Internet

Antisemitismus im Netz: Forscher sehen »riesige Dunkelziffer«

Foto: picture alliance

Nach einer internationalen Studie ist Antisemitismus in Online-Kommentar-Spalten von Mainstream-Medien verbreitet. Allerdings werde der Judenhass dort nicht ausdrücklich ausgesprochen, sondern sei eher versteckt enthalten.

»Der Großteil der antisemitischen Ideen wird codiert ausgedrückt«, sagte Studienleiter Matthias Becker von der TU Berlin am Donnerstag. Hier gebe es »ein ganzes System von Umwegkommunikation«.

In politisch gemäßigten Online-Milieus sind demnach 80 bis 85 Prozent des Antisemitismus implizit, also in Form von Anspielungen, Wortspielen oder rhetorischen Fragen. Diese Form von antijüdischer Hassrede werde in gängigen Umfragen gar nicht aufgedeckt. »Das bedeutet, es gibt eine riesige Dunkelziffer. Wir kennen nur die Spitze des Eisbergs«, so Becker.

»Indirekte Sprechakte«

»Ein explizites Schimpfwort gegen Juden werden Sie im Kommentarbereich von Der Spiegel, von Le Monde oder The Guardian nicht finden, sondern in Wortspielen, Anspielungen oder in der Metaphorik.«

So könne etwa jemand den Holocaust leugnen und ihn gleichzeitig als Strategie darstellen, indem er in Anspielung auf Spielbergs Film statt »Schindlers Liste« von »Schwindlers List« spricht. Verbreitet seien auch »indirekte Sprechakte«, etwa »Und wer hält nun schon wieder die Hand auf« oder implizite NS-Vergleiche wie »Endlösung der Palästinenser-Frage«.

Zudem stellte die Forschungsgruppe eine Veränderung der Kommunikation seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 fest. Die impliziten antisemitischen Äußerungen hätten sich seitdem »verdoppelt und verdreifacht«, sagte Becker. Zudem hätten sie eine neue Qualität erlangt. »Konkret dargestellte Gewalt gegen jüdische Menschen führte zu Gewaltverherrlichung und Gewalt an anderen Orten.«

Länderübergreifende Untersuchung

So seien etwa in Online-Kommentarspalten in direkter Reaktion auf Videos, in denen es etwa um die Zerstörung von einem Kibbuzz oder die Emordung von Teilnehmern des Musikfestivals ging, Selbstpositionierungen zu lesen gewesen wie etwa »Weiter so Jungs«.

Für die Studie »Decoding Antisemitism« (Antisemitismus entschlüsseln) wurden 130.000 Nutzer-Kommentare in Deutschland, Frankreich und England untersucht. Laut Angaben handelt es sich um die erste länderübergreifende Untersuchung. Dabei analysierten die Forscher von 2020 bis 2024 die Kommentarspalten der Online-Auftritte etwa von den Zeitungen The Guardian, Le Monde oder Die Zeit sowie deren Accounts auf sozialen Medienplattformen.

Am Projekt beteiligt ist neben dem Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin unter anderem auch das King’s College London. kna

Verhandlung

Verbot israelfeindlicher Proteste: Berlin mit Klagen konfrontiert

Das Verwaltungsgericht prüft zwei unterschiedlich gelagerte Klagen von Veranstaltern einer Demonstration im Dezember 2023 und des sogenannten Palästina-Kongresses im April 2024

 26.11.2025

Potsdam

BSW vor Zerreißprobe: Dorst stellt Parteiverbleib infrage

Die jüngsten Ereignisse haben Implikationen für die Landesregierung. Bei nur zwei Stimmen Mehrheit im Landtag könnte jeder Bruch in der BSW-Fraktion ihr Ende bedeuten

 26.11.2025

USA

Staatsanwaltschaft rollt den Fall Etan Patz neu auf

Der jüdische Junge Etan Patz verschwindet am 25. Mai 1979 auf dem Weg zur Schule. Jahre später wird er für tot erklärt

 26.11.2025

Buenos Aires

Milei will 2026 Botschaft in Jerusalem eröffnen

Israels Außenminister Sa’ar erklärte in der argentinischen Hauptstadt, »im April oder Mai« werde die Eröffnung erfolgen

 26.11.2025

Montréal

Air Canada prüft Beschwerde über Palästina-Anstecker in der Form Israels

Der Passagier Israel Ellis beschwert sich über das israelfeindliche Symbol an der Jacke einer Stewardess. Sie habe ihn zudem angeschrien, als sie seine Davidstern-Kette gesehen habe

 26.11.2025

Berlin

Friedrich Merz besucht Israel

Als Kanzler ist es sein erster Aufenthalt im jüdischen Staat. Die Beziehungen hatten zuletzt unter Druck gestanden

 25.11.2025

TV-Tipp

Ein äußerst untypischer Oligarch: Arte-Doku zeigt Lebensweg des Telegram-Gründers Pawel Durow

Der Dokumentarfilm »Telegram - Das dunkle Imperium von Pawel Durow« erzählt auf Arte und in der ARD-Mediathek die Geschichte der schwer fassbaren Messengerdienst-Plattform-Mischung und ihres Gründers Pawel Durow

von Christian Bartels  25.11.2025

Israel

Antisemitismus-Beauftragter wirft Sophie von der Tann Verharmlosung der Hamas-Massaker vor

Die ARD-Journalistin soll in einem Hintergrundgespräch gesagt haben, dass die Massaker vom 7. Oktober eine »Vorgeschichte« habe, die bis zum Zerfall des Osmanischen Reiches zurückreiche

 25.11.2025

Interview

»Weder die Verwaltung noch die Politik stehen an meiner Seite«

Stefan Hensel hat seinen Rücktritt als Antisemitismusbeauftragter Hamburgs angekündigt. Ein Gespräch über die Folgen des 7. Oktober, den Kampf gegen Windmühlen und kleine Gesten der Solidarität

von Joshua Schultheis  25.11.2025