Flüchtlinge

»Die Leute haben gar nichts mehr«

Herr Goldstein, die Jüdische Landesgemeinde Thüringen hat sich gemeinsam mit dem DGB und den Kirchen am »gemeinsamen sozialen Wort zum Umgang mit Flüchtlingen« beteiligt – warum?
Wir wollten ein Wort an die Allgemeinheit richten, an Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe und Glaubenszugehörigkeit – und damit auch an unsere Mitglieder.

Wie sehen denn die Gemeindemitglieder die aktuelle Situation?
Bei uns in der Gemeinde ist man sehr gespalten – wie überall. Wir haben 850 Mitglieder, davon etwa 95 Prozent Migranten. Das heißt, fast alle wissen, wie es ist, das Heimatland zu verlassen. Allein deshalb können sie die Aufnahme von Flüchtlingen nicht schlecht finden – denn ihnen selbst ging es in ihrer Heimat auch nicht gut. Als jüdische Migranten haben sie aber auch Vorbehalte, die wir offen ansprechen müssen. Manche befürchten eine Entwicklung wie in Frankreich oder erinnern sich an Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Europa. Aber natürlich hoffen alle, dass es in Deutschland nicht dazu kommen wird.

Sie sind als Elfjähriger aus der Ukraine nach Deutschland gekommen und haben in einem Wohnheim bei Erfurt gelebt. Was war für Sie am schwierigsten?
Ich hatte plötzlich keine Freunde mehr, ich hatte keinen Anschluss nach außen, ich hatte Heimweh, ich habe die Sprache nicht verstanden – ich erinnere mich noch heute genau daran. Ich habe auch nicht verstanden, warum wir nach Deutschland gegangen sind. Als Elfjähriger bekam ich gesagt: »Wir ziehen um!«, und damit musste ich dann klarkommen. Die Kontakte zu anderen Kindern kamen spät. Erst ein halbes Jahr nach unserer Ankunft durfte ich in die Schule gehen. Wir waren immer unter uns und haben Russisch gesprochen. Der soziale Anschluss hat gefehlt, und das war schlimm.

Was brauchen Kinder und Jugendliche, die jetzt aus Syrien ankommen, am meisten?
Das ist schwer zu sagen, denn die Menschen haben gar nichts mehr. In Erfurt wird eine neue Aufnahmestelle für 3000 Personen geplant. Das ist eine riesige Halle! Die Leute sitzen dicht aufeinander, nur mit Sichtschutz voneinander getrennt. Es wäre eine Idee, Gegenstände zu spenden, damit die Menschen eine Beschäftigung haben – so können auch das Miteinander und der Zusammenhalt gefördert werden. Gebraucht wird alles: Hygieneartikel, Kleidung, Windeln ... Früher oder später, wenn die Leute aus den Wohnheimen ausziehen, werden auch Möbel gebraucht.

Im Thüringer »sozialen Wort« heißt es: »Die Verfasser bieten den demokratischen Parteien beim Umgang mit Flüchtlingen eine konstruktive Zusammenarbeit an.« Konkret gefragt: Was tut die Gemeinde?
Wir helfen der Landesregierung mit unserer Erfahrung. Ehemalige Kontingentflüchtlinge wissen, was es heißt, die Heimat zu verlassen und in einem anderen Land neu anzufangen.

Mit dem Anwalt und stellvertretenden Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen sprach Ayala Goldmann.

Einspruch

Solidarität mit Somaliland

Sabine Brandes findet Israels Anerkennung der Demokratie am Horn von Afrika nicht nur verblüffend, sondern erfrischend

von Sabine Brandes  30.12.2025

Meinung

Für mich ist es Nowy God – und warum ich ihn feiere

Das Neujahrsfest hat mit dem Judentum eigentlich nichts zu tun. Trotzdem habe ich warme Erinnerungen an diesen säkularen Feiertag

von Jan Feldmann  30.12.2025

London

Vorwurf gegen Facebook: Beiträge feiern Mord an Juden und bleiben online

»Die Beiträge, die den Anschlag von Bondi feiern, sind schlicht widerwärtig«, sagt Dave Rich von der jüdischen Organisation CST in England

 30.12.2025

Berlin

Tagung »Digitale Horizonte«: Wie sich Erinnerungskultur im digitalen Zeitalter wandelt

Wie verändert die Digitalisierung das kollektive Erinnern? Welche Chancen eröffnen neue Technologien – und wo liegen ihre Grenzen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Konferenz

 30.12.2025

Deutschland

Shahak Shapira »superverbittert« über Antisemitismus

Shahak Shapira spricht offen über seinen Frust angesichts von Antisemitismus in Deutschland – und wie er mit politischer Comedy darauf reagiert

 29.12.2025

Analyse

Warum die Anerkennung Somalilands so viel Aufsehen erregt

Das kleine Land am Horn von Afrika hat plötzlich eine große geopolitische Bedeutung. Dafür gibt es gute Gründe

von Ralf Balke  29.12.2025

Kommentar

Wer Glaubenssymbole angreift, will Gläubige angreifen

Egal ob abgerissene Mesusot, beschmierte Moscheen oder verwüstete Kirchen: Politik und Religion werden zurzeit wieder zu einem hochexplosiven Gemisch. Dabei sollte man beides streng trennen

 29.12.2025

Großbritannien

Freigelassener Demokratie-Aktivist rief zum Mord an »Zionisten« auf

Der Brite Alaa Abdel Fattah galt als Held der ägyptischen Demokratiebewegung. Doch nach seiner Freilassung und Ankunft in London kamen judenfeindliche Tweets ans Licht. Jetzt wird seine Abschiebung gefordert

von Christoph Meyer, Johannes Sadek  29.12.2025

Teheran

Iran schießt mit russischer Hilfe drei Satelliten ins All

Im Mullah-Staat machen Gerüchte über einen möglichen neuen Militärkonflikt mit Israel die Runde. Mit Raumfahrtprojekten will das Land Stärke demonstrieren

 28.12.2025