Kommentar

Schiedsgerichte sind nur ein erster Schritt

Rüdiger Mahlo Foto: Benyamin Reich

Sie waren die rücksichtslosesten und effizientesten Kunsträuber, die die Welt je gesehen hat: die Nazis und ihre Verbündeten.

Sie drangen systematisch in die Wohnungen vor allem jüdischer Familien ein, nahmen Gemälde von den Wänden, räumten Bücherregale leer, verschleppten Klaviere, Geigen und andere Instrumente und rissen ganze Sammlungen von Judaika an sich. Schätzungsweise insgesamt 600.000 Kulturgüter wurden geraubt, allein in Deutschland sprechen Provenienzforscher von ungefähr 200.000 gestohlenen Objekten.

Viele davon liegen bis heute in Museen und öffentlichen Sammlungen, aber auch in den Kollektionen großer Unternehmen oder privater Sammler – unauffindbar für die Erben, die sie rechtmäßig zurückfordern könnten.

Zwei Besucher betrachten in der Pinakothek der Moderne in München das Gemälde »Madame Soler« (1903) von Pablo Picasso, das unter Raubkunstverdacht stehtFoto: picture alliance / dpa

Mit dem heutigen 1. Dezember nimmt die »Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut« ihre Arbeit auf. Zum ersten Mal können Erbinnen und Erben eine Entscheidung erzwingen – selbst wenn das Museum, das das geraubte Werk besitzt, nicht kooperieren will. Erstmals sitzen in einem solchen Schiedsgericht Richterinnen und Richter, die sowohl von Opferseite als auch von der staatlichen Seite benannt wurden. Zudem gibt es jetzt Erleichterungen bei der Beweisführung.

Unrecht wird faktisch fortgeschrieben

Aber wir sind nicht am Ziel, sondern erst am Anfang des Weges. Denn die Schiedsgerichtsbarkeit kann zwingend nur das prüfen, was in öffentlichen Häusern hängt oder steht. Was aber ist mit den Kunstwerken, die heute in privaten Händen sind?

Wenn ein von den Nazis gestohlenes oder unter Verfolgungsdruck verkauftes Kulturgut heute in Privatbesitz ist, haben die Berechtigten keinen Zugang zu einem fairen Restitutionsverfahren. Das ist nicht nur ein juristisches Vakuum. Für die Familien, die es betrifft, ist es auch eine offene Wunde.

Denn es bedeutet, dass Unrecht faktisch fortgeschrieben wird. Der größte Kunstraub der Menschheitsgeschichte war Teil des Holocaust. Doch für seine umfassende Aufarbeitung gibt es bis heute kein Bundesgesetz. Alle anderen Ansprüche mit Bezug zu NS-Unrecht wurden bundesgesetzlich geregelt. Hier aber klafft eine juristische Leerstelle. Es ist eine Leerstelle, die die Familien der Opfer quält und die dieses Landes nicht würdig ist.

Auch Private müssen in die Restitution einbezogen werden

Die Bundesregierung hat das endlich erkannt. In ihrem Koalitionsvertrag hat sie die Verabschiedung eines umfassenden und wirksamen Restitutionsgesetzes vereinbart. Es wird dringend gebraucht, denn es würde einheitliche Regeln, Rechtssicherheit für alle Beteiligten und einen verbindlichen Rahmen schaffen, der nicht von der Bereitschaft einzelner Institutionen oder Individuen abhängt.

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Ob ein gestohlenes Kunstwerk in einem öffentlichen Museum oder einer privaten Sammlung hängt, darf nicht darüber entscheiden, ob die Opferseite in Deutschland eine Chance auf ein faires Verfahren hat. In beiden Fällen handelt es sich um Unrecht. Alle gestohlenen Kulturgüter, unabhängig von ihrem heutigen Aufbewahrungsort, müssen den Weg zurück zu den Familien finden, denen sie gehörten.

Die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut ist ein wichtiger Schritt. Aber sie ist nur ein erster Schritt. Wenn Deutschland es ernst meint mit seiner Selbstverpflichtung zu Erinnerung, Gerechtigkeit und historischer Verantwortung, muss der zweite folgen: ein umfassendes Restitutionsgesetz für NS-Raubgut.

Der Autor ist Europa-Repräsentant der Jewish Claims Conference.

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