Wenn es um Antisemitismus geht, darf man die Lehren der Geschichte nicht vergessen. Das gilt in den Demokratien, darunter Deutschland - speziell nach dem Massaker an Juden im australischen Sydney. Die Resonanz vieler Bürger auf das Verbrechen folgt einer grausam-vergesslichen Logik, die nach antisemitischen Untaten wieder aufscheint. Besonders nach dem Massaker des 7. Oktober, dem schlimmsten Massenmord an Juden nach der Schoa.
Zunächst äußerten viele routiniert ihre »Betroffenheit«, doch als Israel handelte, wie andere Staaten, also die Mörder und ihre Hintermänner auszuschalten, hörte das Verständnis auf. Das galt als »unverhältnismäßig«. Auf den Straßen Europas und woanders wütete der antisemitische Mob. Juden wurden misshandelt, eingeschüchtert, Synagogen und Häuser besudelt. Parolen, wie »Global Intifada now!«, wurden und werden gebrüllt.
Meinungsfreiheit? Verständlicher Zorn? Es betrifft nur die Juden? Wie sich jetzt in Sydney scheinbar bestätigte. Doch Antisemitismus berührt keineswegs nur Juden. Unmenschlichkeit nimmt alle zur Geisel. Das wusste bereits der Theologe Martin Niemöller, als er 1946 reimte: »Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Kommunist … Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte«.
Dies sollten coole Kommentatoren und selbstgerechte Bürger bedenken, wenn sie Antisemitismus und Mord gelassen verurteilen, doch fast im gleichen Atemzug relativieren: den Menschen in Gaza ergehe es nicht besser sowie andere Begründungen. Nein! Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben.
Und noch etwas - direktes: Wer heute Juden abschlachtet, wird es morgen mit Christen, Demokraten … tun. Wer das nicht glaubt, sollte sich an die Anschläge auf Weihnachtsmärkte erinnern. Anis Amri, der ein Massaker auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz veranstaltete, und die Mörder von Sydney haben die gleiche Gesinnung. Sie sind nicht die einzigen. Ihre Geistesbrüder haben noch einiges vor.
Rafael Seligmann ist Autor des Bandes: »Keine Schonzeit für Juden«, Herder-Verlag.