issacharoff Foto: picture alliance/dpa

Jeremy Issacharoff

»Diplomatie ist sehr wichtig«

Israels scheidender Botschafter über seine Zeit in Berlin, die Realität des Krieges und militärische Abschreckung

von Detlef David Kauschke  24.03.2022 08:21 Uhr

Herr Botschafter, wie erleben Sie jetzt die Situation in Berlin, den Krieg in Europa und die von Kanzler Olaf Scholz beschriebene »Zeitenwende«?
Wir sind es in Israel leider gewohnt, mit besonderen Herausforderungen umzugehen. Sobald wir eine Gefahr erkennen, können wir sehr schnell vom Normal- in den Notfallmodus umschalten. Ich glaube, das ist etwas, was Deutschland jetzt selbst durchmacht und erfährt. Das ließ sich jüngst unter anderem an der bemerkenswerten Bundestagsrede von Kanzler Scholz erkennen, die eine Kehrtwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik markierte. Deutschland hat in einer jahrzehntelangen Periode von Frieden und Stabilität gelebt und angenommen, dass Diplomatie der richtige und einzige Weg ist, Probleme zu lösen.

Ist das nicht eine Erfahrung, die Israel in Bezug auf seine Nachbarn in der Region schon lange und immer wieder machen musste?
Die deutsche und israelische Perspektive nähern sich einander an: Diplomatie ist sehr wichtig, aber um wirksam sein zu können, braucht sie Abschreckung. Gespräche und Vermittlungsversuche sind nicht ausreichend. In Israel haben wir durch Abschreckung und effektive, vielschichtige Verteidigungsmöglichkeiten zahlreiche Menschenleben gerettet und Kriege vermieden. Auch das ist etwas, was in Deutschland zur Realität gehören wird. Insofern gibt es jetzt eine Menge Herausforderungen.

Beim jüngsten Besuch von Kanzler Scholz in Jerusalem ging es um die strategische Partnerschaft zwischen beiden Ländern. Bestimmen diese sicherheitspolitischen Fragen zunehmend die deutsch-israelischen Beziehungen?
Ich denke, dass die Partnerschaft zwischen Deutschland und Israel auch eine strategische ist und dies zunehmend sein wird. Deutschland hilft Israel in Fragen seiner nationalen Sicherheit, und Israel unterstützt Deutschland ebenso auf dem Feld der nationalen Sicherheit. Insofern ist es kein Wunder, dass eines der Ergebnisse der Gespräche von Bundeskanzler Scholz und Ministerpräsident Bennett in Jerusalem die Vereinbarung eines strategischen Austausches war, der jetzt vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Europa zur richtigen Zeit einsetzt.

Findet die strategische Kommunikation auf Augenhöhe statt? Nur ein Beispiel: Olaf Scholz kommt aus der Friedensbewegung, Naftali Bennett hat als Elitesoldat in der Armee gedient.
Wir haben auf vielen Ebenen hervorragende Beziehungen, einen sehr engen Austausch, ganz praktische Kooperationen. Im Juli vergangenen Jahres hat die israelische Marine zwei neue Korvetten in Kiel übernehmen können. Im Oktober nahm die Deutsche Luftwaffe an der multinationalen Übung »Blue Flag« in Israel teil. Beide Seiten arbeiten zusammen, lernen voneinander, die Deutschen steuern ihr Ingenieurswissen bei, die Israelis praktisches Know-how und Einsatzerfahrung. Das passt in den unterschiedlichsten Bereichen sehr gut zusammen.

Sie sind seit 40 Jahren Diplomat. Wie bewerten Sie es, dass rund um den Ukraine-Krieg die diplomatischen Bemühungen kläglich scheitern?
Ich begann meinen Dienst im Auswärtigen Amt in Jerusalem als Rechtsberater für Komitees, die über die Normalisierung der Beziehungen mit Ägypten verhandelten. Insofern war für mich Diplomatie von Anfang an eine Möglichkeit, unsere Beziehungen in der Region aufzubauen. Jede diplomatische Bemühung, die dazu beiträgt, Frieden und Normalisierung zu befördern, hat für mich in Israels Außenpolitik Priorität. Dies war mir immer sehr wichtig. Manchmal war es formeller, manchmal weniger. Sehen wir uns die Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten an: Sie begannen, als von dort an mich herangetragen wurde, man sei an F-16-Kampfflugzeugen und nicht an einer Auseinandersetzung mit Israel interessiert. Ich schlug vor, sich direkt darüber auszutauschen. Und so begannen Gespräche. Diese Kontakte entwickelten sich, von ersten Gesprächen in Washington D.C. hin zur Eröffnung eines israelischen Büros in Abu Dhabi. Moshe Bogie Jaalon kam 2005 am Ende seiner Dienstzeit als Oberbefehlshaber der israelischen Armee zu uns ins Außenministerium und bedankte sich, dass wir ihm mit der Diplomatie weitere Optionen eröffneten, als er vor der Entscheidung stand, Truppen in den Kampf schicken zu müssen. Das als Diplomat und Vater von zwei Söhnen, die in Kampfeinheiten der Armee gedient haben, zu wissen, ist ein gutes Gefühl. Insofern ist vielen in Israel bewusst, dass Diplomaten nicht nur von einem Empfang zur nächsten Cocktailparty schlendern, sondern auch im Hinblick auf nationale Sicherheit einen sehr wichtigen Job machen.

Doch nicht immer mit Erfolg?
Nehmen Sie beispielsweise die atomare Bedrohung aus Teheran. Die Frage, wie damit umgegangen wird, spielt sich hauptsächlich in der diplomatischen Arena ab. Wir konnten die nuklearen Ambitionen nicht verhindern, doch ist die Diplomatie eines, wenn nicht das wichtigste Instrument, deren Realisierung zu verhindern. Es ist Teil der Bemühungen und bietet nicht immer perfekte Lösungen. Aber wenn man etwas nicht verhindern oder stoppen kann, ist es bereits ein Erfolg, etwas zu verlangsamen. Und da kehren wir wieder zur aktuellen Situation in Europa zurück: Diplomatie ist wichtig, muss aber in eine starke Abschreckung eingebettet sein. Und dazu muss die Möglichkeit und Bereitschaft gehören, diese Abschreckung auch zu projizieren.

Schon vor Beginn des Ukraine-Kriegs hat sich das politische Berlin seit 2017 erheblich verändert. Wie nehmen Sie das wahr?
Während es im letzten Jahr nach vier Jahren eine Bundestagswahl in Deutschland gab, wurden in den letzten zwei Jahren vier Knessetwahlen in Israel abgehalten. Hinzu kam eine unvergleichliche Zerreißprobe durch Corona. Aber auch, wenn wir während der Pandemie physisch Abstand halten mussten, sind die Beziehungen unserer beiden Länder noch enger geworden. Denken Sie nur an die zahlreichen bilateralen Begegnungen, allein im vergangenen Jahr: Im Mai war Bundesaußenminister Maas zu Besuch in Israel, Bundespräsident Steinmeier war der erste Gast der neuen israelischen Regierung, Bundeskanzlerin Merkel kam im Oktober zum Abschiedsbesuch und Israels Gesundheitsminister Horowitz zu Fachgesprächen nach Berlin, Knessetsprecher Levy war Gast des Bundestags beim Gedenken am 27. Januar, danach war Außenministerin Baerbock zum Antrittsbesuch in Jerusalem, den Besuch von Kanzler Scholz haben wir schon erwähnt. Es ist ein reger Austausch, hervorragende Beziehungen voller Respekt. Und auch, wenn wir nicht immer einer Meinung sind: Wir stimmen in viel mehr Fragen überein, als wir Themen haben, bei denen wir unterschiedlicher Auffassung sind.

Meinen Sie, dass die jetzige Entwicklung beide Seiten noch enger zusammenführen wird?
Ja, und ich denke, wir werden eine andere Art von Diskussion führen. Die Erfahrungen, die Deutschland jetzt macht, bilden vielleicht ein tieferes Verständnis für die Herausforderungen, denen wir in Israel gegenüberstehen. Wir haben leider nicht immer die Möglichkeit, zwischen einer guten und einer schlechten Option zu unterscheiden. In unserer Realität im Nahen Osten haben wir meist nur die Wahl zwischen der schlechten, der noch schlechteren und absolut schlechten Option. Und ich denke, der Wert der Diplomatie ist, dass man auch die Dilemmata erläutern kann.

Der jüdische Staat hatte seine Grenzen für Jüdinnen und Juden aus dem Ausland geschlossen. Teilen Sie die Einschätzung von Minister Nachman Shai, dass dies die Beziehungen der Diaspora zum jüdischen Staat beschädigt hat?
Ich hoffe es nicht. Es war eine sehr schwierige Zeit, in der wir die Grenzen schließen mussten. Wir mussten sehr harte Maßnahmen ergreifen, um die Verbreitung der Pandemie einzugrenzen. Wir sprechen hier über eine Bedrohung der nationalen Sicherheit, mehrere Tausend Menschen sind in Israel an den Folgen der Corona-Infektion gestorben. Wir sind ein kleines Land. Wir wissen: Wenn du eine Gefahr nicht kontrollieren kannst, kontrolliert sie dich. Daher diese strikten Maßnahmen, unter denen viele Jüdinnen und Juden in aller Welt gelitten haben. In der Botschaft in Berlin haben wir versucht, hier zu helfen. Wir haben getan, was wir tun konnten. Aber was es auch ist, es ist nie genug. Es war eine schwierige Zeit. Ich hoffe, dass sie keinen Schaden in den Beziehungen mit der jüdischen Welt hinterlässt. Und ich hoffe, dass in diesem Jahr alle, die Pessach in Jerusalem feiern wollen, es auch tun können.

Fünf Jahre als Botschafter in Berlin gehen für Sie zu Ende. Hat Sie diese Zeit verändert?
Absolut! Ich war für das israelische Außenministerium an verschiedenen Orten in der Welt, auch in New York und Washington. Ich war an Verhandlungen unter anderem mit Ägypten, Jordanien und dem Libanon beteiligt. Aber die Zeit als Botschafter Israels in Deutschland war sehr besonders und herausfordernd – auf diese einmalige und lebensverändernde Erfahrung kann man sich nicht vorbereiten.

Denken Sie dabei beispielsweise an den ersten Tag in Berlin, den 29. August 2017, als Sie im Schloss Bellevue Ihr Beglaubigungsschreiben überreichten und danach gleich weiter zum Gedenken an Gleis 17 fuhren? Sie schienen damals sehr bewegt.
Ja, solche Erfahrungen meine ich – wie auch den ersten Gang mit Bundespräsident Steinmeier durch das Tor von Auschwitz oder das Erlebnis des gemeinsamen Fluges von Maschinen der deutschen und israelischen Luftwaffe über Dachau. Man erlebt unglaubliche Momente der Freundschaft, doch lässt sich die Vergangenheit nicht ausblenden. Gelegentlich war das wirklich überwältigend. Als mich beim Gedenken in Buchenwald der Rabbiner fragte, ob ich das Kaddisch sagen könne, versagte mir die Stimme. Ich konnte es einfach nicht. Das sind ganz besondere Gefühle, wenn man dort als Jude, als Israeli und Repräsentant des jüdischen Staates steht. Diesem absoluten Horror der Vergangenheit kann man nicht entkommen, aber auch nicht dem unglaublichen Charakter der ganz besonderen Beziehungen unserer beiden Länder. Wenn man aus Israel nach Deutschland kommt, spürt man, dass sich die Geschichte nicht ändern lässt, aber dass die Geschichte unsere Völker ändern kann.

Das Interview führte Detlef David Kauschke.

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