Meinung

Syrien: Warum machen wir immer wieder den gleichen Fehler?

Die Freude über den Fall des Assad-Regimes sollte nicht dazu führen, dass die islamistische Gefahr heruntergespielt wird Foto: IMAGO/Middle East Images

Die Welt bejubelt den Sturz des Terrorregimes der Assad-Familie in Syrien. Gleichzeitig wird dort mit Mohammed al-Dschaulani ein Mann als Held gefeiert, dessen Organisation selbst von den Vereinten Nationen als terroristisch eingestuft wird. Kann ein Mann Syrien in eine Periode des Friedens führen, der bislang als Terrorist gesucht wurde?

Ist Dschulani wirklich geläutert? Hat er von Ayman al-Zawahri und Abdullah Yusuf Azzam (beide wichtige Leute bei Al-Kaida) gelernt und spielt nur auf Zeit, um irgendwann aus Syrien einen islamistischen Staat (»Dschihadi Umma«) zu machen?

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Israel jedenfalls ist diesbezüglich nicht naiv. Dort glaubt man nicht daran, dass das neue Regime in Syrien dem jüdischen Staat gegenüber friedlicher gesinnt sein wird als Assad es war. Vorsorglich wurden deswegen 320 militärische Ziele in Syrien, vor allem Waffenlager sowie Fabriken zur Herstellung von Chemiewaffen, von Israel zerstört. Es ist noch allzu gut in Erinnerung, dass Syrien sowohl 1967 als auch 1973 Israel angegriffen hatte.

Naiv sind aber manche im Westen. Dabei müssten wir es angesichts unserer Erfahrungen mit den islamistischen Faschisten im Iran seit 1979, mit dem türkischen Islamisten Recep Tayyip Erdogan seit 2002 und mit den Muslimbrüdern um Mohammed Mursi in Ägypten 2012 eigentlich besser wissen.

Auch die vom Iran finanzierte Terrororganisation Hisbollah, die das Assad-Regime am Leben erhalten hat, ist hinlänglich bekannt.

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Trotzdem stellt man dieser Tage erneut fest, dass für einige hierzulande der Hauptschuldige an den Problemen Syriens erneut Israel ist. Die heimliche Liebe einiger Linker zu islamischen Faschisten ist nicht ganz neu. 1979 halfen Linke im Iran dabei, den Schah zu stürzen, und brachten so Ajatollah Chomeini an die Macht, dessen Regime man mit Fug und Recht für die meisten Probleme im Nahen Osten mitverantwortlich machen darf. Doch laut Michel Foucault war Chomeini ein »iranischer Ghandi«.

Und Erdogan? Der wurde jüngst von Bundespräsident Steinmeier als »werter Freund« bezeichnet. 2012 feierte die Obama-Regierung den »Arabischen Frühling«, die US-Außenministerin Hillary Clinton traf sich mit Mursi, damals Ägyptens Präsident und einer der Führer der Muslimbruderschaft, die auch die Hamas umfasst. Leider wurde nach dem Sturz Mursis ein Repressionsregime durch ein anderes ersetzt; auch sein Nachfolger al-Sisi regiert autoritär.

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Zurück zu Syrien und zur Gegenwart. Ob Dschulani besser sein wird als Assad, ist nicht die entscheidende Frage. Die Messlatte liegt sehr niedrig. Spannender ist die Frage, ob er das Land stabilisieren und den Bürgerkrieg beenden kann, und das ausgerechnet mit einer Truppe, deren Name »Hay›at Tahrir al-Scham« (HTS) eigentlich schon alles sagt. Der steht nämlich für »Organisation für die Befreiung des Levant«. Die Gruppierung geht aus einer noch älteren hervor, der »Jabhat al-Nusra«, auch bekannt als »Front für die Eroberung des Levant«.

Bei beiden handelt es sich um salafistische, dschihadistische Organisationen, die wiederum aus al-Kaida hervorgegangen sind.

Es besteht also die große und ganz und gar reelle Gefahr, dass Syrien zu einem zweiten Afghanistan wird. Für Europa würde das bedeuten, dass die syrischen Flüchtlinge hier nicht etwa zurück können in ihre Heimat, sondern dass noch mehr zu uns kommen werden. Gerade Minderheiten wie Christen, Drusen und Kurden, aber auch die Frauen in Syrien, würden unter der Einführung der Scharia leiden.

Dem neuen Syrien einen gewissen Vertrauensbonus zu geben, wäre sicherlich nicht falsch. Man sollte aber sehr genau hinschauen. Und man sollte alles tun, dass Syrien kein neuer Terrorstaat wird.

Und bevor jetzt Einwände kommen: Wir erinnern uns an Shadi Al-Waisi, der vor wenigen Tagen ankündigte, in Aleppo die Scharia einzuführen. Es kamen reflexhaft die Kommentare, er habe doch kein Amt und das seien bloß die Aussagen eines Einzelnen. Inzwischen ist er der neue Justizminister von Syrien und hat als eine der ersten Amtshandlungen angeordnet, Frauen aus dem Richteramt zu entfernen.

Viele unterschiedliche Interessen werden versuchen, das Machtvakuum in Damaskus auszunutzen und sich zu positionieren, allen voran die Türkei. Auch Russland und der Iran werden ihren Einfluss dort nur ungern aufgeben, auch wenn beide mit Assads Sturz eine schwere Niederlage erlebt haben. Der Westen muss nun umso mehr mit dafür sorgen, die Lage zu stabilisieren. Wenn er klug ist, lernt er aus den Erfahrungen der Vergangenheit. Anschauungsmaterial genug findet sich den Geschichtsbüchern.

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