Der Tonfall, in dem Außenminister Gideon Sa’ar am Montag auf X ein Einreiseverbot für zwei spanische Ministerinnen nach Israel verkündete, sprach Bände. »Die spanische Regierung verfolgt eine feindselige antiisraelische Linie mit wilder, in Hass getränkter Rhetorik«, schrieb Sa’ar. Die sozialistische Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez bezeichnete er als »korrupte Sánchez-Regierung« und unterstellte ihr antisemitische Motive.
Spaniens Regierung, so der israelische Außenminister, wolle durch Angriffe auf Israel von »schweren Korruptionsskandalen ablenken«. Zudem pflege sie enge Beziehungen zum iranischen Ajatollah-Regime und zum venezolanischen Diktator Nicolás Maduro, behauptete er, ohne aber Belege zu nennen.
4800 Zeichen lang war Sa’ars Attacke auf Sánchez und seine Ministerinnen. Sie überstieg so die übliche Länge eines X-Posts bei weitem. Undiplomatischer hätte Sa’ar kaum formulieren können. Bei der nächsten Sitzung der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) werde er sich über die »antisemitischen Äußerungen« der spanischen Minister beschweren, kündigte Sa’ar an.
Letzte Woche erst hatte sein Vorgesetzter, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, den belgischen Premierminister Bart De Wever reichlich brachial als »weak leader«, als »schwachen Anführer«, bezeichnet. Zuvor hatte Brüssel die Anerkennung eines Staates Palästina unter bestimmten Bedingungen (unter anderem Entlassung aller Geiseln aus der Gewalt der Hamas) angekündigt. De Wever ist Chef der rechten, eher israelfreundlichen Nieuw-Vlaams Alliantie (N-VA), der stärksten Partei in Belgien. Er hatte im Januar angekündigt, Netanjahu trotz Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs nicht festnehmen zu lassen, sollte dieser zu Besuch nach Belgien kommen.
Netanjahu dankte es De Wever nicht, obwohl dessen N-VA in den Verhandlungen mit den Koalitionspartnern weiterreichende belgische Sanktionen gegen Israel verhindern konnte.
Auch Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron traf zuletzt der Zorn der israelischen Regierung. Macron wurde ebenfalls zur Persona non grata erklärt und darf sich vorerst in Israel nicht blicken lassen. Seit der geplanten Anerkennung eines Palästinenserstaates durch Frankreich, die noch in diesem Monat erfolgen soll, ist das Tischtuch zwischen Paris und Jerusalem zerschnitten. Zuvor hatte es auf X, also vor den Augen der Weltöffentlichkeit, ein regelrechtes Rededuell zwischen Sa’ar und Macrons Außenminister Jean-Noël Barrot gegeben.
Sa’ar hatte geklagt, Macron hofiere Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, tue aber nichts nicht gegen die grassierende Hetze gegen Israel an palästinensischen Schulen. Der Franzose habe auch nichts gegen die Zahlungen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) an Familienangehörige von Terroristen.
»Äußerst unfair, lieber Gideon«
»Macron versucht, von außen in einen Konflikt einzugreifen, an dem er nicht beteiligt ist, und zwar auf eine Weise, die völlig losgelöst ist von der Realität vor Ort seit dem 7. Oktober«, lamentierte Sa’ar. Mit seinem »gefährlichen Handeln« untergrabe der Franzose sogar die Stabilität in der Region. Macron werde »weder Frieden noch Sicherheit bringen«, ist sich der israelische Außenminister sicher.
Die Retourkutsche aus Paris kam prompt, wenngleich nicht von Macron selbst, sondern von Jean-Noël Barrot. »Äußerst unfair, lieber Gideon« sei das doch, schrieb der französische Chefdiplomat. Macron habe mit seiner Nahostinitiative »beispiellose Zusagen von der Palästinensischen Autonomiebehörde erhalten«, fügte Barrot hinzu.
Die Terrorrente der PA sei mit Wirkung zum 1. August »beendet worden«, was bald durch eine unabhängige Prüfung bestätigt würde, behauptete er. Und auch eine Überarbeitung der Schulbücher zur Verhinderung von Hetze sei im Gange. Es gebe darüber hinaus »beispiellose Zusagen« von den arabischen Staaten und der Türkei, die Entwaffnung und den Ausschluss der Hamas aus dem politischen System und die Schaffung einer regionalen Sicherheitsarchitektur mit Israel befürworteten. Das stimme so nicht, erwiderte Gideon Sa’ar umgehend. Die Terrorrente sei eben nicht abgeschafft, sondern nur umbenannt worden.
Doch die »Public Diplomacy« war damit noch nicht beendet. Am Donnerstag vergangener Woche telefonierte Sa’ar mit seinem französischen Amtskollegen. Anschließend verkündete er, Macron sei vorerst nicht erwünscht in Israel. Der französische Präsident reiht sich damit ein in eine wachsende Liste anderer westliche Staats- und Regierungschefs und Minister, die Jerusalem bereits zu unerwünschten Personen erklärt hat.
Der Ton wird immer rauer, immer harscher, immer lauter. Was die Netanjahu-Regierung damit bezweckt, ist fraglich. Neue Freunde dürfte sie so nicht gewinnen und viele alte verlieren. In Westeuropa hat Jerusalem aktuell kaum noch Verbündete. Auch die Regierung der Niederlande hat sich abgewendet vom einstigen Partner.
»Rallying around the flag«-Effekt
Dass sich nun sogar ausgewiesen israelfreundliche Politiker und Regierungen Vorwürfen ausgesetzt sehen, sie handelten aus Opportunismus oder gar aus Antisemitismus, mag man für zutreffend halten oder nicht. Sicher ist aber: Die beißende und oft übergriffige Rhetorik israelischer Minister mag im Einzelfall durchaus nachvollziehbar sein. Auch Politiker haben Wutausbrüche, müssen sich ihren Frust von der Seele reden.
Klug ist das alles dennoch nicht, schon gar nicht in der aktuellen Lage, in der Israel sich befindet. Wer angepatzt wird, setzt sich zur Wehr. Auf einen groben Keil gehört bekanntlich ein grober Klotz.
Schon jetzt ist in den angegriffenen Ländern ein »Rallying around the flag«-Effekt zu erkennen. Israels Ruf in Spanien, Frankreich, Belgien und vielen anderen europäischen Staaten ist auf einem Allzeittief. Und in den jüdischen Gemeinden, in denen die Kritik Jerusalems an den Regierenden im eigenen Land durchaus nachvollzogen werden kann, schütteln viele angesichts der harschen Töne aus Jerusalem nur den Kopf.
Auch wenn die Firebrand-Rhetorik von Netanjahu und Sa’ar womöglich innenpolitische Gründe hat: Der außenpolitische Schaden für den Staat Israel, den sie damit verursachen, dürfte größer sein als der Nutzen.
Wut ist ein bekanntlich auf lange Sicht ein schlechter Ratgeber. Für Politiker ganz besonders.
Der Autor ist EU-Korrespondent der Jüdischen Allgemeinen.