Euro 2012

Alles nur ein Spiel?

Legendär: Béla Guttmann war in den 20er-Jahren ungarischer Nationalspieler und Kicker bei Hakoah Wien. Foto: Hoppauf Hakoah

Euro 2012

Alles nur ein Spiel?

Sport und Politik lassen sich nicht trennen. Schon gar nicht beim Fußball. Das lehrt die Geschichte

von Michael Brenner  04.06.2012 19:32 Uhr

Man stelle sich einmal vor, die Fußball-Europameisterschaft 2024 findet in den neu gebauten Stadien von Ramat Gan, Haifa, Jerusalem, Gaza und Ramallah im mittlerweile befriedeten Doppelstaat Israel/Palästina statt. Auch wenn die gastgebenden Mannschaften nicht ganz der Spielstärke von Spanien und den Niederlanden entsprechen, so bestreiten sie doch vor einem leicht gelangweilten Millionenfernsehpublikum das symbolische Eröffnungsspiel.

Michel Platini, der Präsident der UEFA, betont in seiner Eröffnungsrede, dass für die Vergabe der Spiele rein sportliche Kriterien ausschlaggebend gewesen seien, während der im mittlerweile entvölkerten Nachbarstaat Syrien unangefochten herrschende Präsident Assad seine russischen Verbündeten dafür gewinnt, die Spiele im »zionistischen Nachbargebilde« zu boykottieren. Auch Alexander Lukaschenko, der mit 99,7 Prozent der Stimmen wiedergewählte Präsident Weißrusslands, entschließt sich, seine Kicker nicht in das von Menschenrechtsverletzungen geplagte Israel zu entsenden.

Gastgeber So weit wird es wohl erst kommen, wenn der Moschiach persönlich im blau-weißen Trikot aufs Feld läuft. Die heutige Debatte dagegen dreht sich um zwei längst befriedete Staaten, die Ukraine und Polen, die jetzt Gastgeber des größten europäischen Fußballereignisses sein dürfen. Da aber die Ukraine nicht jedermanns Vorstellung eines demokratischen Landes entspricht, entzündet sich wieder einmal ein politischer Streit um einen Sportwettkampf.

Wenn Michel Platini meint, Sport sei unpolitisch, und er damit den Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft, Philipp Lahm, zurückweist, der die Menschenrechtsvergehen in der Ukraine beim Namen nennt, so müsste er wohl einmal etwas genauer in die Annalen der Sportgeschichte sehen. Er wird entdecken: Sport lässt sich nur schwer von Politik trennen. In seiner Geschichte eines Deutschen beschrieb Sebastian Haffner schon für die Weimarer Republik den »Sportfimmel, der in jenen Jahren die deutsche Jugend ergriff«. Er gehörte für ihn zu einem der »Vorboten des kommenden Unheils (...), der durchaus missverstanden und gar noch öffentlich gefördert und belobigt wurde«.

Auch in der jüdischen Geschichte erfüllte der Sport oftmals eine politische Funktion. Zionisten hatten dies von Anfang an entdeckt. Als Max Nordau um die Jahrhundertwende zur Begründung eines »Muskeljudentums« aufrief, erblickte er in der sportlichen Betätigung eine Möglichkeit, dem Antisemitismus und insbesondere dem Vorurteil, die Juden seien körperlich untauglich, zu begegnen. Keinem Verein gelang dies besser als der Wiener Hakoah, die 1925 nicht nur den Fußballtitel im Lande errang, sondern gleichzeitig auch noch die österreichischen Mannschaftsmeisterschaften im Ringen und Schwimmen wie auch die Hockeymeisterschaft gewann.

Mannschaft Der Schriftsteller Friedrich Torberg, der selbst mit Hagibor Prag tschechoslowakischer Wasserballmeister wurde, wusste, dass Juden Nobelpreisträger werden konnten – aber dass Hakoah Wien die damals legendäre Mannschaft von West Ham United in London mit 5:0 besiegte, damit konnte man sich wirklich schmücken! Wie Torberg eindringlich beschrieb, konnten diese Leistungen auch unter Antisemiten gelegentlich Respekt erheischen, und die damals üblichen »Saujud«-Rufe mancher österreichischer Fans mutierten gelegentlich zum Schlachtruf: »Hoppauf, Herr Jud!«

Politisch war der Fußball nicht nur in Wien. Neben den zionistischen Vereinen gab es gutbürgerliche, die als »Judenclubs« verschrien waren, wie MTK Budapest, Ajax Amsterdam und Bayern München, der 1932 unter seinem jüdischen Präsidenten Kurt Landauer seine erste deutsche Meisterschaft errangen.

Dass Sport und Politik nicht zu trennen sind, das zeigt nichts deutlicher als die Geschichte der Olympischen Spiele. Berlin 1936 wurde zum Propagandafest der Nazis, München 1972 führte zum Massaker an israelischen Sportlern, Moskau 1980 wurde von den Amerikanern boykottiert, Los An- geles 1984 von den Russen. Und wenn es keinen Boykott gab, dann zumindest Aufrufe hierzu: zuletzt war dies in China wegen Menschenrechtsverletzungen der Fall. Wenn Katar die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 ausrichten darf, wird man nicht nur wegen der Frauenrechte kritische Fragen stellen.

Nun ist also erst einmal die Ukraine dran. Auch hier lassen sich Argumente finden für Boykott, Protest oder Stillschweigen – je nach politischer Überzeugung. Vielleicht ist es endlich eine Lehre, sich genau zu überlegen, an welche Staaten man in Zukunft große Sportereignisse vergibt. Für die Europameisterschaft 2020 stehen bereits die Türkei, Aserbaidschan und Georgien an. Neben Stadiontauglichkeit und Länderproporz müssten aber eigentlich Bedingungen wie Achtung der Menschenrechte und Demokratieverständnis gegeben sein. Denn eines sollte mittlerweile klar sein: Sport mag unpolitisch sein, große Sportereignisse sind es gewiss nicht.

Der Autor ist Historiker an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Staatsbesuch

Kanzler Merz reist am nächsten Wochenende nach Israel

Das Datum steht: Bundeskanzler Merz reist in gut einer Woche zum Antrittsbesuch nach Israel. Der Gaza-Krieg hatte die Reise verzögert, durch die Waffenruhe wird sie jetzt möglich

 28.11.2025

Berlin

Anschlag auf israelische Botschaft geplant? Prozess beginnt

Ein mutmaßlicher IS-Unterstützer kommt vor Gericht. Der Prozess gegen den inzwischen 19-Jährigen beginnt am Montag

 28.11.2025

Brüssel

Weimer warnt vor Antisemitismus und Ausgrenzung beim ESC

Der Kulturstaatsminister will darüber mit seinen europäischen Kollegen sprechen

 28.11.2025

Eurovision Song Contest

Spanien bekräftigt seine Boykottdrohung für ESC

Der Chef des öffentlich-rechtlichen Senders RTVE gibt sich kompromisslos: José Pablo López wirft Israel einen »Genozid« in Gaza und Manipulationen beim Public Voting vor und droht erneut mit dem Austritt

 28.11.2025

USA

Mehrheit der Juden blickt nach Mamdani-Sieg mit Sorge nach New York

Eine Umfrage zeigt: Fast zwei Drittel der Befragten sind der Ansicht, Mamdani sei sowohl antiisraelisch als auch antisemitisch

 28.11.2025

Berlin

Israel, der Krieg gegen die Hamas und die Völkermord-Legende

Der israelische Militärhistoriker Danny Orbach stellte im Bundestag eine Studie und aktuelle Erkenntnisse zum angeblichen Genozid im Gazastreifen vor – und beklagt eine einseitige Positionierung von UN-Organisationen, Wissenschaft und Medien

 27.11.2025

USA

Staatsanwaltschaft rollt den Fall Etan Patz neu auf

Der jüdische Junge Etan Patz verschwindet am 25. Mai 1979 auf dem Weg zur Schule. Jahre später wird er für tot erklärt

 27.11.2025

Debatte

Neue Leitlinie zum Umgang mit NS-Raubgut für Museen und Bibliotheken

In Ausstellungshäusern, Archiven und Bibliotheken, aber auch in deutschen Haushalten finden sich unzählige im Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter. Eine neue Handreichung soll beim Umgang damit helfen

von Anne Mertens  27.11.2025

Düsseldorf

Breite Mehrheit im Landtag wirbt für Holocaust-Zentrum in NRW

Große Mehrheit im NRW-Landtag: Fast alle Fraktionen werben für NRW als Standort eines vom Bund geplanten Holocaust-Bildungszentrums. Bayern und Sachsen sind ebenfalls im Rennen

von Andreas Otto  27.11.2025