Lüneburg

Die Schwester, die sie nie kennengelernt hat

Ilona und Judith Kalman (v.l.) Foto: dpa

Mit Judith Kalman hat am Mittwoch erstmals eine Tochter von Holocaust-Überlebenden im Lüneburger Auschwitz-Prozess gegen den ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning ausgesagt. Die 61-jährige Autorin aus Toronto erinnerte an ihre Halbschwester Eva Edit Weinberger, die in Auschwitz ermordet wurde. »Der Verlust der Angehörigen meiner Eltern, insbesondere der sechsjährigen Eva Edit, die ich nie kennengelernt habe, hat mir die Last eines geerbten Schuldgefühls auferlegt«, sagte sie vor dem Lüneburger Landgericht.

Wie Judith Kalman gehört auch ihre ältere Schwester Elaine Kalman Naves zu den Nebenklägern. Der Vater der beiden, Gusztav Weinberger Kalman, überlebte als Zwangsarbeiter den Holocaust. Seine erste Frau und die gemeinsame Tochter wurden 1944 aus Ungarn nach Auschwitz deportiert und dort vergast. Während Kalmans Vortrag war ein Foto der kleinen »Evike«, wie ihr Kosename war, an die Wand des Gerichtssaals projiziert. Es zeigt ein Mädchen mit Zöpfen und dem Versuch eines Lächelns, den Teddy fest im Arm.

vermächtnis »Die Auswirkungen des Holocaust auf mein Leben können nicht auf eine Stufe gestellt werden mit der Weise, in der sich meine Eltern und all jene anderen verändert haben, die das Wüten des Holocaust selbst erlitten haben«, sagte Kalman, deren Mutter Auschwitz überlebte. Sie habe jedoch das Vermächtnis zweier ermordeter Familien geerbt, die in den Erzählungen der Eltern, in Briefen oder Fotografien immer gegenwärtig waren. Sie habe erst lernen müssen, neben dem Bild der Schwester bestehen zu können, sagte sie sichtlich bewegt vor dem Gericht. Es sei ihr wichtig, dort öffentlich an das getötete Kind zu erinnern.

Oskar Gröning, der in Auschwitz auch als Buchhalter tätig war, muss sich wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen verantworten. Dabei geht es um die Zeit der sogenannten Ungarn-Aktion im Sommer 1944. Der heute 93-Jährige war für das Gepäck der verschleppten Menschen in Auschwitz mit zuständig und verbuchte das Geld, das sie bei sich hatten. Der seit einer Woche laufende Prozess soll klären, ob der Mann aus der Lüneburger Heide an der Bahn-Rampe von Auschwitz-Birkenau Spuren der Massentötung verwischt hat, indem er half, das Gepäck wegzubringen.

sachverständige
Ob Gröning an der Rampe wirklich nur einige Male eingesetzt war, konnte auch die Befragung des Sachverständigen Stefan Hördler am Mittwoch nicht klären. Gröning hatte erklärt mit seiner Beförderung habe der Rampen-Dienst nicht mehr zu seinen Aufgaben gehört. »Ich würde vollkommen ausschließen, dass nur durch Beförderung zum Unterscharführer kein Rampendienst mehr vorgesehen war«, sagte der Weimarer Historiker Hördler. Zugleich gehe er davon aus, dass der engere Dienstbereich von Gröning nicht an der Rampe, sondern in der sogenannten Häftlingsgeldverwaltung lag. Informelle Kommandierungen seien jedoch nicht immer in den Akten festgehalten worden.

Am Mittwoch sagte auch Eugene Lebovitz aus, der heute in den USA und in Israel lebt. Der heute 86-Jährige überlebte Auschwitz, die Zwangsarbeit in einem Außenlager, einen Todesmarsch und ein weiteres Lager. Vor seinen Augen wurden 40 Menschen erschossen, berichtete er.

Weitere Überlebende werden als Nebenkläger in dem Prozess noch von ihren Erfahrungen berichten. »Es gibt jeweils einen einzelnen Menschen mit seiner individuellen Geschichte«, sagte ihr Anwalt Cornelius Nestler.

Besuch

Tel Aviv und Berlin unterzeichnen bald Städtepartnerschaft

Am Montag wird der Bürgermeister der israelischen Metropole, Ron Huldai, im Roten Rathaus erwartet

 01.05.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  01.05.2025

Nahost

Heftige Gefechte in Syrien: Erneut mehrere Tote. Jetzt schaltet sich Israel ein

Eine Tonaufnahme löst in Syrien erneut eine Welle der Gewalt aus. Mehrere Menschen werden getötet

von Amira Rajab, Nehal ElSherif  30.04.2025

Bergen-Belsen

Die Lebenden und die Toten

Das Lager war ein Ort des Sterbens, doch hier wurden auch Menschen geboren. Überlebende, Angehörige und sogenannte DP-Babys trafen sich nun zum gemeinsamen Gedenken. Unsere Autorin war dabei

von Amie Liebowitz  30.04.2025

Joshua Schultheis

Lieber Friedrich Merz!

Der künftige Kanzler steht vor einer historischen Aufgabe im Umgang mit den Juden und mit Israel. Unser Autor hat ihm einen Brief geschrieben

von Joshua Schultheis  30.04.2025

Prozess

Terror-Unterstützerin kommt mit Verwarnung davon

Aitak Barani hatte kurz nach dem 7. Oktober 2023 die Massaker der Hamas als »gelungene Widerstandsaktion« bezeichnet. Dafür bekam sie vom Amtsgericht Frankfurt eine Geldstrafe - die sie aber vorerst nicht zahlen muss

 30.04.2025

20 Jahre Holocaust-Mahnmal

Tausende Stelen zur Erinnerung - mitten in Berlin

Selfies auf Stelen, Toben in den Gängen, Risse im Beton - aber auch andächtige Stille beim Betreten des Denkmals. Regelmäßig sorgt das Holocaust-Mahnmal für Diskussionen. Das war schon so, bevor es überhaupt stand

von Niklas Hesselmann  30.04.2025

Bern

Schweizer Juden reagieren auf Verbot der Terrororganisation Hamas

Deutschland hat die Terrororganisation schon kurz nach dem Angriff vom 7. Oktober 2023 verboten. Die Schweiz zieht jetzt erst nach

 30.04.2025

Den Haag

USA rechtfertigen vor UN-Gericht Israels Blockade humanitärer Hilfe

Israel habe ein berechtigtes Sicherheitsinteresse, sagt der Rechtsvertreter aus Washington D.C.

 30.04.2025