Kino

Zwei Blicke aufs Mittelmeer

Komplizierte Typen: Waleed (Amer Hlehel) und Jalal (Ashraf Farah) in »Mediterranean Fever« Foto: Pallas Film

Ein depressiver Schriftsteller, ein Kleinkrimineller und ein Auftragskiller, der keiner sein will: In ihrem neuen Spielfilm Mediterranean Fever eröffnet die in Nazareth geborene Regisseurin Maha Haj (ihr Film Personal Affairs von 2016 war bei den Filmfestspielen in Cannes und beim Jüdischen Filmfestival Berlin Brandenburg zu sehen) eine ungewöhnliche Perspektive auf die Stadt Haifa.

Im Fokus von Mediterranean Fever (in Cannes 2022 in der Reihe »Un Certain Regard« mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet) stehen zwei Nachbarn. Waleed (Amer Hlehel), 40 Jahre, Vater zweier Kinder und chronisch depressiv, lebt in einem Altbau mit Blick aufs Meer.

psychotherapie Doch die schöne Aussicht kann seine Stimmung nicht aufhellen. Medikamente lehnt er ab, die Psychotherapie nützt auch nichts. Von einer israelischen Kinderärztin nach seiner Religion gefragt, beharrt er auf »Palästinenser«.

Seinen Bankjob hat Waleed gekündigt, um einen Roman zu schreiben, doch er bringt keine einzige Zeile zu Papier. Morgens kutschiert er die Kinder mit dem Auto zur Schule, holt sie abends wieder ab, kocht und kümmert sich um die Wäsche. Den Lebensunterhalt bestreitet seine Frau Ola (hervorragend: Anat Hadid, die auch in Staffel 3 der Netflix-Serie Fauda zu sehen ist).

Als Jalal (Ashraf Farah) in die Wohnung nebenan einzieht, ist Waleed zunächst entsetzt: Jalal hört nachts laute Musik und sprüht vor Energie. Schnell aber stellt sich heraus, dass auch das Leben des Nachbarn nicht einfach ist. Und kann der Kriminelle einen Auftragskiller besorgen, den der Depressive sehnsüchtig sucht?

STANDPUNKT Die schwarze Satire nimmt ein überraschendes Ende, das für Längen entschädigt – und auch für die toughe politische Botschaft, die Waleeds Depression mit der Lage der Palästinenser in Zusammenhang bringt. Doch lohnt es sich, den Standpunkt der Regisseurin wahrzunehmen, auch wenn man ihn nicht teilt.

Denn deren Filme und ihre Entstehungsgeschichten sagen einiges über den Identitätskonflikt arabischer Bürger Israels aus – und über die Dilemmata der Regisseurin. Maha Hajs Film Personal Affairs, eine israelische Produktion, wurde beim Filmfestival Beirut 2016 abgelehnt und musste sich beim Palestine Filmfestvial Toronto gegen BDS-Proteste behaupten. Mediterranean Fever dagegen wurde nicht mit israelischen Mitteln gefördert und lief in Cannes als Produktion made in »Palästina, Deutschland, Frankreich, Zypern, Katar«.

Ein ganz anderes Thema schneidet Offer Avnon in Der Rhein fließt ins Mittelmeer an. Der in Haifa geborene Regisseur hat zehn Jahre in Köln gelebt und kehrte anschließend nach Israel zurück. »Dies ist ein Film, der sich mit dem Trauma der Schoa beschäftigt, aber auch auf das Trauma verweist, das ›wir‹, die Juden, den Palästinensern zugefügt haben«, sagte Avnon unlängst in einem Interview. »Und hier möchte ich sofort klarstellen: Einen historischen Vergleich der Ereignisse selbst mache und akzeptiere ich nicht.«

Die Filme »Mediterranean Fever« und »Der Rhein fließt ins Mittelmeer« laufen ab dem 4. Mai im Kino.

Essay

Übermenschlich allzumenschlich

Künstliche Intelligenz kann Großartiges leisten. Doch nicht zuletzt die antisemitischen Ausfälle von Elon Musks Modell »Grok« zeigen: Sie ist nicht per se besser als ihre Schöpfer. Ein alter jüdischer Mythos wirft Licht auf dieses Dilemma

von Joshua Schultheis  27.08.2025

Archäologie

Vorform der Landwirtschaft: Steinsicheln für die Getreideernte

Funde aus einer Höhle in Zentralasien stellen Annahmen zur Entstehung der Landwirtschaft infrage. Offenbar liegen deren Ursprünge nicht nur in der Region Vorderasien, die auch das heutige Israel umfasst

von Walter Willems  26.08.2025

Digital

Initiative von Heidelberger Hochschule: Neuer Podcast zum Judentum

»Jüdische Studien Heute« als Podcast: Das neue Angebot der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg will alle zwei Wochen Forschungsthemen aufgreifen und Einblicke in die jüdische Lebenswelt bieten

von Norbert Demuth  26.08.2025

Zahl der Woche

1902

Fun Facts und Wissenswertes

 26.08.2025

TV-Tipp

»Barbie« als TV-Premiere bei RTL: Komödie um die legendäre Puppe

Im ersten Realfilm der 1959 von Ruth Handler erfundenen Puppe ist Barbieland eine vor Künstlichkeit nur so strotzende Fantasie

von Michael Kienzl  26.08.2025

Nominierungen

Grimme Online Award: Nahost-Konflikt und deutsche Geschichte im Fokus

In den vier Kategorien kann die Jury des Grimme Online Awards aus den 25 Nominierten bis zu acht Preisträger auswählen

 26.08.2025

Berlin

Götz Aly: Kaum Parallelen zwischen 1933 und heute

Wie konnten die Deutschen den Nazis verfallen und beispiellose Verbrechen begehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Historiker in seinem neuen Buch. Erkennt er Parallelen zu heute?

von Christoph Driessen  26.08.2025

Oberammergau

»Judenfreund«: Regisseur Stückl beklagt Anfeindungen

Christian Stückl leitet die berühmten Passionsspiele in Oberbayern. Lange wurde er dafür gewürdigt, das Werk von judenfeindlichen Passagen befreit zu haben. Nun dreht sich der Wind

 25.08.2025

Kritik

Ukraine verurteilt Auftritt Woody Allens bei Moskauer Filmwoche

US-Filmregisseur Woody Allen lässt sich per Video beim Moskauer Filmfestival zuschalten. In der von Russland angegriffenen Ukraine sieht man den Auftritt alles andere als gern - und reagiert prompt

 25.08.2025