Nachruf

Trauer um Hanni Lévy

Hanni Lévy im Zeitzeugengespräch im Jüdischen Museum Berlin. Foto: Stephan Pramme

Die deutsch-französische Holocaust-Überlebende Hanni Lévy ist tot. Das bestätigte der Regisseur Claus Räfle, der mit Lévy eng befreundet war, im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Lévy verstarb in der Nacht zu Mittwoch in Paris.

Hanni Lévy wurde 1924 in Berlin als Hanni Weißenberg geboren. Sie überlebte den Holocaust, indem sie versteckt in Berlin untertauchte. Der Kinofilm Die Unsichtbaren – Wir wollen leben von Claus Räfle erzählte 2017 die Geschichte des Überlebens von Lévy.

In dem Film wird sie von der Schauspielerin Alice Dwyer dargestellt. Einige Zehntausend Menschen sahen das Werk nicht nur in Deutschland, sondern auch in Israel und auf Filmfestivals weltweit.

Lévy überlebte den Holocaust, indem sie versteckt in Berlin untertauchte.

Im Sommer 2018 war Lévy aus ihrer Wahlheimat Paris in ihre Geburtsstadt Berlin gekommen, um für die Veranstaltungsreihe »Ohne Erinnerung keine Zukunft« im Jüdischen Museum von ihrem Leben zu erzählen. Der Publikumsandrang war an diesem Tag derart hoch, dass die Veranstaltung aus dem Saal der Blumenthal-Akademie in einen größeren im gegenüberliegenden Haupthaus verlegt werden musste.

ERINNERUNGEN Bereits im Alter von 17 Jahren sei sie Vollwaise gewesen, erinnerte sich Lévy. Sie lebte ganz allein in der großen elterlichen Wohnung, von wo aus sie Tag für Tag zu einer Spinnstofffabrik fuhr, in der sie zwangsverpflichtet war. In einem großen Saal, an dessen Eingang ein Schild mit der Aufschrift »Judenabteilung – Eintritt verboten!« hing, musste sie im Schichtbetrieb Zwirnfäden aufspulen.

Dann aber wurde auch an ihre Wohnungstüre gehämmert. Sie verhielt sich ruhig. Erst Stunden später verließ sie pochenden Herzens das Haus. Sie beschloss, in der Millionenstadt unterzutauchen.

Ganz in der Nähe des Veranstaltungsortes sei sie zur Schule gegangen, erzählte Hanni Lévy. Es war die Zeit, als ihr Vater noch als Fotograf arbeitete und zu den Hohen Feiertagen mit Zylinder in die Synagoge ging. Nach der Pogromnacht 1938 wurde ihr Vater arbeitslos. In seiner Verzweiflung wandte er sich an seinen ehemaligen Kommandeur der Fliegerstaffel »Manfred von Richthofen« aus dem Ersten Weltkrieg: Hermann Göring.

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GREIFER Immerhin sei ihm doch noch vor wenigen Jahren für seine Verdienste das Ehrenkreuz verliehen worden, das die kleine Hanni stolz in der Schule herumgezeigt hatte. Tatsächlich wurde der Vater zum Arbeitsamt bestellt, wo man über die Anweisung »von ganz oben« überrascht war. Es wurde ihm eine Arbeit in einem Fotolabor vermittelt. Ein knappes Jahr hielt dieses »Privileg«, dann wurde der schwer an Asthma erkrankte Mann zur Kartoffelernte eingezogen. Vier Monate später war er tot.

Hanni besuchte mittlerweile die Schule der jüdischen Reformgemeinde und erhielt dort einen exzellenten Unterricht. Wurden sie doch von habilitierten Hochschullehrern unterrichtet, die als Juden aus den Universitäten entlassen worden waren. Noch immer, so Hanni Lévy heute, habe sie damals den Ernst der Lage nicht begriffen.

Selbst als sie am 1. September 1941 mit ihrer Mutter den gelben Stern an die Kleidung nähte, dachte sie nicht darüber nach. Das änderte sich schlagartig, als martialisch an ihrer Wohnungstür geklopft und »Aufmachen!« befohlen wurde.

Der Film »Die Unsichtbaren – Wir wollen leben« zeigt, wie Lévy sich in einem Berliner Kino der Kassenfrau offenbart.

Zunächst wurde Hanni von nichtjüdischen Freunden der Mutter aufgenommen. Von einem Friseur ließ sie sich die Haare blond färben und nahm den unverdächtigen Namen Hannelore Winkler an.

Die 94-Jährige erzählte im Jüdischen Museum, wie sie sich bei einem Postbeamten eine Identitätskarte auf diesen Namen erschlich. Aber auch, wie sie auf dem Kurfürstendamm dem jüdischen »Greifer« Rolf Isaacson begegnete, der mit der Gestapo zusammenarbeitete und den sie von früher kannte. Wegen ihrer blonden Haare habe er sie nicht erkannt.

In dem Film Die Unsichtbaren – Wir wollen leben wird die Szene gezeigt, wie sie sich in einem Berliner Kino der Kassenfrau offenbart. Deren Familie nimmt sie schließlich auf und bringt sie durch den Bombenkrieg. Es sei eine furchtbare Zeit gewesen, in der es aber dennoch auch »Menschen mit Herz und Mut« gegeben habe, sagte Lévy damals.

»Es waren nicht alle Mörder!«, rief sie zum Abschluss noch in den Saal, und der Applaus des Publikums galt auch jenen unbekannten Berlinern, die rund 1700 Juden wie eben auch Hanni Lévy in der »Reichshauptstadt« das Überleben ermöglicht hatten.  ja

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