Meinung

Die Staatsräson ist tot

Philipp Peyman Engel ist Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen. Foto: picture alliance / dpa

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Die Staatsräson ist tot

Friedrich Merz hat sich einmal mehr als Wendehals ent­pup­pt. Das historische Versprechen, dass Deutschland für die Sicherheit Israels einstehen wird, hat ausgerechnet der Unionskanzler beerdigt

von Philipp Peyman Engel  08.08.2025 20:37 Uhr

Der heutige Tag, der 8. August 2025, wird in die Geschichte dieses Landes als ein historisches Datum eingehen. Als ein Tag, an dem ausgerechnet Unionskanzler Friedrich Merz die Staatsräson – das Versprechen, dass Deutschland für Israels Sicherheit einstehen wird – beerdigt hat. Die beiden Motive, aus denen sich die Staatsräson bislang speiste – als Konsequenz aus dem Holocaust die immerwährende Verantwortung für das jüdische Volk und seine Heimstatt Israel sowie die gemeinsame Wertebasis beider Länder –, existieren offenkundig nicht länger.

Man möchte dem Kanzler seine eigenen Worte vom Oktober 2024 zurufen, als der Oppositionsführer Merz die damalige Ampel-Koalition kritisierte: »Was sind Ihre Solidaritätsbekundungen für den Staat Israel eigentlich wert, wenn Sie dem Land zugleich wesentliche Teile der Hilfe in seiner so prekären Situation verweigern?«

Damals hatte das von Robert Habeck (Grüne) geführte Wirtschaftsministerium ein stilles Waffenembargo gegen Israel verhängt und Jerusalem jene Unterstützung im Kampf gegen die Hamas-Terroristen verwehrt, die das vom Terror geschundene Land so dringend benötigt hätte.

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Und noch im Januar dieses Jahres versprach Merz: »Was Israel zur Ausübung seines Selbstverteidigungsrechts benötigt, wird Israel auch bekommen. Der Begriff ›Staatsräson‹ wird sich wieder an Taten und nicht nur an Worten messen. Es muss wieder unmissverständlich klar werden: Deutschland steht nicht zwischen den Stühlen, sondern Deutschland steht fest an der Seite Israels. Daran wird es künftig keinerlei Zweifel mehr geben.«

Die bittere Pointe: Ausgerechnet Friedrich Merz und seine neue Bundesregierung setzen mit dem Waffenembargo nun fort, was Annalena Baerbock und Robert Habeck begonnen hatten und nur durch Ex-Kanzler Scholz (SPD) gestoppt wurde. Es ist ein Trauerspiel. Und es ist beschämend, mitansehen zu müssen, wie sich Kanzler Merz einmal mehr von der SPD und Umfrageergebnissen treiben lässt – erneut komplett gegen die DNA seiner Partei sowie entgegen den Überzeugungen in der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag.

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Denn vieles deutet darauf hin, dass nicht die Union ihr außenpolitisches Tafelsilber – zu dem freilich essenziell auch die ebenso guten wie besonderen deutsch-israelischen Beziehungen gehören – verhökert, sondern dass der Wendehals Merz (O-Ton »BILD«-Chefin Marion Horn: »ein Schwätzer«) dies fast im Alleingang ohne Wissen großer Teile der Fraktion getan hat.

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Die CSU, die sich nicht erst in den vergangenen Monaten als Bollwerk gegen jeden Antisemitismus und für jede Solidarität mit dem jüdischen Staat im Kampf gegen den Terror erwiesen hat, ist wegen der Initiative von Bundeskanzler Merz empört. Auch die Junge Union schäumt wegen des Stopps der Bundesregierung für die Ausfuhr von Rüstungsgütern nach Israel.

Viele CDU-Bundestagsabgeordnete wurden kalt erwischt und fühlen sich in ihren Grundüberzeugungen, dass Israel im Kampf gegen die Hamas und bei der Befreiung der Geiseln weiter unterstützt werden muss, verraten.

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Etliche von ihnen fragen sich: Wie soll Israel sich künftig gegen den Terror der Hamas verteidigen und für die Freilassung der Geiseln kämpfen, wenn es militärisch im Stich gelassen wird? Darüber hinaus teilen zahlreiche CDU-Abgeordnete Merz’ Analyse nicht, wonach die Ankündigung von Israels Premier Netanjahu, künftig den Gazastreifen zu besetzen, ein skandalöser Schritt sei.

Mit gutem Grund: Denn natürlich hat Israel berechtigte Sicherheitsinteressen im Gazastreifen, und die Ankündigung, dass nach der Zerstörung der Hamas ein arabischer Staatenverbund Gaza verwalten solle, wäre ein historischer Schritt in Richtung Frieden und Sicherheit in Nahost.

Man muss es so klar sagen: Der Bundeskanzler ist seiner Verantwortung nicht gerecht geworden. Merz handelt erratisch und lässt sich treiben. Er ist eingeknickt ob der massiv israelfeindlichen Stimmung im Land. Er irrlichtert durch nahöstliches Terrain, ohne das Thema wirklich zu durchdringen.

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Sein Außenminister ist zusätzlicher Ballast. »Wir werden uns nicht unter Druck setzen und in eine Position bringen lassen, dass wir zu einer Zwangssolidarität gezwungen werden«, hatte Johann Wadephul (CDU) Ende Mai in Berlin betont. Waffenlieferungen an den jüdischen Staat könnten fortan durchaus wieder ausgesetzt werden.

Berlin im Würgegriff von Jerusalem also? Plötzlich klang der CDU-Politiker wie eine Mischung aus Björn Höcke (es müsse doch mal Schluss sein mit dem »Schuldkult«) und jenen linksradikalen Demonstranten, die vor dem Auswärtigen Amt seit Monaten »Free Palestine from German Guilt« skandieren.

Fast, aber nur fast, wünscht man sich die beim Thema Israel und Nahost spektakulär gescheiterte Ex-Außenministerin Baerbock zurück.

Es wäre die Aufgabe von Friedrich Merz gewesen, zu führen. Es wäre seine Aufgabe als deutscher Bundeskanzler gewesen, die Deutschen darauf hinzuweisen, was Israel alles für den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung tut. Was Israel zu ihrer Versorgung unternimmt. Es wäre seine Aufgabe gewesen, darauf hinzuweisen, in welchem Ausmaß Hilfsgüter von der Hamas gestohlen und zurückgehalten werden. In welchem Ausmaß die Hamas ihre eigene Bevölkerung knechtet und als Märtyrer opfert, um weltweit den Krieg der Bilder zu gewinnen.

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Und es wäre seine Aufgabe gewesen, darauf hinzuweisen, dass der Krieg, den Israel nie wollte, innerhalb von wenigen Stunden enden würde, wenn die Hamas die Waffen niederlegt und die Geiseln freilässt. Übrigens: Es befinden sich noch sieben Deutsch-Israelis unter den Verschleppten, auch darauf hätte der Bundeskanzler seit Amtsübernahme bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufmerksam machen müssen.

Merz’ Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) hatte es am Montag dieser Woche eindrücklich auf den Punkt gebracht: »Gerade in den letzten Tagen ist deutlich geworden, dass nicht Israel das Problem ist, sondern die Hamas«, sagte Frei in einem Interview mit n-tv. »Tatsächlich ist es eben so, dass jeden Tag mehr Hilfslieferungen in den Gazastreifen kommen, als zur Versorgung der Bevölkerung notwendig wären – als notwendig wären, um eine Hungersnot abzuwenden.«

Es sei die Hamas und deren organisierte Kriminalität, die verhindere, dass die Hilfe ankomme, so der Kanzleramtsminister. »Deshalb muss man, glaube ich, auch in der Zuordnung von Verantwortlichkeiten sehr klar sein. Wir sind als Bundesregierung gegenüber der israelischen Regierung sehr klar. Aber klar ist eben auch, dass hier sehr häufig Bilder aus dem Gazastreifen eingesetzt werden von der Hamas, die ausschließlich zu Propagandazwecken dienen.«

Freis Fazit: »Man muss wirklich aufpassen, dass man den Terroristen nicht auf den Leim geht.«

Vielleicht sollte Merz sich öfter mit seinem Kanzleramtschef austauschen, insbesondere über den 7. Oktober 2023 und Israels folgenden Krieg gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas. Von Frei kann Merz noch elementar viel lernen. Der Bundeskanzler ist den Terroristen auf den Leim gegangen.

engel@juedische-allgemeine.de

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