Meinung

Wer Frieden will, ruft nicht zu Gewalt auf

Ralph Lewin, der Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des 7. Oktober in der Synagoge von Bern Foto: picture alliance/KEYSTONE

Seit Ausbruch des Gazakonflikts taucht der Slogan »From the river to the sea, Palestine will be free« regelmäßig auf. Die geforderte Freiheit für Palästina hat aber eine tiefschwarze Schattenseite. »From the river to the sea« ist nicht Kritik am israelischen Staat, sondern klar antisemitisch.

Dies ergibt sich aus der Antisemitismusdefinition der internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA), die weltweit von zahlreichen Staaten und Organisationen anerkannt wird. Auch der Schweizerische Israelitische Gemeindebund bezieht sich darauf. Es ist dabei entscheidend, was der Slogan als Forderung in den Raum stellt.

Der »Fluss« und das »Meer« sind der Jordan und das Mittelmeer. Dazwischen liegen der Staat Israel, das Westjordanland und der Gazastreifen. Ein Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer kann es also nur geben, wenn der Staat Israel ausgelöscht wird. Damit wird dem jüdischen Staat das Existenzrecht abgesprochen. Dies wird als antisemitisch gewertet.

Slogan ist Gewaltaufruf

In Israel leben rund sieben Millionen Juden. Damit kommt der Slogan einem Gewaltaufruf gleich. Mit dem schrecklichen Massaker der Hamas wurde der Welt am 7. Oktober 2023 vor Augen geführt, wie eine solche Auslöschung aussehen könnte. Auch die Hamas nutzt diesen Kampfbegriff in ihren Dokumenten, in denen sie auch explizit die Vernichtung Israels proklamiert.

Es ist zu befürchten, dass die Parole auch bei der angekündigten Palästina-Demonstration am 27. Januar in Zürich skandiert wird – ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag. Die Demonstranten wollen das Leid der palästinensischen Bevölkerung gemindert sehen, das ist legitim, das teile ich.

Nicht allen, aber sicher den Wortführern geht es aber um viel mehr. Nach ihnen hat der Staat Israel keine Existenzberechtigung. Er muss »befreit« werden. Von wem denn? Von den dort lebenden Juden offensichtlich. Damit begeben sie sich in Abgründe. Damit legitimieren sie einen sogenannten Freiheitskampf, der nichts anderes ist als eine Welle des Terrors gegen Israel.

Fehlende Abgrenzung

Eine klare Abgrenzung von der Rhetorik und den Zielen der Hamas war bei vielen Demonstrationen kaum zu finden. Wer glaubhaft für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser eintreten will, muss auch die Hamas ins Visier nehmen.

Menschenleben, auch die der eigenen Leute, sind der Hamas egal. Es geht ihr weder darum, bessere Lebensbedingungen für die Palästinenser zu erreichen, noch um einen eigenen palästinensischen Staat. Ihr geht es in erster Linie darum, ihr mörderisches ideologisches Ziel durchzusetzen: die Vernichtung jüdischen Lebens. Wer das nicht sehen will, macht sich mitverantwortlich.

Ob der Slogan in der Schweiz strafbar ist, ist unklar. Ich stelle aber trotzdem und mit Nachdruck fest: Ob strafbar oder nicht, der Slogan schürt Hass und heizt den Konflikt auch in der Schweiz weiter an.

Gerechte Lösung

Wer ernsthaft an einer friedlichen Lösung und besseren Lebensbedingungen für die Palästinenser interessiert ist – das ist auch mir ein wichtiges Anliegen –, der darf nicht meinen, dass diese Ziele mit der Forderung nach der Auslöschung Israels erreicht werden können.

Wir stemmen uns gegen jede Form des Antisemitismus. Wir glauben aber auch weiter daran, dass eine friedliche und gerechte Lösung für alle Menschen, die zwischen »Fluss« und »Meer« leben, möglich sein kann.

Ralph Lewin ist Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds.

Der Text erschien zuerst im Tages-Anzeiger.

Meinung

Israel: Keine Demokratie ohne Pressefreiheit

Den Armeesender abschalten? Warum auch jüdische Journalisten in der Diaspora gegen den Plan von Verteidigungsminister Katz protestieren sollten

von Ayala Goldmann  14.11.2025

Meinung

Jason Stanley und der eigentliche Skandal

Ohne mit allen Beteiligten gesprochen zu haben und ohne zu wissen, was wirklich passiert ist, schrieb die deutsche Presse das Ende des jüdisch-liberalen Diskurses herbei. Dabei offenbart sich, wie leichtfüßig Stereotype gefüttert werden

von Daniel Neumann  14.11.2025

Gastbeitrag

Kein Ende in Sicht

Der Antisemitismus ist in den vergangenen zwei Jahren eskaliert. Wer jetzt glaubt, dass es eine Rückkehr zum Status vor dem 7. Oktober 2023 gibt, macht es sich zu leicht. Denn auch vor dem »Schwarzen Schabbat« trat der Antisemitismus zunehmend gewaltvoller und offener zutage

von Katrin Göring-Eckardt, Marlene Schönberger, Omid Nouripour  13.11.2025

Sabine Brandes

Wie Donald Trump Israels Demokratie angreift

Der US-Präsident hat angekündigt, in den Korruptionsprozess gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu eingreifen zu wollen. Damit geht der Amerikaner eindeutig zu weit

von Sabine Brandes  12.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  11.11.2025 Aktualisiert

Meinung

Wahlen in Ostdeutschland: Es gibt keine Zeit zu verlieren

In Mecklenburg-Vorpommer und Sachsen-Anhalt wird im September gewählt. Es steht viel auf dem Spiel: Eine AfD-Regierung könnte großen Schaden anrichten. Leidtragende wären nicht zuletzt die jüdischen Gemeinden

von Joshua Schultheis  10.11.2025

Meinung

Wieder ein Blankoscheck für Palästina?

Europa will Gazas Wiederaufbau finanziell fördern. Glaubt man in Brüssel wirklich, Millionen an Hilfsgeldern würden etwas zum Besseren verändern, fragt unser Autor

von Jacques Abramowicz  10.11.2025 Aktualisiert

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Meinung

Wenn deutsche Linke jüdische Selbstbestimmung ablehnen

In einer Resolution delegitimiert die Linksjugend Israel als koloniales, rassistisches Projekt. Dabei ist der Staat der Juden nicht zuletzt eine Konsequenz aus den Verbrechen der Deutschen im Nationalsozialismus

von Frederik Schindler  06.11.2025