Kommentar

Die Leerstelle des Olaf Scholz

Philipp Peyman Engel Foto: picture alliance / dpa

Kommentar

Die Leerstelle des Olaf Scholz

Wer verspricht, gegen Antisemitismus zu kämpfen, muss auch Konsequenzen daraus ziehen. Daran scheitert der Kanzler aber regelmäßig

von Philipp Peyman Engel  27.01.2025 17:42 Uhr

Eines vorweg: Seine Worte sind richtig und wichtig. All die Sätze von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) anlässlich der Befreiung von Auschwitz vor 80 Jahren könnten wahrer nicht sein.

»Unsere Verantwortung hört nicht auf« etwa. Oder: »Ich trete jedem Schlussstrich, jedem ›Lange her‹ entgegen.« Erst recht: »Man muss die Fakten klar aussprechen und die richtigen Lehren daraus ziehen.« Denn: »Wir nehmen Antisemitismus nicht hin!«

Lesen Sie auch

Doch gerade am 27. Januar muss genauso klar gesagt werden, dass Kanzler Scholz eben nicht immer die notwendigen Konsequenzen aus diesen Versprechen zieht. Vielmehr herrscht, wenn es um die praktische Umsetzung seiner Worte und die Bekämpfung des Judenhasses in diesem Land geht, oftmals eine große Leerstelle.

Antisemitismus beginnt nicht erst in Auschwitz. Eine Historisierung des Judenhasses, also eine Quasi-Auslagerung in die Geschichte, darf nicht zugelassen werden. Denn trotz der Losung »Antisemitismus hat keinen Platz in diesem Land« hat er doch bedeutend viel Platz in diesem Land.

Damit kommt auch Kanzler Scholz immer wieder in Berührung. Doch statt seinen Worten Taten folgen zu lassen, passiert immer wieder: nichts. Konsequenzen? Fehlanzeige.

Lesen Sie auch

Angefangen beim antisemitischen Desaster im Rahmen der wichtigsten Kunstausstellung der Welt: der documenta in Kassel. Monatelang wurde Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) vom Zentralrat der Juden und anderen Institutionen gewarnt. Und dann ist genau das eingetreten, wovor gewarnt wurde: Wer BDS bestellt, bekommt BDS. Die einzige Reaktion des Bundeskanzlers: Er werde zum ersten Mal seit 30 Jahren nicht die documenta besuchen. Wirkliche Konsequenzen sehen anders aus.

Wenn wir die Bekämpfung des Antisemitismus ernst nehmen wollen, dann muss natürlich auch eine Ministerin, die zumindest politisch für den größten antisemitischen Skandal der Kunstszene der letzten Jahrzehnte verantwortlich ist und über den die ganze Welt spricht in Verantwortung genommen werden. Dann muss der Bundeskanzler die Reißleine ziehen. Die Bekämpfung des Antisemitismus ist nicht nur, sie ist aber auch Chefsache.

Und wenn die Worte der vergangenen Tage wirklich ernst gemeint sind – und ich weiß, dass der Kanzler sie eigentlich ernst meint -, dann muss er natürlich auch eine der wichtigsten Politikerin in Deutschland, Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz (SPD) mindestens öffentlich dafür kritisieren, wenn sie Zionismus - also die Bewegung für das Recht des jüdischen Volkes auf einen eigenen Staat - mit dem Abbrennen von Flüchtlingsunterkünften gleichsetzt.

Lesen Sie auch

Es war auch nicht das erste Mal, dass die SPD-Politikerin Özoguz sich antisemitisch geäußert hat. Doch Olaf Scholz hat nicht nur geschwiegen, Frau Özoguz steht in Hamburg - dessen Innensenator und Erster Bürgermeister Scholz einst war - auch noch auf Platz zwei der Landesliste. Wer »Nie wieder ist jetzt« sagt, der muss Konsequenzen ziehen. Natürlich ist Politik komplex, aber ein klares Wort zu finden, gerade wenn es weh tut, ist unerlässlich.

Lesen Sie auch

Unerlässlich ist auch, wenn man die Bekämpfung des Antisemitismus ernst nimmt, sich in den Vereinten Nationen bei israelfeindlichen Resolutionen nicht zu enthalten, sondern sich an die Seite des jüdischen Staats zu stellen. Auch das sollte die Schlussfolgerung aus all den richtigen Worten zum Gedenken an 80 Jahre Befreiung von Auschwitz sein. Die Losung »Nie wieder!« ist richtig. Die Beschreibung des status quo als »Nie wieder ist jetzt!« aber leider auch. Und zwar nicht nur am 27. Januar, sondern auch an allen anderen 364 Tagen im Jahr.

engel@juedische-allgemeine.de

Manifest zur Außenpolitik

Gilt das Versprechen der SPD auch für ukrainische Kinder?

Unser Gastautor wurde in der Ukraine geboren und ist Jude. Seit vielen Jahren ist er SPD-Mitglied. Das neue Manifest einiger Altvorderer zur Außenpolitik macht ihn wütend

von Igor Matviyets  13.06.2025

Meinung

Die Menschen im Iran sind Israel dankbar

Der jüdische Staat hat durch seine Luftangriffe den Iranern die Chance gegeben, die islamistische Diktatur in Teheran endlich loszuwerden. Das ist eine historische Gelegenheit

von Saba Farzan  13.06.2025

Schlag gegen Iran

Ein notwendiger Schritt

Israel hat alles Recht der Welt, sich gegen das iranische Atomprogramm zu wehren. Teheran darf niemals in den Besitz von Atomwaffen gelangen. Ein Kommentar von Philipp Peyman Engel

von Philipp Peyman Engel  13.06.2025

Meinung

Präventivschlag gegen eine existenzielle Bedrohung

Irans Atomprogramm verfolgt keine friedlichen Ziele. Nach dem Scheitern der diplomatischen Bemühungen ist Israels Angriff gerechtfertigt

von Ulrike Becker  13.06.2025

Meinung

Warum Israel die Ukraine jetzt offen militärisch unterstützt

Die Ukraine nutzt nun auch Waffensysteme aus israelischen Beständen. Der Hintergrund für die veränderte Politik Jerusalems ist eine Machtverschiebung in Nahost

von Saba Farzan  12.06.2025

Medien

Deutschlands Oberlehrer

Wer will noch mal, wer hat noch nicht? In diesen Tagen scheint die Diffamierung Israels oberste Bürgerpflicht zu sein. Ein Kommentar

von Michael Thaidigsmann  11.06.2025 Aktualisiert

Kommentar

Der Unabhängige

Der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis ist nach Israel und ins Westjordanland gereist, um sich eine eigene Meinung über die humanitäre Hilfe in der Region zu bilden

von Nicole Dreyfus  11.06.2025

Meinung

Jewrovision: einfach jung und jüdisch sein

Junge Jüdinnen und Juden sind alltäglich Anfeindungen ausgesetzt. Für sie ist die Jewrovision ein Safe Space

von Katrin Richter  11.06.2025

Meinung

Grüne Jugend: Vertrauen verloren

Die jüngsten Aussagen der Co-Vorsitzenden Jette Nietzard zu Nahost waren ein Fehltritt zu viel. Die Grüne Jugend braucht einen personellen Neuanfang

von Ron Dekel  11.06.2025