Meinung

Libanon: Das klägliche Versagen des Westens

Die Lage im Libanon seit dem 8. Oktober 2023 sei »unerträglich« und »inakzeptabel«. Sie berge das »Risiko einer breiteren regionalen Eskalation«. So lauteten die Worte in einem gemeinsamen Statement der Regierungen der Europäischen Union und von elf weiteren Staaten, darunter auch Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Saudi-Arabien und die USA, das am Donnerstag veröffentlicht wurde.

Es brauche jetzt, so die Unterzeichner, eine »sofortige 21-tägige Waffenruhe an der libanesisch-israelischen Grenze, um Raum für Diplomatie zu schaffen, damit eine diplomatische Lösung im Einklang mit der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrats und die Umsetzung der Resolution 2735 des UN-Sicherheitsrats über einen Waffenstillstand in Gaza« erzielt werden könne.

Diplomatie könne jedoch nicht erfolgreich sein, wenn der Konflikt eskaliere, so die Erklärung. Man möchte hinzufügen: Diplomatie kann auch nicht erfolgreich sein, wenn sie die Ursache des Konflikts – in diesem Fall die vom Iran gelenkte Hisbollah-Miliz, die seit Jahren eine von der Regierung unabhängige Macht im Zedernstaat ist – völlig totschweigt. Das Wort »Hisbollah« sucht man in dem Statement der Elf vergeblich - auch das ist ein Statement.

Raison d’Etre der Hisbollah ist der Kampf gegen Israel

Der Verweis auf die Resolution des wichtigsten UN-Gremiums aus dem Jahr 2006 ist dagegen fast schon tragikomisch. Bereits damals hatte die Hisbollah einen Krieg gegen Israel vom Zaun gebrochen. Er endete mit eben jener UN-Resolution, die den Rückzug der israelischen Armee aus dem Süden des Libanon vorsah. Im Gegenzug verpflichtete sich die Regierung des Libanon zur Einrichtung eines Gebietes im Süden, das »frei von bewaffnetem Personal, Vermögenswerten und Waffen ist, mit Ausnahme jener der libanesischen Regierung«.

Doch die Hisbollah ließ sich nicht entwaffnen. Im Gegenteil: Bereits 2014, acht Jahre später, verfügte sie über ein Arsenal an Raketen und anderen Flugkörpern, das um ein Vielfaches größer war als noch 2006. Auf wen diese Waffen gerichtet sind, ist auch nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 klar: Israel. Die Raison d’Etre der Hisbollah, ihr ganzer Sinn und Zweck, ist der bewaffnete Kampf gegen den jüdischen Staat.

Lesen Sie auch

Nein, traurige Wahrheit ist: Weder die libanesische Regierung, an der die Hisbollah zwischenzeitlich sogar beteiligt war, noch die internationale Gemeinschaft waren willens oder in der Lage, für die Umsetzung der Resolution 1701 des Sicherheitsrats zu sorgen. Auch die von den Vereinten Nationen in der Grenzregion stationierte UNIFIL-Truppe, die dank der Resolution des Sicherheitsrats nochmals deutlich aufgestockt wurde, konnte die Aufrüstung der Hisbollah nicht verhindern – die Terrororganisation verweigerte schlicht den Blauhelmen den Zugang zu ihren Einrichtungen.

2019, immerhin 13 Jahre nach Verabschiedung der Resolution, forderte António Guterres die Entwaffnung der Hisbollah. Ein frommer Wunsch des UN-Generalsekretärs, denn prompt passierte wieder das Gegenteil: Die Miliz stationierte noch mehr Raketen und andere Angriffswaffen. Einige wurden sogar in Wohngebäuden versteckt, wie zuletzt bekannt wurde.

Es war nicht nur eine Drohkulisse, sondern blutiger Ernst. Die Hisbollah greift seit einem Jahr Ziele im Norden und in der Mitte Israels an. Anfang der Woche erreichte eine Rakete sogar Tel Aviv; sie wurde abgefangen. Die Hisbollah lebt von der Eskalation.

Die Hisbollah ist zum Staat im Staate geworden

Ja, richtig ist auch, dass nicht nur die Israelis Leidtragende dieser Entwicklung sind. Auch viele Menschen im Libanon verzweifeln an der Hisbollah. Nur muss auch die Verantwortlichkeit dafür klar sein: Die im Libanon politisch Verantwortlichen haben es in den letzten Jahrzehnten nicht vermocht, die Hisbollah zu marginalisieren, im Gegenteil. Sie ist mittlerweile ein Staat im Staate, kann so agieren, wie es ihre Vorgesetzten in Teheran für richtig und angemessen halten.

Wer angesichts dieser Entwicklung nicht mehr zu bieten hat als Appelle zur Deeskalation, hat in Wahrheit nicht viel zu bieten. Man könnte den Satz in der Erklärung der elf Staaten auch so abwandeln: Wenn Diplomatie versagt, eskalieren Konflikte. Es beißt die Maus keinen Faden ab: Gemessen daran hat die internationale Diplomatie kläglich versagt. Angesichts dieser Bilanz ist nicht nur der Krieg im Libanon »unerträglich« und »inakzeptabel«, sondern auch manche Worte westlicher Regierungen.

Meinung

Die Namen in die Welt schreien

24 junge Männer in der Gewalt der Hamas sind wahrscheinlich noch am Leben - sie können und müssen durch ein Abkommen gerettet werden

von Sabine Brandes  28.04.2025

Meinung

Die UN, der Holocaust und die Palästinenser

Bei den Vereinten Nationen wird die Erinnerung an den Holocaust mit der »Palästina-Frage« verbunden. Das ist obszön, findet unser Autor

von Jacques Abramowicz  25.04.2025

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  24.04.2025

Essay

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  24.04.2025

Meinung

Ich habe versagt

Damit sich ein Ereignis wie die Schoa nicht wiederholt, kommt es darauf an, wie wir erinnern. Doch wir sind offenbar dabei, genau das den Falschen zu überlassen

von Sophie Albers Ben Chamo  23.04.2025

Jom Haschoa

Zwei Minuten Stillstand?

Sollte in Deutschland in derselben Art und Weise wie in Israel an die Opfer der Schoa erinnert werden? Ein Gastbeitrag von Felix Klein

von Felix Klein  22.04.2025

Kommentar

Bezalel Smotrich, die Geiseln in Gaza und der moralische Teufelskreis

Zum Gesellschaftsvertrag in Israel gehört es, dass kein Soldat und kein Opfer von Terror zurückgelassen wird. Niemand! Niemals! Koste es, was es wolle. Was es bedeutet, dies nun in Frage zu stellen

von Daniel Neumann  22.04.2025

Kommentar

Bis zuletzt wollte Mustafa A. aus Lahav Shapira einen Täter machen

Dem Täter tue es leid, dass sein Angriff »instrumentalisiert wird, um jüdischen Bürgern Angst einzuflößen«. Ein unverfrorener Satz

von Nils Kottmann  17.04.2025

Volker Beck

Den Kampf gegen Antisemitismus nicht vereinnahmen

US-Präsident Trump nimmt den Antisemitismus an der Harvard University zum Anlass für einen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit und die Rechtsgleichheit für alle

von Volker Beck  16.04.2025