Kommentar

Die Tränen des Kanzlers

Philipp Peyman Engel Foto: picture alliance / dpa

Kommentar

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 21:34 Uhr Aktualisiert

Dass Bundeskanzler in der Öffentlichkeit Emotionen zeigen, ja zu Tränen gerührt sind, ist selten. Meist gilt es, im wichtigsten Staatsamt Stärke und Härte zu zeigen und nicht als »schwach« dazustehen.

Das gilt auch für Friedrich Merz, der am Montagabend beim Festakt zur Wiedereröffnung der Synagoge in der Münchner Reichenbachstraße eine bemerkenswerte Rede hielt. Und um es klar zu sagen: Es war ein Gänsehautmoment. Merz gab ein sehr klares und hochemotionales Bekenntnis zu jüdischem Leben in Deutschland und dem Kampf gegen Judenhass ab.

Manche unterstellen dem Kanzler nun, seine Tränen seien rein taktischer Natur gewesen, um nach den Debatten der vergangenen Wochen die Wogen im Verhältnis zur jüdischen Gemeinschaft wieder zu glätten. Doch der Vorwurf ist wenig überzeugend. Merz klang echt, es wirkte glaubwürdig, als ihn bei der Beschreibung der unzähligen jüdischen Schicksale während der NS-Zeit die Tränen übermannten und er längere Zeit um Fassung rang. Eindringlich hat Merz in München das »Nie wieder!« beschworen. Juden dürften nie wieder Opfer werden, versprach er.

Das große Problem dabei ist: Mit Worten allein kann dem hochaggressiven Judenhass nicht Einhalt geboten werden. Besser wird es nur dann, wenn aus Worten Taten werden. Und die lässt Merz mit Blick auf Israel, der Heimstatt von Millionen Juden, seit Beginn seiner Kanzlerschaft oft schmerzhaft vermissen. Es ist der große blinde Fleck des Kanzlers: Zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat zu unterstützen und nicht immer wieder im Stich zu lassen.

Wenn der Bundeskanzler es wirklich ernst meint mit dem Schutz jüdischen Lebens, dann darf er es nicht bei rührigen Reden belassen.

Merz jedoch hat Israel in seiner Rede am Montagabend nur ein einziges Mal erwähnt, als er - zu Recht - betonte, dass der Judenhass in Deutschland nicht allein rechts außen zu finden ist, sondern auch in viel zu großen Teilen der muslimischen Gemeinschaft.

Zur Erinnerung: Israel ist der einzige jüdische Staat, den es gibt. Und dieser Staat befindet sich in existenzieller Not. Wer jüdisches Leben schützen will, kann nicht zugleich Israel militärische Hilfe im Kampf gegen die antisemitischen Terroristen schlechthin, die Hamas, verweigern. Militärische und politische Hilfe wohlgemerkt, die Israel aus der deutschen Geschichte heraus und als Wertepartner verdient hätte und auf die es auch angewiesen ist.

Wenn der Bundeskanzler es wirklich ernst meint mit dem Schutz jüdischen Lebens, dann darf er es nicht bei rührigen Reden belassen. Wie sagte schon sein Amtsvorgänger Helmut Schmidt richtigerweise: »Politik ist nicht nur Denksport; Politik ist auch Handeln.«

Ein Bundeskanzler muss stehen – auch und gerade dann, wenn der Wind ihm ins Gesicht bläst und in Meinungsumfragen eine große Mehrheit der Deutschen andere Einstellungen zu Israel vertritt als mutmaßlich er selbst und ganz sicher seine eigene Partei. Uns deutschen Juden bläst der Wind schon lange ins Gesicht. Und seit dem 7. Oktober, seit Israel mehr noch als sonst ein wehrhafter Staat sein muss, so hart wie seit langem nicht. 

Wenn Merz es wirklich ernst meint, dann darf er bei den Vereinten Nationen nicht mit den Feinden Israels stimmen, sondern muss mit seinen Freunden votieren. Auch, wenn Deutschland dann überstimmt wird. Wenn der Kanzler es ernst meint mit Israels Sicherheit als deutscher Staatsräson, dann muss er Waffen liefern, die Israel braucht, um sich und seine Bürger gegen den Terror zu verteidigen und die Hamas zu besiegen.

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In Brüssel muss er seiner Parteifreundin Ursula von der Leyen (CDU) klarmachen, dass ihr plötzlicher Kurswechsel und der Vorschlag, Israel mit weitreichenden Handelssanktionen zu belegen, keine gute Idee ist. Der Bundeskanzler darf auch nicht schweigen, wenn seine Amtskollegen in Spanien oder in Irland den jüdischen Staat in übelster Art und Weise dämonisieren und aus europäischen Sport- und Kulturwettbewerben ausschließen wollen.

Wenn Merz es ernst meint, dann muss Deutschlands auch in Europa ein Gegengewicht sein – gemeinsam mit anderen wohlmeinenden Staaten.

Nein, der Kampf gegen Antisemitismus ist nicht einfach und auch nicht populär. Populär ist vielmehr momentan, auf Israel einzuprügeln, Sanktionen zu fordern und dabei geflissentlich zu ignorieren, dass die antiisraelische Rhetorik Juden hierzulande in Gefahr bringt.

Ein Bundeskanzler, dessen Partei im Wahlkampf detaillierte Vorschläge zum Kampf gegen Antisemitismus gemacht hat, muss mehr liefern als bloß hehre Worte.

Friedrich Merz hat in München das Richtige gesagt. Doch jetzt muss er Taten liefern. Er muss das Richtige tun. Tut er es nicht, sind seine Worte nichts wert.

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