Meinung

Problematische Erinnerung

Schlüsselfigur des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944: Claus Graf Schenk von Stauffenberg Foto: dpa

Meinung

Problematische Erinnerung

Warum die Glorifizierung von Stauffenberg und den anderen Attentätern des 20. Juli so unangemessen und irritierend ist

von Ralf Balke  20.07.2022 08:04 Uhr Aktualisiert

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Bottalk ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Bottalk angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Widerstand, Verantwortung und Mut – das sind die Worte, die immer wieder im Zusammenhang mit den Attentätern vom 20. Juli fallen. Auch jetzt, angesichts des 77. Jahrestages des gescheiterten Versuchs, Adolf Hitler zu töten, um dem massenhaften Sterben im Zweiten Weltkrieg irgendwie ein Ende zu bereiten, wird stets der Mut der Akteure rund um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg beschworen und ihre Vorbildrolle betont. »Denn sie haben gezeigt, dass sie ihrem Gewissen folgen, und damit haben sie einen Teil der Geschichte Deutschlands geprägt, der ansonsten durch die Dunkelheit des Nationalsozialismus bestimmt war«, erklärte beispielsweise dieser Tage Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Doch eignen sich Stauffenberg & Co. einfach so pauschal als Vorbilder und waren sie wirklich die mutigen Helden, wie es in all den Reden dieser Tage gebetsmühlenartig gesagt wird? Wenn man genauer hinschaut, haben die Männer des 20. Juli in der NS-Zeit auch große Schuld auf sich geladen. Zudem weisen sie einige äußerst irritierende Brüche in ihren Biografien auf; auch die Tatsache, dass sie zu Regimegegner wurden, macht sie nicht automatisch zu Demokraten. Und wenn es um ihre Haltung zu der nationalsozialistischen Judenpolitik geht, sieht es gelegentlich recht finster aus.

Taugen der Wehrmachtsoffizier Stauffenberg und die anderen Attentäter wirklich als Vorbilder?

VERACHTUNG Beispielhaft dafür ist ein Brief Stauffenbergs an seine Frau Nina, in denen er erste Eindrücke in Polen unmittelbar nach Kriegsbeginn 1939 schildert. »Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt.« Wie die Mehrheit der Adeligen verachtete Stauffenberg die Nazis für ihre vulgäre Art, was ihn und andere aber nicht daran hindern sollte, in der Wehrmacht Karriere zu machen und mit wehenden Fahnen in den Krieg zu ziehen.

Ob Stauffenberg selbst frei von Antisemitismus war, darüber wird in der Historiografie weiterhin heftig gestritten. Hitler-Biograf Ian Kershaw jedenfalls glaubt, dass seine Überzeugung, der Diktator gehöre weg, in einem direkten Zusammenhang mit Erzählungen von Augenzeugen über die Massaker an ukrainischen Juden stand. »Als Stauffenberg diese Berichte hörte, gelangte er zu dem Schluss, Hitler müsse beseitigt werden.«

Was danach kommen sollte, blieb recht vage. »Wiederherstellung von Recht und Freiheit, aber keine parlamentarische Demokratie«, bringt es Magnus Brechtken, stellvertretender Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, auf den Punkt. Dem nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsgedanken standen die meisten Widerständler wohl eher zustimmend als ablehnend gegenüber.

RASSENGESETZE Andere Historiker wie Peter Steinbach, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, sehen im Antisemitismus des Regimes überhaupt kein Motiv für das Handeln eines Stauffenberg. Im Deutschlandfunk nannte er Gründe: »Claus von Stauffenberg, der als Militär eine Karriere in der Konsolidierungsphase des nationalsozialistischen Regimes mit dem Aufbau der Wehrmacht machte, der Zeitgenosse war, von dem wir schmerzlich vermissen Proteste angesichts der Rassenpolitik der Nationalsozialisten, also etwa eine Reaktion auf die Nürnberger Rassengesetze von 1935 oder eine Reaktion auf die Pogrome im November 1938 oder etwa auch auf die sofort mit Kriegsbeginn einsetzende Verfolgung und Unterdrückung der Juden.«

Die Empörung über die Schoa war es nicht, die die meisten Männer des 20. Juli in den Widerstand trieb.

Die Empörung über den Holocaust war es also nicht, die die meisten Männer des 20. Juli in den Widerstand trieb. Vielmehr war es die Erkenntnis, dass der Krieg verloren sei und der beratungsresistente Diktator Deutschland wohl nun endgültig in die Katastrophe steuert.

Wie tief der Antisemitismus bei einigen der Protagonisten rund um Stauffenberg verwurzelt war, belegt ein Zitat von seinem Mitverschwörer General Erich Hoepner aus der Planungsphase unmittelbar vor dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion: »Es ist der Kampf der Germanen gegen das Slawentum, die Abwehr des jüdischen Bolschewismus.« Und mit Arthur Nebe hatte man sogar einen handfesten Massenmörder mit an Bord, der als Kommandeur der SS-Einsatzgruppe B am 22. Juli 1941 stolz gemeldet hatte: »In Minsk gibt es keine jüdische Intelligenz mehr.«

Stauffenberg verachtete die Nazis für ihre vulgäre Art. Das hinderte ihn aber nicht daran, mit wehenden Fahnen in den Krieg zu ziehen.

VORBILDER? Einfache pauschale Urteile sowohl im positiven als auch im negativen Sinne lassen sich angesichts solcher Fakten gewiss nicht über die Männer vom 20. Juli fällen – dafür sind ihre Geschichten zu komplex und die Gruppe als solche sehr heterogen.

Und genau deshalb bleibt die Erinnerung an die Attentäter problematisch und zwiespältig. Sie einfach nur als leuchtende Vorbilder zu präsentieren, greift zu kurz und blendet viel Unangenehmes aus, vor allem ihren Antisemitismus.

Der Autor ist Historiker und lebt in Berlin.

Lesen Sie hier eine Replik auf diesen Kommentar.

Berlin

Ahmad Mansour kritisiert Begriff »antimuslimischer Rassismus«

Für den Islamismus-Experten handelt es sich um einen gefährlichen Kampfbegriff. Er tabuisiere Islamkritik und erkläre Muslime zu Opfern. Doch anders als Juden könnten sie in Deutschland sicher leben

von Gottfried Bohl  21.08.2025

Berlin

300 Wissenschaftler fordern Boykott israelischer Universitäten

Auch »Völkermord« wird Israel in dem Schreiben vorgeworfen. Der Terror der Hamas wird hingegen nicht erwähnt

 21.08.2025

Auschwitz-Prozess

Kein einziges menschliches Wort

Vor 60 Jahren fiel das Urteil gegen 20 NS-Verbrecher in Frankfurt. Sie zeigten keine Reue

von Christoph Arens, Mascha Malburg  21.08.2025

Embargo

»Strategischer Fehler«

In der Union gibt es Zweifel an der Führungsfähigkeit des Kanzlers. Lob bekommt Merz von der AfD und dem Iran

von Stefan Laurin  20.08.2025

Analyse

Misstrauische Partner

Russland stellt sich öffentlich an die Seite des Iran. Doch der Kreml verfolgt in Nahost andere Ziele als die Mullahs

von Alexander Friedman  20.08.2025

Weimar

Buchenwald darf Zutritt mit Palästinensertuch verweigern

Die Hintergründe im Überblick

 20.08.2025

Medien

Fiktion statt Fakten

Matti Friedman hat viele Jahre für die Nachrichtenagentur AP berichtet. Der Journalist kennt die Probleme der Gaza-Berichterstattung aus erster Hand

von Gunda Trepp  20.08.2025

Berlin

Anschlag auf israelische Botschaft geplant? Anklage erhoben

Der Tatverdächtige ist IS-Unterstützer und russischer Staatsbürger

 20.08.2025

Athen

Israelische Firma übernimmt griechischen Rüstungsbauer

Griechenlands größter Hersteller von Militärfahrzeugen ist nun komplett in israelischer Hand. Die strategische Zusammenarbeit im Verteidigungssektor wird damit weiter vertieft

 20.08.2025