Meinung

Sind doch nur Fans!

Martin Krauß Foto: Chris Hartung

Bei Union Berlin wird ein israelischer Profi der Gästemannschaft, der in einer umstrittenen Spielsituation die Rote Karte sah, von einem Union-Fan auf Twitter als »Scheiß Judenvieh« beschimpft – »ab in die Kammer mit dir!«.

Beim Chemnitzer FC wird durch Schweigeminute und Einspieler auf der Videowand ein stadtbekannter Neonazi geehrt, der wenige Tage zuvor einem Krebsleiden erlag. Der Chemnitzer Stadionsprecher lobt den Rechtsextremisten als »Anhänger mit Leidenschaft«, und etliche Fans hängen ein Transparent aus und fackeln zu Ehren des toten Nazis ein Pyrofeuerwerk ab.

Und in Nürnberg fällt ein Fan aus Dresden auf, der glaubte, sich mit antisemitischem Gebrüll und »Hitlergruß« gegen die sturmbedingte Spielabsage seiner Dynamo gegen die SpVgg Greuther Fürth wehren zu müssen.

UNPOLITISCH Schlimm genug, aber die Sprachregelung, mit der reagiert wird, ist noch schlimmer: doch nicht auf dem Fußballplatz! Der Fußball, heißt es, solle damit nichts zu tun haben, er sei ja so unpolitisch.

So etwas kommt heraus,
wenn man lange genug daherschwätzt,
der Fußball sei unpolitisch.

Beinahe prototypisch hat – nach Angaben des MDR – die Fanbeauftragte des Chemnitzer FC diese Geisteshaltung formuliert. »Es gab grundlegende Dinge, die haben uns strikt getrennt«, hat sie auf ihrer Facebook-Seite über den verstorbenen Nazi geschrieben.

»Aber es gab eben auch die andere, menschliche Seite«, so zitiert der MDR den inzwischen gelöschten Post. »Wir waren immer fair, straight, unpolitisch und herzlich zueinander – das hat dich ausgezeichnet.«

KLARTEXT So etwas kommt dabei heraus, wenn man lange genug daherschwätzt, der Fußball sei unpolitisch und habe mit so schlimmen Dingen wie Judenhass nichts zu tun, denn die seien ja Politik. Antisemitismus taucht eben immer und überall auf – auch im Fußballstadion.

Er ist ein Phänomen, das in der gesamten Gesellschaft existiert, und jede Behauptung irgendeines gesellschaftlichen Teilbereichs, man selbst sei davon nicht betroffen, bedeutet im Klartext, dass man ihn genau dort nicht erkennen – und folglich nicht bekämpfen – möchte.

Beim Chemnitzer FC trat der Geschäftsführer nach dem medialen Sturm zurück. Aktiv wurde der Klub, der ja selbst den verstorbenen Rechtsextremisten überdimensional würdigte, nur gegen einen Spieler, der ein T-Shirt mit der Aufschrift »Support your local Hools« hochhielt. Der wurde mit einer Geldstrafe belegt, weil, O-Ton Chemnitzer FC: »Für Äußerungen dieser Art ist auf dem Fußballplatz kein Raum.«

LEBENSINHALT Nochmal, damit es auch in Westsachsen verstanden wird: Wer schlimme Äußerungen nur mit dem Hinweis untersagt, man wolle die hier nicht hören, gibt zu verstehen, dass er sie woanders duldet oder gar gutheißt. Dass dies keine böse Unterstellung gegen den Chemnitzer FC ist, wird deutlich, schaut man sich dessen Erklärung zum Vorfall genauer an. »Die Ermöglichung der gemeinsamen Trauer stellt keine Würdigung des Lebensinhalts des Verstorbenen dar«, behauptet der Klub – daher habe man sich tränenselig von engagierten Nazi verabschiedet.

Den Kampf muss man »auch
in unseren eigenen Reihen« führen,
heißt es bei Union. Zu Recht.

Dass man gegen antisemitische Fans auch vorgehen kann, hat am gleichen Abend der FC Union in Berlin bewiesen. Auf die Beleidigung des israelischen Profis Almog Cohen, der beim FC Ingolstadt spielt, reagierte der Klub sofort mit einer Solidaritätserklärung mit Cohen, verurteilte die Beleidigung gleich als das, was sie ist, als »widerlichen antisemitischen Tweet«, und erstattete Strafanzeige.

Und, um zu zeigen, dass man weit davon entfernt ist, in die üblichen Abwehrfloskeln zu verfallen, wonach so etwas nicht von Fans kommen könne und mit Fußball nichts zu tun habe, formulierte Union auch gleich, dass man den Kampf gegen solche Diskriminierungen konsequent führen muss – »auch in unseren Reihen«.

Ja, da fängt der Kampf gegen Antisemitismus an: in den eigenen Reihen, im eigenen Milieu. Wer behauptet, Judenhass gebe es immer nur woanders – nicht bei uns, nicht im Fußball, nicht in meinen Kreisen –, sorgt nur dafür, dass es ihn weiter gibt: bei sich und woanders.

Kommentar

Der Öl-Preis muss fallen, damit die Mullahs stürzen

Wenn der Preis für Rohöl auf unter 10 US-Dollar fällt, gehen die Saudis nicht pleite, aber der Revolutionsführer Khamenei sehr wohl. Putin übrigens auch.

von Saba Farzan  17.06.2025

Kommentar

Der »Spiegel«, Israel und das Völkerrecht

Deutschland dürfe »nicht erneut« zu Israels Angriffen schweigen, fordert Thore Schröder in einem Artikel. Wenn es um den jüdischen Staat geht, hat Realitätsverweigerung bei dem Hamburger Magazin System

von Ralf Balke  17.06.2025

Meinung

Die »Staatsräson« mit neuem Leben füllen

Umfragen zeigen, dass Israel hierzulande alles andere als beliebt ist. Dabei sollte allen Deutschen das Schicksal des jüdischen Staates am Herzen liegen - gerade angesichts der Bedrohung aus dem Iran

von Nikolas Lelle  16.06.2025

Iman Sefati

Warum viele Exil-Iraner Israel dankbar sind

»Viele Exil-Iraner sehen in diesen Angriffen nicht Krieg, sondern Hoffnung«, schreibt der Autor

von Iman Sefati  15.06.2025

Meinung

Israel verteidigt sich – und schützt die Region

Warum der Angriff auf iranische Atomanlagen notwendig war – und was Europa daraus lernen muss

von Carsten Ovens  15.06.2025

Manifest zur Außenpolitik

Gilt das Versprechen der SPD auch für ukrainische Kinder?

Unser Gastautor wurde in der Ukraine geboren und ist Jude. Seit vielen Jahren ist er SPD-Mitglied. Das neue Manifest einiger Altvorderer zur Außenpolitik macht ihn wütend

von Igor Matviyets  13.06.2025

Meinung

Zwischen Sorge und Hoffnung

Warum viele Iraner Israel dankbar sind

von Saba Farzan  13.06.2025

Schlag gegen Iran

Ein notwendiger Schritt

Israel hat alles Recht der Welt, sich gegen das iranische Atomprogramm zu wehren. Teheran darf niemals in den Besitz von Atomwaffen gelangen. Ein Kommentar von Philipp Peyman Engel

von Philipp Peyman Engel  18.06.2025 Aktualisiert

Meinung

Präventivschlag gegen eine existenzielle Bedrohung

Irans Atomprogramm verfolgt keine friedlichen Ziele. Nach dem Scheitern der diplomatischen Bemühungen ist Israels Angriff gerechtfertigt

von Ulrike Becker  13.06.2025