Jo Frank

Wahlprogramme: Leerstelle Erinnern

In den Wahlprogrammen der Parteien ist Erinnerungskultur nicht mehr als müde Pflicht. Es fehlen konkrete Ideen und Konzepte

von Jo Frank  20.08.2021 08:04 Uhr

Jo Frank Foto: Stephan Pramme

In den Wahlprogrammen der Parteien ist Erinnerungskultur nicht mehr als müde Pflicht. Es fehlen konkrete Ideen und Konzepte

von Jo Frank  20.08.2021 08:04 Uhr

Wer sich wie erinnert, wessen Erinnern sichtbar gemacht wird, ist Teil der Frage, wie sich eine Gesellschaft selbst erzählt – wer dazugehört zu ihrem »Wir«. In den Wahlprogrammen der demokratischen Parteien ist davon wenig zu spüren. Für CDU/CSU ist Erinnern ein funktionales Geschehen zur »Schärfung des Bewusstseins (…) gegen Antisemitismus, Rassismus und Extremismus«. Konkrete Ideen, wie Erinnern gestaltet werden könnte, fehlen. Dafür entdeckt der Leser einen Verweis auf »Sternstunden der Demokratie«. Verschleierung statt Schärfung?

Die SPD benennt in ihrem Parteiprogramm NS-Verbrechen, die Schoa, die SED-Diktatur und die deutschen Kolonialverbrechen. Leider bleibt es genau dabei – beim performativen Benennen. Konkretes hat sie nicht zu bieten. Ach doch, aber wer hat da von wem abgeschrieben? Das Panazee der Digitalisierung wird für die SPD alles richten.

PLURALISIERUNG Die FDP hat die Lösung für alle Herausforderungen der Erinnerungskultur: Digitalisierung! Was sich dahinter versteckt, bleibt so unbeantwortet wie die Frage, warum die FDP die »beiden Diktaturen des Nationalsozialismus sowie der DDR« gleichsetzt. »Es gibt viel zu tun«, überschreibt die FDP ihr Programm, und was Erinnerung betrifft, kann man nur sagen: allerdings.

»Alles ist drin«, überschreiben Bündnis 90/Die Grünen ihr Programm, doch Erinnerungskultur bleibt Randnotiz. In Forschung und Gedenkstätten ist Erinnern für die Grünen angesiedelt – und domestiziert. Zivilgesellschaft? Fehlanzeige. Die Pluralität der Gesellschaft wird mit »Zusammenhalt« abgefrühstückt, während »wenig beachtete Opfergruppen« Beachtung finden sollen – aber welche und wie?

Alle demokratischen Parteien lassen Erinnern an rechten Terror – Halle, Hanau – aus.

Dass Erinnerung mehr kann, als im Kampf gegen »Kriegstreiberei, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Rassismus und nationalen Dünkel« zu sekundieren, bleibt der LINKEN verborgen. Mehr als müde Pflicht ist Erinnerungskultur auch nicht.

terror Alle demokratischen Parteien lassen Erinnern an rechten Terror – Halle, Hanau – aus. Vergessen wird auch, dass Pluralisierung auch Pluralisierung von Erinnerung bedeutet. Diesbezügliche Zukunftskonzepte formuliert keine der demokratischen Parteien. Umkämpftes Erinnern? Von wegen.

Und die AfD? Vom Gaulandschen »Vogelschiss« oder Höckes »Denkmal der Schande« ist im AfD-Programm »Deutschland – aber normal« nichts zu lesen. Im Fokus stehen »Highlights der deutschen Geschichte«. Ausgerechnet das Kaiserreich wird zum Identitätsangebot. Ein völkischer Sehnsuchtsort, in dem die Gleichstellung von Juden bekämpft und der Weg bereitet wurde für ihre Ermordung – »normal« ist das nicht.

Der Autor ist Geschäftsführer des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks (ELES).

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