Meinung

Jürgen Trittin verharmlost den NS-Terror

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin bei der Bundesdelegiertenkonferenz seiner Partei im November 2024 Foto: IMAGO/Frank Turetzek

»Die Nazis haben ihr KZ-System im Dunkeln dräuen lassen. Die modernen Faschisten inszenieren #Dachau und #Buchenwald als TV Realityshow«. Das schrieb der langjährige Grünen-Politiker Jürgen Trittin am Dienstagmorgen auf der Plattform X und setzte noch den Hashtag #Trump dazu.

Verlinkt im Post war ein Bericht des »Deutschlandfunks«, der die jüngsten Abschiebungen von 238 (angeblichen) Mitgliedern der venezolanischen Organisation Tren de Aragua aus den USA thematisiert.

Außenminister Marco Rubio hatte kürzlich erklärt, man habe »hunderte gewalttätige Kriminelle« der von Washington als Terrororganisation eingestuften kriminellen Bande kurzerhand nach El Salvador deportiert, auf der wackeligen Basis eines Gesetzes aus dem Jahr 1798, das einen solchen »kurzen Prozess« erlaube. Das Vorgehen der US-Behörden wirft aber Fragen auf: Waren tatsächlich alle 238 Abgeschobenen Kriminelle? Wurde ihnen ein rechtsstaatliches Verfahren zuteil? Ein US-Gericht verneinte das ausdrücklich und wollte die Abschiebung stoppen. Doch da war es schon zu spät.

Dass man wie Jürgen Trittin das alles schrecklich findet und scharfe Kritik daran übt, hat also durchaus eine gewisse Berechtigung. Doch dem Bundesumweltminister im Ruhestand und einstigen Vorsitzenden der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen reicht das nicht. Nein, Trittin packt gleich die ganz große Keule aus: Ein Nazi-Vergleich muss her!

Vielleicht hatte ihn das im Artikel verwendete Foto getriggert. Es zeigt rund 50 Häftlinge in einer überfüllten Zelle des Hochsicherheitsgefängnisses Taluca in El Salvador. Dorthin sollen auch einige der aus den USA Abgeschobenen kommen, obwohl sie gar nicht Staatsbürger von El Salvador sind. Die Haftbedingungen sind dem Bericht zufolge nicht schön, von fensterlosen Zellen und einem Besuchsverbot ist die Rede.

Trittin Senior war bei der Waffen-SS

Vielleicht fühlte Trittin sich an Schwarzweißfotos von ausgemergelten KZ-Insassen erinnert. Sein Vater Klaus Trittin hatte sich 1941 freiwillig zur Waffen-SS gemeldet, mit nur 17 Jahren. Dort hielt man ihn für »ideologisch gefestigt«. Später geriet Trittin Senior in sowjetische Kriegsgefangenschaft, erst 1950 kam er frei.

Anders als viele aus seiner Generation redete er schon früh mit seinen beiden Söhnen über seine NS-Vergangenheit und besuchte mit ihnen die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Er ermahnte sie, solche Verbrechen nicht noch einmal zuzulassen. Sollte Jürgen Trittin das nach 55 Jahren noch präsent sein, dann ist das gut so.

Aber darf man das Vorgehen der Amerikaner auf eine Stufe stellen mit den bekanntesten Konzentrationslagern der Nazis? Darf man dem ehemaligen Reality-TV-Host Donald Trump vorwerfen, er inszeniere »Dachau« und »Buchenwald« wie eine »TV-Realityshow«?

Nicht vergleichbar

Nein, bei aller berechtigten Kritik: Das darf man nicht, schon gar nicht als Deutscher. Es ist nicht nur ein Affront gegenüber den Amerikanern, ohne die Europa vor 80 Jahren nicht vom Nazi-Joch befreit worden wäre. Es ist vor allem eine Verharmlosung des NS-Terrors. Trump auf eine Stufe mit Hitler zu stellen ist schlicht und ergreifen maßlos und auch geschichtsblind.

Trumps »Politik der harten Hand« und seine autoritären Neigungen mag man schlecht und verwerflich finden. Mit den Konzentrations- und Todeslagern der Nazis und der Vernichtung von sechs Millionen Juden haben sie nun wirklich nichts zu tun.

Ein erfahrener Politiker wie Trittin sollte nicht solche haarsträubenden Sachen posten. Er sollte nicht dergestalt den Holocaust verharmlosen. Hat er es wirklich mit 70 Lenzen noch nötig, mit Nazi-Vergleichen um öffentliche Aufmerksamkeit zu buhlen?

Meinung

BSW und AfD: Zwei Ausprägungen desselben autoritären Denkens

Sahra Wagenknecht und ihre Partei nähern sich den Rechtsextremen immer weiter an. Spätestens jetzt ist klar: Am BSW gibt es nichts Progressives

von Igor Matviyets  09.07.2025

Meinung

»Demokratie leben« braucht eine Inventur

Die Idee hinter dem Förderprogramm des Bundes mag gut sein, die Umsetzung ist es nicht. Viel zu oft profitieren Extremisten und Israelhasser von den öffentlichen Geldern

von Lennart Pfahler  08.07.2025

Meinung

Die Kirche schafft sich ab

Jetzt soll ausgerechnet der Antizionismus helfen, den gesellschaftlichen Niedergang der Kirche zu stoppen

von Josias Terschüren  08.07.2025

Michael Roth

Warum Jean Asselborn nicht mehr mein Freund ist

Luxemburgs langjähriger Außenminister verbreitet bei Tilo Jung Verschwörungstheorien über Israel. Nun kündigt ihm ein sozialdemokratischer Weggefährte die Freundschaft

von Michael Roth  07.07.2025 Aktualisiert

Meinung

New York: Zohran Mamdani und der Clash der Generationen

Der Bürgermeisterkandidat der Demokraten wurde nicht zuletzt wegen seiner antizionistischen Haltung gewählt. Während er unter jungen jüdischen New Yorkern Unterstützer hat, stehen die älteren überwiegend fest an Israels Seite

von Hannes Stein  06.07.2025

Kommentar

Zürich sollte Francesca Albanese keine Bühne bieten

Die antisemitische UN-Sonderberichterstatterin tritt am Freitag in der Zürcher Zentralwäscherei auf - subventioniert durch die Steuerzahler der Stadt

von Ronny Siev  03.07.2025

Kommentar

Liebe statt Tod

Die israelische Armee kämpft für unsere Freiheit, auch die der verlorenen Seelen auf dem Glastonbury-Musikfestival, die den Tod israelischer Soldaten gefordert haben

von Frank Schmiechen  03.07.2025

Kommentar

Justiz: Im Zweifel für Antisemitismus?

Ein Verwaltungsgerichtsurteil lässt große Zweifel aufkommen, dass es alle mit der Bekämpfung von Antisemitismus unter Beamten ernst meinen

von Michael Thaidigsmann  02.07.2025

Meinung

Die Erforschung von Antisemitismus braucht Haltung und Strukturen

Damit die universitäre Wissenschaft effektiv zur Bekämpfung von Judenhass beitragen kann, muss sie zum einen schonungslos selbstkritisch sein und zum anderen nachhaltiger finanziert werden

von Lennard Schmidt, Marc Seul, Salome Richter  02.07.2025