Gedenkkultur

Virtuell zu Besuch bei Überlebenden des Holocaust

Leon Weintraub bei Markus Lanz

Vorsichtig schiebt Museumsmitarbeiterin Frauke Schilling dem jungen Mann die weiße High-Tech-Brille über den Kopf. »Das ist wie eine Taucherbrille«, erläutert sie. Noch kurz festzurren mit einem Rädchen, Kopfhörer auf, dann verschwindet die Außenwelt im Dunkeln, und vor den Augen der Besucher entrollt sich eine »Virtuelle Realität«. Schon nach wenigen Momenten erscheinen in einem weißen Raum fünf dreidimensional wirkende Aufnahmen hochbetagter Menschen, die aus ihrem Leben erzählen. Sie alle haben als Kinder und Jugendliche Schreckliches erlebt - sie sind Zeitzeugen des Holocaust.

Zwischen 5,6 und 6,3 Millionen Juden und Angehörige weiterer Minderheiten haben die Nationalsozialisten zwischen 1941 und 1945 in Konzentrationslagern ermordet. Weltweit leben heute noch mehr als 200.000 Menschen, die dem Holocaust entkommen sind und noch aus eigener Anschauung berichten können. Doch es werden immer weniger.

Gedenkstätten und Museen machen sich deshalb schon seit längerem Gedanken, wie diese Erinnerungen bewahrt werden können. »Virtuelle Begegnungen« seien eine gute Möglichkeit dafür, sagt Johanna Schüller. Die 41-Jährige ist Leiterin des Projektes »In Echt? Virtuelle Begegnung mit NS-Zeitzeuginnen und Zeitzeugen« aus Potsdam, das noch bis zum 2. Februar im Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover gastiert. Dort ist es Teil der Ausstellung »KZ überlebt« mit Schwarz-Weiß-Porträts von Holocaust-Überlebenden. »Es ist ist nicht nur unsere Aufgabe, das Wissen über dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte zu bewahren, sondern vor allem, es auch an die kommenden Generationen weiterzugeben«, betont Schüller.

»Man fühlt noch mehr mit.«

Bei den Jugendlichen, die zu Besuch im Museum sind, kommt das an. »Es war eine sehr schöne Erfahrung«, sagt David Wendel (15), nachdem er die VR-Brille samt Kopfhörer wieder abgestreift hat. Er habe solche Interviews zwar schon im Fernsehen gesehen oder als Text gelesen, aber mit VR-Brille sei es intensiver: »Man fühlt noch mehr mit.« Seine Mitschülerin Jette Rinnau (16) aus der Klasse 10a der Wilhelm-Raabe-Schule in Hannover pflichtet ihm bei: »Ich hatte das Gefühl, die Person sitzt wirklich vor mir und erzählt mir das jetzt.«

Einer der Zeitzeugen ist der 99-jährige Arzt Leon Weintraub aus Schweden. Als 14-Jähriger gelang es ihm, aus dem Vernichtungslager Auschwitz zu entkommen, in dem seine Mutter ermordet wurde. Die Chemikerin Inge Auerbacher (90) aus den USA erzählt, wie sie als Siebenjährige den Alltag im Ghetto Theresienstadt erlebte. Und die Schneiderin Ruth Winkelmann (97) entkam dem Holocaust, weil sie sich in einer Berliner Laubenkolonie versteckte.

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Viele der Überlebenden erzählen ihre Geschichte seit langem in Schulen und bei Vorträgen. Bei den »Virtuellen Begegnungen« können die Nutzer per Augensteuerung wählen, welche Fragen sie beantworten sollen. »Wir wissen natürlich, dass keine Technologie eine echte Begegnung mit Zeitzeugen ersetzen kann«, sagt Schüller. »Aber diese Technologie erlaubt es jungen Menschen, die keine Chance mehr haben, mit Überlebenden der NS-Zeit persönlich zu sprechen, in einen Dialog zu treten und die Antworten fast wie in echt zu erleben.«

Entwickelt wurde das Projekt von 2022 bis 2024 vom Brandenburg Museum in Potsdam, wo es noch bis Ende März in einer Sonderausstellung zu sehen ist. Danach soll es ab Mai mit einem Truck auf Deutschland-Tournee durch acht bis zehn Bundesländer gehen. Durch seinen VR-Ansatz habe »In Echt?« deutschlandweit eine »Leuchtturmfunktion«, betont Schüller.

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