»Thank you Mr President«, prangt auf riesigen Spruchbändern auf der menschenleeren Stadtautobahn Ayalon in Tel Aviv. Ich betrachte das Foto mit jener Mischung aus Hoffnung und Angst, aus Zustimmung und Abwehr, die seit dem 7. Oktober 2023 zunehmend mein Denken bestimmt. Viele Menschen, die zwar mein Entsetzen über das Massaker und meine Sorge um Israel teilen, aber mit jeder Nachricht über das Leid in Gaza innerlich ein kleines Stück weiter abgerückt sind, werden nun den Kopf schütteln. Präsident Trump, ausgerechnet Trump jener zutiefst verachtete, antidemokratische Rüpel, als Hoffnungsträger? Einmal mehr wird die tiefe Kluft zwischen der jüdischen und selbst der gutwilligen nichtjüdischen Perspektive offensichtlich.
Die Mehrheit der Israelis, die sich jeden Samstagabend in Tel Aviv versammeln, um für ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln zu demonstrieren, gehören dem linken politischen Spektrum an, aber auch sie setzen ihre Hoffnung auf den amerikanischen Präsidenten. Schön, wenn man sich seine Verbündeten aussuchen kann. Dieses Privileg hat nur, wer nicht mit dem Rücken an der Wand steht.
Es gehört zu den bittersten und nachhaltigen Erfahrungen des 7. Oktobers, dass vermeintliche Verbündete keine waren. Der nahezu komplette Ausfall der linken, woken, feministischen, queeren, antirassistischen Community, der feinsinnigen Kultur- und Wissenschaftswelt und der schamlose Schulterschluss mit islamistischen Judenfeinden, die unverhohlen die Auslöschung Israels fordern und jede Empathie abgeschaltet haben – mit den Geiseln in den Foltertunneln Gazas und mit den Menschen in Israel, die sich seit Jahren immer wieder und nun Tag für Tag und Nacht für Nacht vor dem Raketen- und Drohnenterror in die Bunker flüchten müssen – hat nicht nur meine Perspektive grundlegend verändert. Letzte Zweifel, dass die neue Querfront der Judenfeinde wirklich bar aller moralischen Skrupel ist, haben mir die Bilder aus Berlin genommen.
Mindestens 15.000 Menschen versammeln sich unter blauem Himmel vor dem Reichstagsgebäude, lassen fröhliche Wassermelonenballons in die Luft steigen, fordern ein Ende der Waffenlieferungen an Israel und ein Ende des Krieges unter dem Motto »United for Gaza«, das eigentlich »United against Israel« heißen müsste. Die Frau nämlich, die an ihrer Tasche eine lustige Puppe baumeln hat, die einen alten Mann mit Knollennase und gelbem Judenstern zeigt, ist genauso willkommen wie die iranische Flagge und antisemitische Parolen. Nicht zu sehen und nicht zu hören sind dagegen Forderungen nach der Freilassung der israelischen Geiseln, dem Ende der Angriffe auf israelische Zivilisten oder eine Verurteilung antisemitischer Angriffe – wie gerade wieder in Berlin auf einen jüdischen Mann, der seinen Hund ausführte. Die kleine Kundgebung zur Solidarität mit Israel aber wurde aufgelöst, weil die Berliner Polizei, die Teilnehmenden nicht ausreichend schützen konnte. Berlin steht dabei stellvertretend für eine weltweite Entwicklung.
Der Judenhass der Ayatollahs holt die Menschen im Nahen Osten ein
Die Isolation Israels ist der größte Erfolg des Iran. Der 7. Oktober war der Beginn der finalen Schlacht des Mullah-Regimes gegen Israel. Völkerrechtler mögen dies formaljuristisch anders bewerten, aber die Uhr in Teheran mit dem Countdown bis zum Ende des jüdischen Staates ist kein folkloristisches Dekor, sondern blutiger Ernst. Die Atombombe ist dabei nur eine von vielen Mitteln zum Zweck. Zum Waffenarsenal gehören tausende Raketen, die in ihren iranischen Abschussbasen, von denen Israel nun zum Glück nach vorsichtigen Schätzungen bereits die Hälfte zerstört hat, auf Israel gerichtet sind.
Mindestens so wichtig aber sind die de facto politisch dem Iran unterstellten Armeen und die Statthalter des Regimes in der Region. Ob die Hamas etwas aufmüpfig vorschnell am 7. Oktober 2023 die heiße Phase des »totalen Krieges« eröffnet hat, ob Iran lieber noch etwas gewartet hätte, bis die Atomwaffen startklar gewesen wären und wie lange diese Wartezeit noch gedauert hätte – all das sind jetzt Fragen für die Geschichtsbücher. Die Gegenwart für die Menschen in Israel, aber eben auch in Gaza, im Libanon, im Jemen und jetzt im Iran bedeutet, dass der Judenhass der Ayatollahs sie alle einholt und gefährdet.
Zunehmend fühlen sich auch die europäischen Zuschauer auf den bislang so komfortablen Rängen des Schauspiels bedroht. Ihr Interesse war es stets zu verhandeln, um nicht handeln zu müssen und Zeit zu gewinnen. Ganz im Sinne des Mullahregimes, das ebenfalls Zeit gewinnen wollte, um schließlich handeln zu können. Warnende Worte, dass Beschwichtigung bei Diktatoren am Ende noch immer gescheitert ist, ob beim Münchner Abkommen mit Hitler oder bei »Wandel durch Handel« mit Putin, werden so lange als Panikmache beiseite geschoben wie möglich.
Nur Verbündete können Forderungen erheben, Zuschauer nicht
Hätte es eine breite politische Front gegen jede atomare Bewaffnungsperspektive des Iran gegeben, statt mit dem klerikal-faschistischen Regime in Teheran Geschäfte zu machen – und hätte eine nennenswerte Allianz in den Vereinten Nationen die Freilassung der Geiseln und die Aufgabe der Hamas gefordert, dann wäre der Verlauf dieses Krieges ein grundsätzlich anderer.
Verbündete nämlich dürfen Forderungen erheben. Mitspieler haben Einfluss, Zuschauer nicht. Eine breite solidarische Front mit Israel hätte die Regierung in Jerusalem massiv und erfolgreich unter Druck setzen können, ein Abkommen zu unterzeichnen, das die Geiseln freibekommt und Israelis und Palästinensern endlich eine friedliche, hoffnungsvolle Perspektive eröffnen würde. Hätte, würde, könnte – eine lange Kette verpasster Möglichkeiten hat zu einer Situation geführt, die der israelischen Regierung, der zu misstrauen es wahrlich viele andere Gründe gibt, zwangsläufig freie Hand lässt, denn es geht ums Überleben. Da ist für diplomatische Rücksichtnahme und moralische Erwägungen tragisch wenig Platz.
Kein Ausgleich mit Extremisten
Schon der große Friedensaktivist und Schriftsteller Amos Oz sagte: »Auch ein Mann des Ausgleichs kann nicht auf die Hamas zugehen und sagen: ›Vielleicht treffen wir uns in der Mitte und Israel existiert dann eben nur montags, mittwochs und freitags.‹« Es lebt sich grundsätzlich anders mit dem Wissen, dass ein Regime, das den eigenen Tod zur Staatsdoktrin erhoben hat, sich in aller Ruhe daran macht, dieses Ziel zu erreichen.
Wer sich nicht bedroht fühlt, kann dagegen gelassen auf Verhandlungen setzen, für deren Scheitern andere den Preis zahlen müssen. Das hat die Ukraine bitter erfahren. Israel durchkreuzt diese politische Strategie des Wegduckens nun mit Unterstützung der USA. Ein riskantes Manöver, aber Friedhofsruhe ist keine gute Alternative. Die Nachbarstaaten Israels wissen dies und sind kaum verhohlen dankbar für das Wagnis, die atomare Bedrohung durch den Angriff auf die iranische militärische Infrastruktur zu beseitigen.
Hoffentlich werden auch andere Staaten den Mut aufbringen, sich einzugestehen, dass Israel in diesem Kampf, der der Sicherheit der freien Welt dient, ein wichtiger Verbündeter ist. Zunehmend scheinen auch Politiker in Europa zu begreifen, worum es geht. Das wird teuer und unbequem. Ökonomisch, wie schon die Sperrung der Straße von Hormus zeigen wird, und politisch, denn der Druck der Beschwichtiger und der Islamistenfreunde wird weiter wachsen. Jetzt kommt es auf auch innenpolitisch mutige Verbündete im Kampf gegen den Terror an. Allein kann Israel diese »Drecksarbeit« nicht machen. Freiheit muss am Ende durch ein starkes Bündnis von Demokraten verteidigt werden.
Die Autorin ist Journalistin, Preisträgerin der Buber-Rosenzweig-Medaille und lebt in Frankfurt.